Eine Werbekampagne löste die erste Kontroverse um Sinn und Unsinn des Reformationsjubiläums aus. Anmerkungen dazu von Aleida Assmann
Aleida Assmann01.01.2017
Das 500. Jahr der Wiederkehr der Reformation hat am 31. Oktober 2016 begonnen. Die Vorbereitungen zu diesem Mega-Jubiläum sind seit Jahren in vollem Gange. Nicht nur die Kirchen, auch die Städte, Museen, Universitäten, Schulen, Vereine und Gemeinden sind mit intensiven Vorbereitungen beschäftigt. Unzählige Reformations-Konzerte und andere musikalische Großveranstaltungen sind in ganz Deutschland geplant. Der Zeitdruck ist groß, und die Erwartung steigt. Man hat alle Hände voll zu tun, und das gilt nicht nur für Pfarrer, Theologen, Künstler und Politiker, sondern gerade auch für Organisationsmanager und Werbefachleute.
Apropos Werbung: Vielleicht ist Ihnen eine kleine rechteckige Anzeige aufgefallen, die seit November 2016 in die Tageszeitungen eingerückt ist. In türkisen Großbuchstaben auf beigem Grund ist dort „DER LUTHER EFFEKT“ zu lesen. Es folgt ein Hinweis auf die gleichnamige Ausstellung im Deutschen Historischen Museum im Martin-Gropius-Bau, die im April 2017 eröffnet wird, darunter in pink die Aufforderung, sich online Tickets unter der Bestelladresse „3xHAMMER.DE“ zu sichern. In der rechten unteren Ecke ist in pink ein kleiner Hammer zu sehen.
Wer diese Anzeige unterschwellig wahrnimmt, kann nicht ahnen, wie viel Zündstoff in diesem Rechteck steckt. Unter der glatten Oberfläche dieser Anzeige brodeln derzeit die lebhaftesten Kontroversen um Sinn und Unsinn des Reformationsjubiläums. Der große Streit entzündet sich an dem kleinen Hammer, den Werbefachleute als leicht erkennbares Logo für drei Großveranstaltungen des Jubiläumsjahres ausgewählt haben.
„3 × der Hammer“ – so werden die drei großen Sonderausstellungen in Berlin, Wittenberg und Eisenach beworben, die jeweils die globale, individuelle und nationale Dimension des Themas Reformation entfalten sollen.
Der Hammer hat es in sich. Er hatte eigentlich nur Aufmerksamkeit für die Veranstaltungen mobilisieren und die Daten ins Gedächtnis hämmern sollen, ist aber nun zu einer Art Kriegsbeil geworden. Was der Hammer ausgelöst hat, lohnt eine genauere Betrachtung, weil uns diese Frage ins Zentrum des Reformationsgeschehens, zu seiner Überlieferungsgeschichte und zu unserem aktuellen Verhältnis zu Luther führen kann.
Dekonstruktion eines Mythos
Der Thesenanschlag an der Schlosskirche zu Wittenberg ist zum Gründungsmythos der Reformation geworden. Er fasst Handlung und Wirkung von Luthers 95 Thesen, die er an seine Vorgesetzten verschickt hat, in einem prägnanten Bild zusammen. Dieses Bild ist bis heute im kollektiven Gedächtnis geblieben und bestimmt weiter unsere Vorstellung. Diese Geschichte geht freilich nicht auf Luther selbst, sondern auf seine engen Vertrauten und Freunde zurück. Dass Luther seine Thesen gegen das Ablass-System an die Türen der Wittenberger Kirchen angeschlagen habe, erfahren wir von seinem Sekretär Georg Rörer; die andere Quelle ist der Freund Philipp Melanchthon, der jedoch auch kein Augenzeuge des Thesenanschlags war, weil er erst ein Jahr später nach Wittenberg berufen wurde. Auf dieser Quellenbasis bildete sich die Erzählung vom Thesenanschlag, die aber erst nach Luthers Tod weitere Kreise zog und im Laufe der Zeit auch zum Lieblingsmotiv der Maler und Illustratoren wurde. 444 Jahre lang konnte man gut mit dieser Erzählung leben und sie weitererzählen. Bis ins Jahr 1961 kam niemand auf die Idee, diese Episode der Geschichte in Frage zu stellen. Der erste Zweifler war ein katholischer Lutherforscher, der die Zunft der Historiker zum ersten Mal auf die schüttere Quellenbasis des Gründungsereignisses der Reformation aufmerksam gemacht hat. Sie haben sich von seiner Skepsis anstecken lassen und sehen nun ihre Aufgabe in der Aufklärung.
Mit ihren Schriften bemühen sie sich, die Aufmerksamkeit von der Episode des Thesenanschlags abzuziehen, festsitzende Schablonen aufzulösen und Irrtümer zu beseitigen. Die Historiker haben viele Argumente parat, um uns eines besseren zu belehren: Nein, Luther hat nicht genagelt, sondern seine Thesen auf die Post gegeben und seinen Adressaten zugeschickt. Nagelspuren sind sowieso keine nachzuweisen, weil die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg im 18. Jahrhundert abgebrannt ist. Und wenn er sie an die Kirchentür geheftet hätte, dann hätte er auf keinen Fall Nägel, sondern eher Leim oder Wachs zum ankleben benutzt. Manche Erklärungen sind auch widersprüchlich; die einen sagen, ein Thesenanschlag wäre gegenüber dem Versenden der Briefe die deutlich größere Provokation gewesen, die Luther damals unbedingt vermeiden wollte; die anderen sagen, dass ein Thesenanschlag, hätte er stattgefunden, völlig unspektakulär gewesen wäre, weil die Kirchentüren damals als „schwarze Bretter“ akademischer Verlautbarungen dienten.
Geschichte und Gedächtnis
Hier haben wir einen Bilderbuchfall für den Gegensatz zwischen „Geschichte“ und „Gedächtnis“ vor uns. Geschichte verfährt nüchtern und sachlich, sie verfolgt keine besonderen Interessen, argumentiert ausgeglichen und arbeitet mit Fußnoten. Das Gedächtnis dagegen bevorzugt schnelle Wege, starke Eindrücke, klare Bilder und vor allem Emotionen. Zwischen dem Anliegen der Werbefachleute einerseits, die gerne dramatisieren und zuspitzen, und den Historikern andererseits, die ausgleichen, versachlichen und allem Sensationellen abhold sind, ist der Konflikt also vorprogrammiert. Die einen sind Anwälte der Vergangenheit, die sie so genau wie möglich rekonstruieren, die anderen haben das Publikum und die Museumskassen im Blick und handeln als Anwälte der Gegenwart. Kein Wunder also, dass für die Historiker die Werbekampagne ein (Hammer-)Schlag ins Gesicht ist. In dieser Situation verlieren auch sie ihre Nüchternheit und entdecken ihre Emotionen. Es blitzt und donnert, es kommt zu Empörungen, scharfen Briefen und Austritten aus Gremien.
Die Konfrontation zwischen Werbefachleuten und Historikern lässt sich etwas umperspektivieren, wenn wir hier einige Grundprinzipien der Erinnerungsforschung mit heranziehen. Geschichtsereignisse haben nämlich nicht nur eine Vorgeschichte und einen Verlauf, der von den Historikern so genau wie möglich rekonstruiert wird, sondern auch eine Nachgeschichte, die zeigt, wie die Ereignisse im kulturellen Gedächtnis dargestellt, gedeutet, erinnert und weitergegeben wurden.
Sofern es sich um Ereignisse handelt, die nicht gleich wieder ins Dunkel der Vergangenheit zurückfallen und nur noch Spuren im Archiv hinterlassen, sondern die im öffentlichen Bewusstsein bleiben, mit neuem Leben erfüllt, von Generation zu Generation weitergegeben und dabei immer wieder neu gedeutet werden, hat diese Nach- oder Gedächtnisgeschichte selbst Ereignischarakter und kann folglich ihrerseits zu einem legitimen Gegenstand historischer Forschung werden. Man kann dabei zum Beispiel zeigen, wie die Wirkungen der Reformation von den Intentionen der Reformatoren immer stärker abgekoppelt und mit den Zielen und Bedürfnissen der jeweiligen Gegenwart verbunden wurden.
Das kann man als eine „Verfallsgeschichte“ der reinen Lehre bewerten, man kann solche historischen Verschiebungen aber auch in ihrer eigenen Dynamik studieren, als Zeichen einer lebendigen Auseinandersetzung verstehen und in ihren jeweiligen historischen Kontexten verorten. Legendenbildung, Verfälschung und politische Instrumentalisierung sind Kampfbegriffe der Historiker, die zum wichtigen Rüstzeug der wissenschaftlichen Kritik, Aufklärung und Dekonstruktion gehören. Sie müssen aber, wenn wir es mit Ereignissen zu tun haben, die auch die ganze Gesellschaft interessieren, ergänzt und zusammengedacht werden mit Begriffen wie Wirkung, Rezeption und Reaktualisierung. Wenn wir das kulturelle Gedächtnis mit einbeziehen, geht es nicht nur um die Frage: Was wurde verfälscht?, sondern auch um die Frage: Warum wurde etwas auf diese oder jene Weise erinnert und, noch schwieriger: Warum kann man es nicht vergessen?
Die Macht der Bilder
Für den hartnäckigen Haftungseffekt von Bildern im kulturellen Gedächtnis hat sich bereits Anfang des 20. Jahrhundert der Kunsthistoriker und Kulturtheoretiker Aby Warburg interessiert. Er untersuchte im kulturellen Bildgedächtnis langfristige Formen und Prägungen, die Jahrhunderte überdauern können. Dabei analysierte er an Bildern nicht nur ihre ästhetische Form, sondern gerade auch ihre emotionale Ladung. Sein Freund und Kollege Fritz Saxl sprach im Zusammenhang antiker Bilder von „Prägnanzbildung“ und meinte damit die Variabilität eines Bildtyps, der auf der Suche nach seiner gültigen Form ist. Denn erst in dieser prägnanten Form ist das Maximum an Prägnanz und Energie erreicht, die dann immer wieder abrufbar und sehr schwer zu löschen ist.
Die Komplementarität der Perspektiven, um die es hier geht, lässt sich sehr gut an der Doppelbedeutung des Wortes „Mythos“ verdeutlichen. Für die Historiker ist der Thesenanschlag Luthers ein Mythos, weil er kein Faktum ist und es für ihn keine gesicherte Quellenlage gibt. Ein Mythos kann aber auch etwas anderes sein, nämlich eine fundierende Geschichte. In diesem Sinne ist die Episode vom Thesenanschlag zum Gründungsmythos der Reformation geworden. Gründungsmythen sind die Basis von Institutionen und das Bindemittel von „vorgestellten Gemeinschaften“. Sie definieren historische Erfahrungen und konturieren unser Selbstbild.
Auch diese Erzählungen sind in westlichen Demokratien nicht kritikresistent, aber sie werden nicht abgewählt, weil sie in einem bestimmten Detail falsifiziert werden oder nicht verifizierbar sind, sondern erst, wenn sich die Gruppe insgesamt in ihnen nicht mehr wiedererkennt und sie nicht mehr gebraucht werden. Tatsächlich geht es bei der gegenwärtigen Kontroverse nicht nur um Mythos Nr. 1 und die fragliche Faktizität des Thesenanschlags, sondern viel weitreichender auch um Mythos Nr. 2 und die fundierende Geschichte.
Der aktuelle Streit geht also in erster Linie darum gar nicht darum, wie es mit dem Thesenanschlag eigentlich gewesen ist (Mythos Nr. 1). Dieses Feld erweist sich sehr bald als ein Nebenschauplatz der Kontroverse. Im Grunde geht es um viel mehr, nämlich um die Frage: Mit welchem Lutherbild wollen wir leben? (Mythos Nr. 2). Die Historiker wollen den Hammerschlag einklammern und diese Episode am liebsten aus der Luther-Erzählung streichen. Dafür haben sie einen triftigeren Grund: Sie werben dafür, sich mit einem Lutherbild anzufreunden, das ohne Hammer auskommt.
Eine Erfindung des 19. Jahrhunderts
Ein besonderer Dorn im Auge der Historiker ist die „ideologische Historienmalerei“ des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Das war die Zeit, in der das Lutherbild geschaffen wurde, mit dem wir noch heute leben. Sie richtet sich mit ihrer Kritik im Grunde gegen das, was das deutsche Kulturbürgertum des 19. Jahrhundert aus der Episode des Thesenanschlags gemacht hat: einen nationalen Gründungsmythos. Tatsächlich gewann in der Zeit des Zweiten Kaiserreichs Luther eine ganz neue Gestalt und historische Bedeutung. Die neue (verspätete) Nation musste sich ein Geschichtsbild zurechtlegen, das die Nation von außen als ein klar konturiertes Kollektiv und von innen als eine Gruppe mit gemeinsamen Vorstellungen und Werten begründete. Luther, der bis dahin vorwiegend ein Protagonist der Religionsgeschichte war, wurde nun als ein überdimensionaler Held der Nationalgeschichte inszeniert. Mit diesem politisierten Nationalhelden, der auch ins „Dritte Reich“ übernommen wurde, können wir uns heute nicht mehr so einfach identifizieren. Wir hängen aber weiter an den Zügen, mit denen ihn die Historienmaler ausgestattet haben. Jede Reanimierung reaktualisiert unweigerlich auch diese alten Muster, die sich tief in unsere Phantasie und unser Gedächtnis eingegraben haben.
Das berühmteste Bild des Thesenanschlags hat Ferdinand Pauwels gemalt. Es stammt nicht zufällig aus den Jahren 1870/71 und trägt den Titel: „Luther schlägt die Thesen an“. Wir sehen einen anklagenden Luther, der überraschten und zögerlichen Mitbürgern ernst und unerschrocken in die Augen blickt. Die linke Hand hat er zur Faust geballt, während er mit dem Hammer in der rechten hinter sich auf die bereits angeschlagenen Thesen klopft bzw. pocht. In diesem Bild ist der Hammer genau genommen schon kein Werkzeug mehr, sondern zum zentralen Symbol der Reformation geworden.
Die so überaus erfolgreiche Wirkungsgeschichte der „ideologischen Historienmalerei“ ist selbst ein spannendes Thema für die historische Gedächtnisforschung, hat sie es doch geschafft, Luther die Gestalt zu geben, mit der er im kulturellen Gedächtnis weiterlebt. Es ist offenbar gar nicht so leicht, ein solches „Nachleben“ in der populären Vorstellungwelt und im kulturellen Imaginären auf Befehl abzubrechen.
Die Gestalt Luthers lebt in einer Imaginationsgeschichte, die nicht ohne weiteres zu revidieren, zu löschen oder zu ersetzen ist. Die Historiker haben es daher schwer, mit ihren Fakten und ihrer Skepsis gegen das menschliche Bilderbegehren anzukommen. Warburg hat in einer wichtigen Studie gezeigt, dass Luther in seiner Zeit selbst Opfer eines heftigen Bilderstreits wurde; heute ist er das Opfer der Historienmalerei des 19. Jahrhunderts geworden.
Seine „Gedächtnis-Geschichte“ lässt sich vom „Bildersaal der deutschen Geschichte“ und den Werken der Künstler nicht mehr ablösen, die die Geschichte der Reformation in wirkmächtige Bilder, Topoi und Pathosformeln verwandelt haben. In diesen offenbar nicht auszurottenden Bildern und dem Bedürfnis nach ihnen spricht sich eine Geschichte der Gefühle aus, die von den historischen Ereignissen her immer noch mit Energie gespeist werden. Der Thesenanschlag bleibt der Gründungsmythos der Reformation. Der Hammer ist der Hammer! Die anhaltende Bedeutung der Reformation zeigt sich bis heute in ihrer Streit- und Faszinationsgeschichte.
Wer hat Angst vor dem Hammer?
Aber was ist das eigentlich für ein Symbol? Warum kann man mit diesem Thesenanschlag nicht mehr leben? Warum ist heute um dieses Symbol ein so heftiger Streit entbrannt, dass Türen zugeschlagen, Kontakte abgebrochen und Gremien gesprengt werden?
Meine Vermutung ist, dass es hier längst nicht mehr um den Thesenanschlag und auch nicht mehr um Luther, sondern um unser Selbstbild geht. Wir wollen uns als Deutsche nicht mehr in einem Luther spiegeln, der den Typus des heroischen, hammerschwingenden Tatmenschen verkörpert. Wir leben inzwischen in einem post-nationalen und post-heroischen Zeitalter, weshalb uns Luther als nationaler Heros im Kostüm des 19. Jahrhunderts nicht nur fremd, sondern auch unerträglich geworden ist.
Wir haben das berechtigte Bedürfnis, diese Geschichte heute anders, moderater zu erzählen. Das ist die durchaus verständliche Haltung einer deutschen Nachkriegsgeneration. Müssen wir also ganz auf den Hammer verzichten? Ich meine: nicht unbedingt, wenn wir ihn einmal anders und weniger männlich lesen. Dann steht er für die Gewalt einer Erneuerung, die ausnahmsweise einmal nicht mit der Waffe, sondern mit einem einfachen Haushaltsgegenstand errungen wurde.
Eines steht jedenfalls fest: Die Zensur der Bilder, das Verbot des Hammers ist kein gangbarer Weg. Ganz im Gegenteil können wir diesen Bildern nur dann einiges von ihrer Suggestivität nehmen, wenn wir uns nicht nur mit der Geschichte, sondern auch mit der Gedächtnisgeschichte der Reformation beschäftigen. Denn nicht, indem wir diese Bilder perhorreszieren und eliminieren, sondern erst wenn wir diese Bilder ausstellen, kommentieren und diskutieren, können wir sie einordnen, uns von ihnen distanzieren und sie als gelebte und abgelebte Formen eines historisch gewordenen Bildes von Luther und der Reformation verstehen.
Nichts spricht deshalb dagegen, die Dimension der populären Imagination anzuerkennen und sie als einen vitalen Teil der Reformationsgeschichte zu begreifen. Auch der Kulturgeschichte des Imaginären gebührt ein Platz im Museum. Unser Bild verengt sich und wird flach, wenn wir auf diese Dimension verzichten, die nicht als Konkurrenz, sondern als wichtige Ergänzung zur fachwissenschaftlichen Darstellung verstanden werden sollte.
Die Ausstellung und Kommentierung der Ikonographie und Inszenierungsformen der Reformation bis in die Gegenwart hinein sollten kein Motiv für ein Zerwürfnis sein, sondern die Kontaktstelle einer produktiven interdisziplinären Zusammenarbeit bilden!
Die Hammer-Debatte
Dem Reformationsjubiläum fehlt es nicht an öffentlicher Aufmerksamkeit. Die kirchlichen und staatlichen Organisatoren ziehen seit Monaten schon alle Register. Luther überall! Auf Plakatwänden und Werbebroschüren, in den Feuilletons und Veranstaltungskalendern. Die Zahl der Luther-Bücher ist schier unendlich geworden, die der Werbegags auch – von der Luthertomate bis zur Playmobilfigur. Nur eines fehlt diesem Jubiläum: die große öffentliche Debatte, die leidenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Erbe des Reformators und seiner Bedeutung für unsere Gegenwart. Gedenkroutine ohne Erinnerungskraft.
Nun hat ausgerechnet die Werbekampagne für die drei nationalen Sonderausstellungen zum Reformationsjubiläum für die erste wirkliche Kontroverse gesorgt. Um „die volle Wucht der Reformation“ zu versinnbildlichen, hat die beauftragte Berliner Agentur sich der symbolischen Schlüsselszene vom hammerschlagenden Reformator bedient und den Slogan „3xHammer“ kreiert. Dies stieß auf scharfe Kritik bei den Reformationshistorikern im Wissenschaftlichen Beirat der EKD, die um ein differenziertes Geschichtsbild zugunsten platter Werbebotschaften fürchten. So bemängelt der Göttinger Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann, dass „mit dem Hammer eine ikonisch-symbolische Verdichtung gewählt wurde, die weder mit den Inhalten der Ausstellungen noch mit den Tendenzen der Reformationsgeschichtsforschung der letzten Jahrzehnte vereinbar ist“. Zudem kritisiert Kaufmann, dass durch die Kampagne der Fokus zu sehr auf die Person Luthers gerichtet wird und dadurch die Breite der reformatorischen Bewegungen aus dem Blick gerät.
Ihm antwortet die Kulturanthropologin Aleida Assmann mit dem Plädoyer, auch die Erinnerungsgeschichte eines solchen Ereignisses als Teil seiner historischen Wirkung und Bedeutung zu begreifen.
Prof. Dr. Aleida Assmann ist Professorin für Anglistik und Literaturwissenschaften in Konstanz. Zu ihren Werken gehört u. a. „Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik“ (C. H.Beck 2014) und Reflexion zu Johann Sebastian Bach: Ein ungefärbt Gemüt", Gallus Media 2017. netzwerk-kulturwissenschaft.de