Special Olympics
Unverstellte Lebensfreude
Die Begeisterung darüber, eine Leistung erbracht zu haben, ist für sie oft grenzenlos. Für geistig beeinträchtigte Menschen hat der Sport eine ganz besondere Bedeutung.
Warum machen Sie, werte Leser, liebe rotarische Freunde, Sport? Oder sollten es wenigstens tun. Weil Bewegung gesund ist, weil Sie Spaß haben wollen und vielleicht ein echtes Team erleben? Weil Sie zeigen können, was in Ihnen steckt, weil Sie vielleicht sogar mit einem Pokal nach Hause kommen wollen, Ihre Freunde und Familie dann stolz auf Sie sind? Oder bloß, weil Sie fit bleiben oder werden wollen?
Alle diese Motive gelten auch für Menschen, die wir leichtfertigt „geistig behindert“ nennen. Zur Erinnerung: Diese Beeinträchtigung entsteht zum Beispiel durch Chromosomenabweichungen (zum Beispiel „Down-Syndrom“), durch Sauerstoffmangel während der Geburt, durch Gehirnhautentzündung im Kleinkindalter oder durch einen Unfall – um nur die wichtigsten Ursachen zu nennen. Diese Menschen denken ein wenig langsamer, aber dafür taktieren sie auch nicht. Abstraktion fällt ihnen schwerer, aber sie sind oft ganz stark, wenn es um Emotionen geht. Sie sind in ihrem Intellekt eingeschränkt, aber ansonsten eigenständige Persönlichkeiten mit Stärken und Schwächen, wie jeder von uns. Und trotzdem: Spiel, Sport und Bewegung hat für sie eine besondere Bedeutung.
Das liegt einmal daran, dass ihnen eine Reihe von Freizeitbeschäftigungen, für die eher abstraktes und strategisches Denkvermögen notwendig ist, weitgehend verwehrt sind. So kommen als sinnvolle und aktive Freizeitbeschäftigungen die Felder von „Spiel, Sport und Bewegung“ infrage. Sie helfen, passive Freizeitbeschäftigungen wie „Dauerfernsehen“ einzudämmen.
Der Sport nun ist von besonderer Bedeutung – warum? Hier sind einmal die erwähnten Gründe für das Sporttreiben. Sie gelten bei Menschen mit geistiger Behinderung genauso, wenngleich bisweilen anders pointiert: Spezielle Gründe liegen auf medizinischem Gebiet. Es ist erwiesen, dass bei diesem Personenkreis die Gefahr, krank zu werden, größer ist als im Rest der Bevölkerung.
Dies mag medizinische Ursachen haben (wie etwa höheres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Menschen mit Down-Sydrom) oder auch daran liegen, dass die Wahrnehmung von gesund oder krank sein eingeschränkt ist. Auch unser Medizinsystem ist auf Menschen mit geistiger Behinderung etwa in der Ausbildung von Medizinern nicht durchgängig gut vorbereitet. Hier beugt Sport oft vor und verhindert „Zivilisationskrankheiten“, denen man mit Bewegung zu Leibe rücken kann.
Special Olympics als die Sportorganisation von Menschen mit geistiger Behinderung geht noch einen Schritt weiter: Sie bietet am Rande von größeren Sportveranstaltungen auf Landes-, nationaler und internationaler Ebene das Programm „Healthy Athlets – Gesunde Athleten“ an. Sportler können sich dort freiwillig durch medizinische Fachkräfte durchchecken lassen, wenn es zum Beispiel um Zahngesundheit, um das Gehör, die Augen, den Bewegungsapparat (Füße) oder um gesunde Lebensweise geht. Mit den so niederschwellig gewonnenen Ergebnissen können sie sich dann zu Hause weiter beraten und behandeln lassen.
Mit Freude und viel Stolz dabei
Über die gesundheitlich positiven Wirkungen hinaus tragen – als eher psychologische Dimension – sportliche Leistungen und Erfolge beim Training und in Wettbewerben massiv dazu bei, das Selbstwertgefühl geistig behinderter Sportler zu steigern und zu festigen. Die meisten dieser Menschen sind nicht gerade erfolgsgewohnt. Gleichwohl möchten auch sie zumindest ab und zu stolz auf sich sein. Dies gilt auch für ihre Eltern, die die Tatsache, auf einmal ein geistig behindertes Kind zu haben, oft krisenhaft wahrgenommen haben.
Wer einmal eine Veranstaltung etwa von Special Olympics besucht hat, weiß es: Der Wille zur sportlichen Leistung ist spürbar. Die Freude, sie erbracht zu haben, ist oft grenzenlos. Sie stellt sich oft auch dann ein, wenn man nicht gesiegt hat. Erfolg ist es schon, die Ziellinie zu übersprinten, am Beckenrand anzuschlagen oder aufs Tor geschossen zu haben.
Prägnant drückt dies der Special-Olympics-Eid aus: „Ich will gewinnen! Doch wenn ich nicht gewinnen kann, will ich mutig mein Bestes geben.“ Mit einer solchen Haltung kann man zu einer Gesellschaft beitragen, in der man gerne lebt.
Vorurteile überwinden
Im dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte wurden Menschen mit geistiger Behinderung (man nannte sie damals amtlich „schwachsinnig“ oder „idiotisch“) im Rahmen des sogenannten Euthanasieprogrammes systematisch ermordet. Wenngleich durch den Einsatz von Eltern und Fachleuten, der Politik und der Wissenschaft in Deutschland und Österreich seit den 50er Jahren massive Fortschritte für das Leben behinderter Menschen realisiert werden konnten, ist ein Phänomen nicht verlässlich und dauerhaft überwunden – das der Vorurteile.
Sport treibende Menschen mit geistiger Behinderung widerlegen diese Vorurteile eindrucks- und freudvoll gleichermaßen: Athleten zeigen, dass sie etwas leisten wollen und können. Sie beweisen durch ihr regelmäßiges Training ihre Lern- und Bildungsfähigkeit, sie konfrontieren die Gesellschaft mit der ganzen Spannbreite der Gefühle. Natürlich gibt es auch Tränen der Enttäuschung, aber dominant ist eine unverstellte Lebensfreude, die ohne Kalkül vom Herzen kommt. Dies alles geschieht in einer fried- und freudvollen Atmosphäre, in der Aggressivität und Verbissenheit kaum Platz haben.
Sport bietet persönliches Erleben und Begegnung. Das sind die besten Instrumente, um Vorurteile abzubauen. Sport hat somit eine sozial integrative Kraft, dient der Inklusion und gewinnt so eine gesellschaftspolitische Dimension.
Wenn es gelingt, dass sich Sportvereine für geistig behinderte Menschen öffnen, wird dies zum „Win-win-Spiel“: Ein Personenkreis, der Gefahr läuft, ausgeschlossen zu werden, erfährt Miteinander und Teilhabe. Die Vereinslandschaft selbst wird durch derartigen Mitgliederzuwachs vielfältiger. Sport baut Bücken zwischen Menschen und bietet die Chance, Menschen, die man als „anders“ einschätzt, zu erleben und wertzuschätzen.
Teamarbeit
Ein Beispiel, wie das gelingen kann, sind die sogenannten unified teams bei Special Olympics. In allen Sportarten, wo es Mannschaften, Doppel oder Staffeln gibt, besteht das Team paritätisch aus behinderten und nicht behinderten Sportlern. Sie trainieren zusammen in ihrer Werkstatt oder im Verein und nehmen an Sportveranstaltungen teil. Die behinderten Teammitglieder erleben sich als gleichwertige „Player“ und ihre unified partner erfahren menschlich bereichernden Sport.
Fazit: Aktiver Sport ist für alle Menschen gut, ob behindert oder nicht. Für Menschen mit einer geistigen Behinderung hat er besondere Bedeutung, weil er deren Gesundheit fördert, ihr Selbstwertgefühl steigert, ihr Umfeld stolz sein lässt und dazu beiträgt, Vorurteile abzubauen. Sport wird damit zu einer Kraft, die die Gesellschaft verändern und menschlicher gestalten kann – auch im Sinne behinderter und sozial benachteiligter Menschen.