Spurensuche zwischen Göttern und Magie
Und wieder einmal grüßte der Weltuntergang
So mancher bange Blick richtete sich in den vergangenen Wochen und Monaten auf den 21. Dezember 2012, nicht nur der der Maya, für die es der Tag der Schöpfung war. An diesem Tag erwarteten sie Geburtswehen und Unheil wie z.B. eine große Flut aus dem Rachen des Himmelkrokodils. Und manche Esoteriker vermuteten darin den Beginn der Apokalypse.
Die Entzauberung der Welt
In der religiösen Welt der Maya waren ohnehin Zerstörung und Wiederaufbau, Tod und Wiedergeburt fest verankert. An ein „zyklisches Leben“, ein Leben nach dem Tod wurde geglaubt. Deshalb ging auch die Welt für die Maya am 21. Dezember 2012 nicht unter. Vielmehr ging zu diesem Zeitpunkt ein besonderer Zeitabschnitt zu Ende, das 13. Baktun. In der Welt der Maya war nämlich die Zahl 13 heilig und im Ende des 13. Baktun sahen sie deshalb den Beginn eines neuen Zyklus, des 14. Baktun. In ihrer Blütezeit während der Königsherrschaft zwischen 250 bis 900 n. Chr. bevölkerten etwa zwanzig entweder gut gesonnene oder unheilbringende Götter den Götterhimmel und die Unterwelt. Zürnten die Götter, dann führten Missernten und Dürren zu apokalyptischen Katastrophen, die das Gesellschaftssystem bedrohten.
Deshalb legten die Maya großen Wert darauf, die günstigen Tage zu kennen, an denen die Götter besänftigt werden konnten. So suchten sie nach Zusammenhängen zwischen Gestirnkonstellationen und Naturkatastrophen und hielten Ausschau nach Kometen, die sie als Vorzeichen für großes Unheil deuteten. Sonnen- und Mondfinsternisse bedeuteten Unglück für die Erde, den Himmel und die Brunnen. Sie entdeckten, dass alle 208 Jahre eine Dürrekatastrophe Teile ihres Gebietes heimgesucht hätte, und berechneten rückblickend und vorausschauend, um rechtzeitig vor dem Unheil die Götter günstig zu stimmen.
Indem sie die astronomischen Erkenntnisse auf ihre Götterwelt bezogen, schufen sie einen Kanon von religiösen Riten, Gesetzen und Verboten. So entstand eine einheitliche Wirklichkeit, die ihre Vorstellungen mit Sinn erfüllte und das Bestehen ihrer Art erklärte. Diese Mischung aus Handlung und Glauben zu meistern, gab den Maya ein Gefühl von Sicherheit. Denn Ziel der Magie ist es, die in den Ritualen verborgenen Kräfte zu nutzen und zu beherrschen, um die antizipierte Wirkung der Eigenschaften zu erreichen. Das magische Milieu, das die Wirklichkeit sozial konstruiert, ist seit jeher ein Produkt aller Sippenmitglieder und regelt das Miteinander. Es hilft, wie Niklas Luhmann sagen würde, die Komplexität der Welt auf ein menschliches, weil verstehbares Maß zu reduzieren. So wurde auch dem Wandel der Schrecken genommen. Und die Magie funktioniert nur, wenn die Menschen fest an die Kraft glauben, die die konstruierte Wirkung verursacht.
Unsere Welt ist heute entzaubert, jedenfalls der Magie und der Wunder beraubt. Und so stellt sich die Frage: Was hätten Sie denn gern? Schule und Beruf erwarten nicht magische Träumer, sondern eine rationale Betrachtung der Probleme und ihrer Lösungen. Statistiken und Berichte überschwemmen unsere Schreibtische. Kreativität bleibt oft auf der Strecke, denn Fantasie scheint nur mehr beim Brainstorming gefragt zu sein. Wissen statt Glauben ist die Devise von heute.Fakten, losgelöst von religiösen Bindungen, machen uns aber schmerzlich bewusst, dass alle noch so zuverlässigen Prognosen bestenfalls Wahrscheinlichkeiten beschreiben. In der Wissensgesellschaft von heute wird immer mehr Wissen erzeugt und damit die Halbwertzeit des Wissens immer weiter verkürzt, mit der Folge, dass wir immer weniger in der Lage sind, die Zukunft vorherzusagen. Politiker übten daher vor allem den „souveränen Umgang mit Nichtwissen“, wie der Parteienforscher Karl Rudolf Korte unlängst anmerkte.
Oder kommt der Untergang später?
Astronomen sagen zwar den Untergang der Erdenwelt in spätestens sieben Milliarden Jahren voraus, müssen sich aber die Frage gefallen lassen, ob Naturgesetze und die daraus abgeleiteten Ketten von Indizien über Millionen von Generationen immer und überall gültig seien. Ganz abgesehen davon, dass diese Indizienketten auf der Grundlage von Naturgesetzen schon öfter versagt haben, nicht erst bei der Katastrophenvoraussage für Hurrikan Irene im Jahre 2011, die die größte Evakuierungsaktion der USA in New York City ausgelöst hatte. Nur der Hurrikan schwächte sich ab und beließ es bei starkem Regen und gab das Zepter an Sandy weiter.
Da stellt sich sogar die Frage, wer klüger ist – der heutige Mensch oder der in früheren Kulturen. „Klüger“ natürlich nicht im Sinne von „mehr wissen“, sondern im Sinne der besseren Anpassung an die Umwelt. Denn der Mensch muss sich auf Grund seiner biologischen Unterausstattung von Anfang an seine Welt selbst einrichten. Kultur ist seine zweite Natur und als Lebensweise Ergebnis menschlichen Handelns. Weil aber die vom Menschen gemachte Welt offen ist, muss er sich als ständiger Anpasser bewähren und sich schon immer mit Untergangsszenarien wie dem „Untergang des Abendlandes“ nach Oswald Spengler, den Weltkriegen und den Klima- und Umweltkatastrophen auseinandersetzen.
Da ist es kaum verwunderlich, dass man in eine verzauberte Welt entrücken möchte, in der noch Wunder möglich sind. Denn die uns beherrschende Deutungswelt der Rationalisten kann ihr Sinn- und Hoffnungsdefizit kaum verbergen. Unsere theologischen, philosophischen, kulturellen, wissenschaftlichen und politischen Dogmen haben nämlich ihre Funktion als Sinnlieferanten und ihren Anspruch auf umfassende Erklärungen eingebüßt. Viele Menschen suchen sich daher aus der Fülle der Sinnwelten und Weltanschauungen das heraus, was ihnen zusagt, und puzzeln sich ihre eigene Wirklichkeit zusammen. Aber was sagt ihnen zu? So ersetzen die Aufmerksamkeitsgurus der Medien und Promis, Ranking-Listen und Gefällt-mir-Buttons nicht selten das viel zu eng geschnürte Korsett der Tradition.
Die Sinnfrage bleibt uns aber erhalten und wird uns ständig begleiten. Und wenn es nur darum geht, in der Religion, wie vom holländischen Schriftsteller Cees Noteboom vorgeschlagen, den Versuch zu erkennen, uns vor der Verzweiflung zu retten. Die Weltuntergangszenarien werden aber nicht aufhören, uns weiterhin zu beschäftigen. So bleibt die Ungewissheit, die unsere Urängste wieder erweckt. Das haben auch die Medien erkannt. Sie greifen gerne apokalyptische Stimmungen auf und machen daraus ein Geschäft, denn sie ziehen Aufmerksamkeit auf sich und bringen Einschaltquoten. Deshalb hatte auch der Münchner Astrophysiker Harald Lesch keinerlei Bedenken, seine Wissenschaftssendung am 21. Dezember im ZDF mit den Worten anzukündigen: „Wir werden live beim Weltuntergang dabei sein…“ Je exzentrischer die Fantasien in unruhigen Zeiten wie der unseren werden, desto schrecklicher werden die Untergangsszenarien. Aber immer mit im Gepäck die frohe Botschaft: Wir überleben die Katastrophe.
Hat die Welt bisher nur Glück gehabt?
Die Menschheit hat in der Tat viele Katastrophen überlebt. Kaum ein Jahr vergeht, in dem die Welt nicht hätte untergehen können, die Tsunami-Katastrophe am 2. Weihnachtstag von 2004 und die Katastrophe von Fukushima im März 2011 mit eingeschlossen. Diese Katastrophen bewegen viele Menschen dazu, die Sinnfrage zu stellen, denn sie sehnen sich nach einem Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit, ohne das der Mensch nur schwerlich leben kann.
Wie im Großen so im Kleinen, könnte eine Schlussfolgerung lauten: Denken wir nur an die große Katastrophe von Lissabon am 1. November 1755. Das Erdbeben, das die Stadt damals heimsuchte und viele Menschenleben forderte, erfolgte beim Anbruch einer neuen Epoche, der Aufklärung. Dieses Unglück wurde als Naturkatastrophe diskutiert, die Menschen zum ersten Mal nach Lösungen suchen ließ, wie solche Katastrophen, wenn sie schon nicht abgewendet werden können, so doch vorherzusehen sind, damit sie nicht der Gesellschaft schadeten. Neue Erkenntnisse wurden gefunden, Traditionen abgeschafft und neue geschaffen. Insofern haben apokalyptische Vorstellungen für die Menschen schon immer eine wichtige Funktion gehabt. Sie dienen der Orientierung und motivieren uns, Lösungsansätze zu suchen.
Auch wenn der Weltuntergang am 21. Dezember 2012 ausgeblieben ist, sind wir wieder an einem Wendepunkt angelangt. Denn wir wissen heute von der neuen alten Gefahr, die uns bedroht: die Apokalypse. Auch Apokalypsen gab es schon einige auf der Erde. Denken wir nur an die Sintflut oder an den Meteoriten, der vor 60 Millionen Jahren das Massensterben der großen Saurierarten auslöste. Und seit dieser Zeit gab es unzählige größere und kleinere Brocken, die an der Erde vorbei flogen, zuletzt Anfang des Jahres 2012 der 433 Eros. Und der nächste kommt gleich: Am 13. April 2029 wird Apophis, ein Asteroid mit einem Durchmesser von mehr als 300 Meter, der Erde sehr nahe kommen. Sieben Jahre später könnte er gar unseren Planeten treffen. Wissenschaftler weltweit suchen schon lange nach Lösungen, um zu verhindern, dass uns einer der über 8000 bekannten „Near-Earth-Objekte“ (NEO) – Asteroiden, die die Erdbahn kreuzen – auf den Kopf fällt. Den letzten bekannten Einschlag gab es 1908 in der Tunguska-Region in Sibirien, einem dünn besiedelten Gebiet, dessen Explosion daher nur Millionen von Bäumen entwurzelte.
Trotzdem müssen wir ständig mit dem Schlimmsten rechnen, denn alle paar hundert Jahre kommt es zu einer gefährlichen Kollision eines dieser NEOs mit der Erde. Grund genug, das Forschungsprojekt NEOShield ins Leben zu rufen, um eine solche Katastrophe zu verhindern. Noch wird dieses Phänomen nur als Bedrohung, aber nicht als herannahende Apokalypse interpretiert. Aber der Jackpot im Lotto wird vom einzelnen Spieler auch nur mit äußerst geringer Wahrscheinlich geknackt, trotzdem kommt es immer wieder vor. Und was passiert? Man ist erstaunt und geht zur Tagesordnung über. Die Erde dreht sich weiter. Allerdings zog am 21. Dezember 2012 die Sonne zur Wintersonnenwende und das in einer besonderen Konstellation, in der sich die Erde, die Sonne und das Schwarze Loch der Milchstraße auf einer Achse befanden – ein Ereignis, das nur einmal alle 25.800 Jahre stattfindet. Nur eine Jackpot-Fantasie?
Und wenn schon: Totgesagte leben ohnehin länger. Man muss deshalb nicht gleich an die Wiener Berühmtheiten erinnern, die auf dem dortigen Zentralfriedhof in Ehrengräbern liegen – von Mozart, dessen Gebeine allerdings in einem Massengrab verloren gingen, bis zu Helmut Qualtinger, der nicht zu unrecht behauptete: „In Wien muaßt erst sterben, damit s‘ dich hochleben lassen – aber dann lebst lang.“
Von Katja B.V. Radziwill und Hermann Strasser