Vom 14. bis 25. März fanden in Österreich die Special Olympics Winterspiele statt – mit maßgeblicher Förderung durch Rotary.
Ohne den Sport wäre ich nicht der, der ich heute bin“, sagt Alessandro Dressadore. Er ist 23 Jahre alt, kommt aus Florenz und ist Skifahrer. Und geistig beeinträchtigt. Er spricht aus, was für alle Teilnehmer der Special Olympics 2017 gilt. Der Sport ist für sie Katalysator der Lebensfreude, Motor zum Glück und der Anlass für Stolz, wenn etwas gelingt, trotz einer Behinderung.
2700 Athletinnen und Athleten durften vom 14. bis 25. März in der Steiermark genau das erleben. Freude, etwas geschafft zu haben, sich überwunden und das Beste gegeben zu haben. So, wie es alle Sportler erleben. Ob sie nun berühmt sind, wie Marcel Hirscher, oder weniger bekannt, wie Alessandro. Ob sie nun eine Medaille erringen konnten oder nicht. Dem jungen Italiener hat es schon die Tränen in die Augen getrieben, als er als Fahnenträger seiner Nation in das Schladminger Planai-Stadion einziehen durfte, um in vorderster Reihe die feierliche Entzündung des olympischen Feuers mitzuerleben – unter dem begeisterten Jubel von mehr als 15.000 Zuschauern.
Eine besondere Ehre
Das war der Startschuss für das weltweit größte Sport- und Sozialereignis des Jahres 2017. Österreich erfuhr damit eine besondere Auszeichnung. Ist es doch außer den USA das einzige Land, in dem diese Olympischen Winterspiele für Menschen mit mentalen Beeinträchtigungen bereits zum zweiten Mal über die Pisten und Eisstadien gehen durften. 1993 waren die damals fünften Spiele dieser Art in Schladming und in der Stadt Salzburg zu Gast. Damals waren 1600 Sportler aus fünf Nationen vertreten. Heuer kamen sie aus 107 Nationen. Ein buntes Bild einer bunten Welt, in der sich Burkina Faso mit Aserbaidschan im Floorball matchte, Saudi Arabien im Eisschnelllauf mit Norwegen wetteiferte oder Korea im Alpinen Skilauf gegen Dänemark antrat.
Genauso bunt könnte auch unsere Alltagswelt sein. Die Special Olympics zeigten, dass es nicht so wichtig ist, ob man eine geistige Beeinträchtigung zu tragen hat oder nicht. Jeder hat sein Handicap, man sieht es nur nicht immer. Am ehesten bei den Versehrten, wenn Rollstuhlfahrer Rekorde aufstellen, Einarmige um die Wette schwimmen oder Beinamputierte einen Skihang herunterrasen. Deren Plattform für Hochleistungen sind die Paralympics, die Wettbewerbe für Sportler mit körperlicher Behinderung. Im Gegensatz dazu sind die Special Olympics die Arena für Sportler mit geistigen Beeinträchtigungen. Beide haben das gleiche Ziel: zu beweisen, dass ein friedliches Zusammenleben über Kontinente, Religionen und Vorurteile hinweg möglich ist.
Das war auch die Botschaft der Spiele in der Steiermark. Auch Menschen, die auf den ersten Blick nicht so leistungsfähig erscheinen wie andere, können über sich hinauswachsen – wenn sie eingebettet sind in ihrem Team, in der Gesellschaft. „Es geht um Emotionen, Anerkennung, Aufmerksamkeit und Gemeinschaft.
Die Special Olympics sind ein einzigartiges und unvergessliches Erlebnis für die Sportler selbst, ihre Trainer, Familien sowie Bekannte und Freunde“, sagte Giampiero Casale, der italienische Teamchef, „denn für Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung ist es nicht selbstverständlich, angefeuert, gelobt oder derartig unterstützt zu werden.“
Rotarische Gastfreundschaft
Wie man Menschen mit Beeinträchtigungen einbetten kann, wie warmherzig man sie in einem fremden Gastland empfangen kann, das hat Rotary zur Einleitung dieser Spiele bewiesen. 70 Clubs in ganz Österreich – von Vorarlberg bis Burgenland – haben Delegationen ein paar Tage vor Beginn der Wettbewerbe in ihrer Stadt aufgenommen und betreut. Dieses weltweit bisher einzigartige Host-Town-Programm hat denSportlern geholfen, sich in dem fremden, für viele exotischen Land zu akklimatisieren. Zugleich wurden den Athletinnen und Athleten die schönsten Seiten Österreichs gezeigt und sie bekamen einen Eindruck von Kultur, Tradition und den Werthaltungen im Herzen Europas.
Das Engagement der Clubs dabei war überwältigend. Manche hosteten gleich zwei oder mehr Nationen. Jeder Club organisierte ein spezielles Sightseeing-Programm für seine Gäste. Die Leibnitzer zeigten der Delegation aus der Ukraine die Südsteirische Weinstraße, der Club Voitsberg-Köflach präsentierte das Lipizzaner-Gestüt Piber, die Perchtoldsdorfer erzählten auf ihrem historischen Wehrturm den Sportlern aus Tadschikistan von der Türkenbelagerung 1683. Der RC Melk präsentierte die Wachau, der RC Graz-Zeughaus organisierte für die Slowaken eine Führung bei Harley-Davidson. In Wien gab es Besuche im Prater und im Belvedere, Höhepunkt war ein beeindruckender Empfang im Wiener Rathaus, bei dem Sportstadtrat Mailath-Pokorny den rund 900 Athletinnen und Athleten, die im Raum Wien zu Gast waren, viel Erfolg bei den Wettkämpfen wünschte. Häufig waren die Botschafter der Gaststaaten mit dabei, viele Clubs nahmen auch Kontakt auf mit einem Rotary Club aus dem Heimatland der Athleten. Auf diese Weise entstand ein einzigartiger rotarischer Brückenschlag um die Welt, und der Gedanke des Miteinanders wird noch lange nach diesen Spielen weiterwirken.
Abgesehen vom emotionalen Auftakt hatte dieses Host-Town-Programm, so wurde berechnet, einen Werbewert von 600.000 Euro. Damit reihte sich Rotary auch vom Kommerziellen her unter die großen Sponsoren.
Aber das war nur die in Zahlen gegossene Verbindung zu einer Initiative, die ein Rotarier aus Graz ins Rollen gebracht hat: Laurenz Maresch, inzwischen auch Vizepräsident von Special Olympics, hatte die Idee, nicht nur, wie sonst üblich, Städte und große Firmen als Gastgeber auftreten zu lassen, sondern die Rotary Clubs zu dieser Rolle einzuladen. „Respekt, Ehrlichkeit und freundschaftliches Miteinander sind Werte, die sowohl bei den Rotariern, als auch bei den Sportlern der Special Olympics hochgehalten werden. Das verbindet“, sagte Maresch – erfreut und überrascht zugleich, dass sich dem weit mehr Clubs in ganz Österreich anschlossen, als er je erwartet hätte. Lediglich drei Städte hatten als Host Towns auf dem Rathaus die Special-Olympics-Fahne gehisst, ohne dass dahinter ein Rotary Club gestanden wäre.
Heartbeat for the World
Über all dem stand die Vision von Eunice Kennedy Shriver, der Begründerin von Special Olympics. Die 2009 verstorbene Schwester von Präsident John F. Kennedy hatte das Ziel, durch die Kraft des Sports, durch Toleranz und Empathie die Lebensqualität von Menschen mit mentaler Beeinträchtigung zu verbessern. Dieser Vision der gelebten Inklusion hat sich auch Rotary verschrieben, so Laurenz Maresch: „Wir hoffen, dass wir mit unserem Engagement die Welt ein kleines Stück besser machen können.“
Die Familie Shriver steht seit der Gründung 1968 fest hinter der Idee. Heute führt Timothy P. Shriver als Vorsitzender die Arbeit seiner Mutter weiter. Begeistert zeigte er sich schon im Vorfeld über die Spielstätten in Österreich, und bei der Eröffnung war der Mann aus dem Kennedy-Clan ebenso dabei wie sein Ex-Schwager, der gebürtige Steirer Arnold Schwarzenegger. Sie erlebten einen Gänsehautmoment, als die Olympische Flamme entzündet wurde, die Flamme der Hoffnung, als Auftakt für die Spiele der Superlative. Die rund 2700 Aktiven wurden von mehr als tausend Trainerinnen und Trainern begleitet, von 3000 freiwilligen Helfern unterstützt und von mehr als 5000 mitgekommenen Familienmitgliedern und Freunden angefeuert. Wenn es nach dem gewaltigen Medienecho und dem Publikumsinteresse geht, sollte von diesen Spielen entsprechend ihrem Motto wirklich ein Heartbeat for the World ausgehen.
„Ich habe sehr fleißig trainiert, damit ich in unsere Mannschaft aufgenommen wurde. Snowboard zu trainieren ist bei uns in Chile nicht leicht. Aber ich wollte unbedingt einmal nach Europa kommen. Ich bin so glücklich, dass ich da bin“, sagte Ite aus Chile freudestrahlend beim großen Empfang im Wiener Rathaus. Mit beiden Händen drückte sie auf das Logo der Spiele auf ihrem Shirt, als wolle sie es nie mehr loslassen.
Gekämpft wurde mit sportlichem Ehrgeiz an vielen Schauplätzen. Die alpinen Ski- und Snowboardwettbewerbe fanden in Schladming statt, Nordischer Skilauf und Schneeschuhlauf wurden in der Ramsau, Eisschnelllauf und Eiskunstlauf im Eisstadion in Graz abgewickelt. Und damit auch Länder mit nicht-winterlichem Klima bei Winterspielen dabei sein können, gab es viele Wettbewerbe in Floorball, Floorhockey und im Stocksport. Die Sportarten sind bei Special Olympics etwas anders gewichtet als bei herkömmlichen Winterspielen und Weltmeisterschaften. Kampfgeist und Einsatzfreude waren es gewiss nicht. Dafür konnten aber doch letztlich wesentlich mehr Aktive mit Medaillen die Heimreise antreten, als dies bei herkömmlichen Wettkämpfen der Fall ist.
Insgesamt gab es mehrere Hundert Siegerehrungen, weil die vielen unterschiedlichen Arten und Ausprägungen von mentalen Beeinträchtigungen und Altersgruppen für eine gerechte Wertung zahlreiche Wertungsklassen erforderten.
Zahnuntersuchungen inklusive
Die Grade der geistigen Beeinträchtigungen unterliegen genauen medizinischen Definitionen. Bei leichter Intelligenzminderung können die meisten arbeiten und gute soziale Beziehungen pflegen. Das andere Ende der Skala sind Menschen mit einem Intelligenzalter von unter drei Jahren und hochgradiger Beeinträchtigung von Kommunikation und Beweglichkeit. Die Ursachen dafür reichen von Erbkrankheiten über Gehirnhautentzündungen bis zu Sauerstoffmangel während der Geburt.
Die häufigste genetische Ursache von geistigen Behinderungen ist das Down-Syndrom. Als häufigste nicht genetische Ursache gilt das fetale Alkoholsyndrom, also Alkoholkonsum der Schwangeren.
Geistige Behinderungen führen in Kombination mit Armut und sozialer Ausgrenzung in vielen Ländern zu weiteren gesundheitlichen Problemen, bis zur Vernachlässigung. So hatten viele der Athleten zuvor noch nie einen Zahnarzt besucht. Im Rahmen der Spiele wurden auf rotarische Initiative allen Teilnehmern kostenlose Zahnstatusuntersuchungen angeboten, in der Hoffnung, dass die Betreuer die oft drastischen Informationen zu Hause umsetzen. Auch orthopädische Beratung und Sehtests wurden angeboten, das Rahmenprogramm umfasste Veranstaltungen an Schulen und Vorträge von Prominenten.
Das alles stand im Dienste der großen Vision einer Gesellschaft ohne Ausgrenzung. Ein positiver Herzschlag für die Welt ist zweifellos von diesen Spielen ausgegangen, Rotary durfte dabei mithelfen. Bei den Wettkämpfen konnten nicht alle Sieger sein. Aber alle, die inzwischen aus der Steiermark in ihre Heimatländer zurückgekehrt sind, und alle, die mitgewirkt haben, konnten sich als Sieger der Menschlichkeit fühlen. Die Spiele sind vorbei, dieses Gefühl hoffentlich nicht.
Special Olympics International
ist die größte Sportbewegung weltweit für Menschen mit geistiger Behinderung und Mehrfachbehinderung. Special Olympics International wurde 1968 gegründet und hat seinen Sitz in Washington/USA. Von hier aus werden die nationalen Special-Olympics-Programme koordiniert.
specialolympics.com
Dr. Hubert Nowak, RC Perchtoldsdorf, ist Buchautor und Medienberater. Er war 40 Jahre lang als Journalist und Manager in verschiedenen Funktionen im ORF tätig, darunter als Moderator und stellvertretender Chefredakteur der „Zeit im Bild“ und als Landesdirektor des ORF Salzburg.
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