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Rotary-Geschichte

Übermalung eines trügerischen Hitlerbildes

Rotary-Geschichte - Übermalung eines trügerischen Hitlerbildes
Das ursprüngliche Bild (links) - und was daraus wurde. © Forschungsgruppe "Rotary im Nationalsozialismus"

Ein Bild als Zeugnis der Kehrtwende eines Rotariers

25.08.2017

Historiker blicken derzeit auf die Entwicklung von Rotary in Deutschland während der Nazi-Zeit. Ihre Forschungen und die Nachfragen der Rotarier bringen einiges ans Tageslicht - wie diese sehr persönliche Geschichte:

Das Bild

Nein, von seinem Schulleiter hätte er dies nicht erwartet, in seinem Elternhaus sei man überzeugt gewesen, Oberstudiendirektor Binder, der Leiter des Stuttgarter Eberhard-Ludwigs-Gymnasiums sei kein Nationalsozialist. Als er aber einmal als Primaner von seinen Eltern gebeten worden sei, einen privaten Brief zu Binders ins Haus zu bringen, habe er beim Betreten der Diele zu seiner großen Verwunderung ein etwa zwei auf drei Meter großes Ölgemälde der Überfahrt eines großen Kahns über einen breiten Strom vor sich gesehen, am Steuer Adolf Hitler, an den Rudern zwei Jungs, die er sofort erkannt habe: Es waren die Söhne seines Schulleiters, Harro und Gerhart, Schüler der Oberstufe seines Gymnasiums. Das sei ihm unvergessen geblieben: bei Binders im Foyer ein Hitlerbild!

Schulleiter Binder doch ein Nazi? Seiner Mutter habe er es erzählt. Sie habe ihm erklärt, die Frau seines Schulleiters sei eine Kunstmalerin, sie stamme aus Lothringen; als Hitler an die Macht gelangt sei, habe sie Hoffnung geschöpft, er werde für ihre Buben ein bessere Zukunft schaffen, das habe sie auf ihrem Bild darstellen wollen. Ihr Mann, der Schulleiter, sei von Anfang an skeptisch gewesen, nein, nein, ein Nazi sei er nicht, abhängen könnten Binders das Bild nun aber nicht mehr, das würde bald herumgesprochen, das sei zu gefährlich.

Anstoß

Dies berichtete mir vor einigen Jahren Manfred Prechtl (1928-2013), ein pensionierter Vorstandsvorsitzender der Baden-Württembergischen Bank, als ich ihm erzählte, ich erkundete anlässlich unseres 75-jährigen Rotary-Club-Jubiläums, wie sich die Stuttgarter Rotarier gegenüber dem Nationalsozialismus verhalten hätten. Schulleiter Hermann Binder (1876 -1957) war 1928 Gründungsmitglied des RC Stuttgart gewesen. Er gehörte zu den wenigen, denen es gelang, sein humanistisches Gymnasium vor der totalen Gleichschaltung zu bewahren. Parteimitglied war er nicht, deutschnational ausgerichtet schon.

Prechtls Erinnerung versetzte mich in Spannung. Ob nicht das Hitler-Gemälde von Frau Binder doch noch irgendwo auf einem Dachboden versteckt lagere? Es musste doch ein Gemälde gewesen sein, dass man des großen malerischen Aufwandes und des familiären Bezuges, der Abbildung der Söhne wegen nicht so ohne weiteres wegwirft, vielleicht doch lieber versteckt.

Wie das Bild tatsächlich ausgesehen hatte, ließ sich ermitteln. Das Bild hatte 1934 bei einer Ausstellung von Werken der Künstlerin im Stuttgarter Kunsthaus Schaller viel Beachtung gefunden. Hermann Binders Clubfreund August Lämmle, ein hoch geschätzter Heimatschriftsteller, hatte es danach in seinem "Schwäbischen Almanach" abgedruckt, nicht zuletzt, um sich durch die Publikation dieses Hitler-Gemäldes dem Regime zu empfehlen und so als Redakteur der Zeitschrift im Sattel zu halten zu können. Als ehemaliger Freimaurer und nun Rotarier hatte er unter besonderem Druck gestanden. Ob mir Nachfahren Binders über den Verbleib des Bildes Auskunft geben könnten?

Nachforschungen

Von der Familie Binder lebte in Stuttgart seit Jahrzehnten niemand mehr. Oberstudiendirektor Binder war 1943 in den Ruhestand gedrängt worden. In der erhaltenen Dienstbeurteilung hieß es: Dem Nationalsozialismus ließ er es an jener vorbehaltlosen Haltung fehlen, die in seiner Stellung und an seiner Schule unbedingt notwendig seien.

Nach seiner Entlassung aus dem Schuldienst  zogen Binders wegen der Bombardierungsgefahr in Stuttgart ins Allgäu nach Treeherz. Dort hatte ihnen Fürst Erich von Zeil und seine Frau in einem Forsthaus eine Wohnung zur Verfügung gestellt. Im Pfarrhaus des benachbarten Mooshausen hatte der berühmte katholische Religionsphilosoph Romano Guardini Schutz und Bleibe gefunden. Mit ihm begründeten sie einen Hauskreis, lasen miteinander Dante, lasen Goethe und Schiller, Hölderlin und Mörike, Bergengrün und Werke anderer Zeitgenossen, harrten des Endes der Naziherrschaft, tauschten sich in ihren Sorgen aus.

Widerstand

Wovon die Schulbehörde Gott sei Dank nichts mitbekommen hatte: Seit 1941 hatte sich Hermann Binder dem Widerstandskreis Dr. Goerdeler angeschlossen. Harro, der ältere der beiden Söhne Binders, war gleich zu Beginn des Zweiten Weltkrieges in Frankreich gefallen. Ein Schock, der Hermann Binders Ablehnung des Nationalsozialismus verschärfte. Goerdeler kannte Hermann Binder schon seit 1932. Damals hatte er ihn als Präsident des RC Stuttgart einmal zu einem Vortrag eingeladen. Seit Goerdeler nach seinem Rücktritt vom Bürgermeisteramt in Leipzig 1936 von der Firma Bosch beschäftigt wurde, waren sie sich ab und an begegnet.

Im Sommer 1942 hatte Hermann Binder in dessen Haus in Leipzig mit dem Direktor der Thomas-Schule Leipzig, Dr. Jentsch, und dem damals als Hauptmann im Oberkommando des Heeres tätigen Oberstudienrat Dr. Kaiser (nach dem 20. Juli wurde er gehenkt) Pläne für den Wiederaufbau des Schulwesens nach dem Sturz der Nazis entworfen und Dr. Goerdeler eine entsprechende Denkschrift übergeben. Im Registerraum der Firma Bosch verwahrt, war sie mit anderen Akten des Goerdeler-Kreises von Boschs Privat-Sekretär Willy Schloßstein am 24 Juli 1944 vernichtet worden, als das Attentat gescheitert war und Gestapo-Untersuchungen der Firma zu befürchten waren. Das Ehepaar Binder wurde in der Stuttgarter Gestapo-Zentrale im Hotel Silber verhört, Beteiligung konnte ihm und seiner Frau nicht nachgewiesen werden, so wurden sie nicht verhaftet.

Übermalung

Schon vor dem Attentat hatte Frau Binder, die ihr Hitlerbild aus dem Rahmen genommen und die Leinwand mit nach Treeherz genommen hatte, damit begonnen, das Bild  zu übermalen. Der Erzengel Michael sollte nun auf ihm zu sehen sein, wie er mit seinem Schwert Hitler in den Höllenpfuhl stößt. Auch sie war mehrfach nach Leipzig zu Goerdelers gereist, um Goerdelers gefallenen Sohn Christian nach einer Fotografie zu porträtieren.

Frau Almuth Binder-Kuhn, die sich mit Gerhart Binder, dem Sohn des Schulleiters nach dem Kriege in nahen Bad Wurzach niedergelassen hatte  –  Schulleiter Binder war kurz zuvor verstorben  –,  wies mir den Weg zu dem übermalten Hitlerbild. In der Romano-Guardini-Gedenkstätte im Mooshausen hing es, verdeckt von einem Vorhang. Man wollte es bei den hier stattfindenden Tagungen nicht stets vor Augen haben. Ihr Mann, ein Historiker, hatte in zwei Aufsätzen, die Geschichte dieses Bildes festgehalten. In Stuttgart wusste niemand davon.

Wende

Am 8. Mai 1945, am Tage des Kriegsendes, so berichtet Gerhart Binder, sei das Bild in der benachbarten Michaels-Kapelle unter dem Beisein französischer Soldaten geweiht worden: Zeichen des Sieges über die Dämonie des Nationalsozialismus. Sein Titel lautete nun: Sankt Michael und der Vollstrecker des Bösen. Vor wenigen Jahren wurde das Bild wieder in die Sankt Michaelskapelle verbracht, hier ist es nun zwar nicht, wie ursprünglich, als Altarbild, zu sehen  –  dafür schien es den ortsansässigen Gläubigen zu bedrängend  –,  nun hängt es an der rückwärtigen Empore. Geblieben ist mit ihm ein Symbol, das von einer glücklichen Wende, von endlicher Befreiung, vom Erlöschen eines Trugbildes und der Beteiligung eines Rotariers am Widerstand gegen Hitler zeugt.

Erinnern

Bei unseren Recherchen der Geschichte des RC Stuttgart und RC München zur Zeit des Nationalsozialismus stießen wir auf eine Reihe von Vorgängen ähnlicher Art, an denen sich verfolgen lässt, wie Rotarier, die anfänglich den Verlockungen Hitlers erlegen waren, später Widerstandsgruppen gegen die nationalsozialistische Herrschaft zuwandten.

An ihre trügerischen Erwartungen ist zu erinnern, ihre Schuld, ihre Abkehr, Umkehr, ihren Widerstand. Unter dem Titel "Rotarier unterm Hakenkreuz. Anpassung und Widerstand in Stuttgart und München" bereitet der Expertenkreis zur Rotary-Geschichte, der sich unter Leitung von Prof. Dr. Carl-Hans Hauptmeyer und Prof. Dr. Kurt-Jürgen Maaß zusammengefunden hat, um die Geschichte Rotarys in Deutschland vor, unter und nach der Nazi-Herrschaft aufzuarbeiten, eine Publikation vor, die Einblick in die Geschichte rotarischen Versagen und rotarischer Bewährung gibt. Noch sind die Mittel nicht beisammen, die benötigt werden, diese und weitere Publikationen zu finanzieren. Der Kreis bittet freundlich um Unterstützung.

Paul Erdmann
RC Stuttgart