Sportförderung in Österreich
"Weg mit der Gulasch-Methode "
Österreichs Olympia-Generalsekretär Peter Mennel fordert eine Reform der Sportförderung und sondiert eine Bewerbung um die Spiele.
Das Foyer im Erdgeschoss wirkt spartanisch. Weiße Wände, nackter Boden, Treppe, Aufzüge und eine einfache Tafel mit den Namen der Organisationen, die hier arbeiten. Ein Zweckbau in einer Zeile mit Wohnhäusern und Bürogebäuden an einer viel befahrenen Straße im dritten Wiener Bezirk. Von außen weist nichts darauf hin, dass hier die Zentrale des österreichischen Spitzensports sitzt: die Sporthilfe, die Nationale Anti-Doping-Agentur Austria und vor allem das Österreichische Olympische Comité (ÖOC). Bei den Spielen in Rio de Janeiro will ÖOC-Generalsekretär Peter Mennel ein Zeichen setzen – und das Trauma von London 2012 überwinden.
Herr Mennel, bei den letzten Olympischen Sommerspielen 2012 in London hat Österreich keine einzige Medaille gewonnen. Wie verhindern Sie, dass Rio eine Nullnummer wird?
Wir haben viel dafür getan. Und wir schicken Sportler nach Rio, die kein Glück brauchen, um eine Medaille zu holen. Wenn unsere besten Athleten ihre Topleistung abrufen können, haben sie gute Chancen auf eine Medaille. Aber sie dürfen natürlich auch kein Pech haben wie ein Schweizer Kanute in London, dem am Start das Paddel gebrochen ist. Darüber hinaus haben wir noch eine Handvoll Anwärter auf sogenannte Hoffnungsmedaillen. Soll heißen: Um da zum Erfolg zu kommen, braucht man ein Quäntchen Glück. Insgesamt rechne ich mit drei bis fünf Medaillen.
In welchen Disziplinen?
Beim Segeln haben wir mit zwei Booten sehr, sehr gute Chancen. Auch im Judo bei den Frauen dürfen wir uns berechtigte Hoffnungen machen. Beim Schießen können wir gut abschneiden. Und beim Beachvolleyball kann je nach Auslosung durchaus das eine oder andere möglich sein. Ich bin sehr zuversichtlich, dass Rio für uns keine Nullnummer wird. In London hatten wir zwei vierte Plätze zu Buche stehen, haben eine Medaille nur knapp verpasst.
Was haben Sie seit London geändert, um wieder nach vorne zu kommen?
Wir haben in Österreich das Projekt Rio gestartet, initiiert vom Minister und ausgestattet mit 20 Millionen Euro. Wir konnten alle erforderlichen Maßnahmen finanzieren, die ein Sportler braucht, um sich optimal auf die Spiele vorzubereiten. Es gibt keinen einzigen Athleten, der sich benachteiligt fühlte, weil er dieses oder jenes nicht machen konnte. Es wurden Boote gekauft, es wurden Segel gekauft, es wurde die Strömungsanalytik eingesetzt. Kurz: Wir haben keine Mühen und Kosten gescheut, um eine neue Nullnummer zu vermeiden.
Warum ist die Alpenrepublik ausgerechnet im Segeln so gut?
Das hat eine gewisse Tradition. Außerdem haben wir Seen, die zum Segeln einladen. Da erhalten die Kinder und Jugendlichen schon eine gute Grundlage. Hinzu kommt, dass der Segelverband sehr professionell geführt wird. Und was für mich das große Erfolgsgeheimnis ist: Der Sportdirektor im Segeln holt immer wieder international erfolgreiche Trainer nach Österreich. Das bringt im wahrsten Sinne des Wortes frischen Wind. Solcherart werden auch die heimischen Trainer ans internationale Niveau herangeführt.
Ist das in anderen Sportarten nicht so?
Leider nicht. Gulasch wird im eigenen Saft zwar besser, aber das trifft nicht auf den Sport zu. Wir können das ja auch bei anderen Nationen beobachten. Norwegen hat einen österreichischen Alpin-Chef, Kanada hat einen österreichischen Alpin-Chef, in Amerika haben sie einen österreichischen Alpin-Chef, um nur einige Beispiele zu nennen. Das heißt: Die anderen Nationen holen sich auch ausländische Trainer, die Weltspitze sind. Das ist ein Ansatz, den wir noch verbessern können.
Wie viele Sportler schickt Österreich nach Rio?
65. In London waren es 70.Aber gefördert wurden für Rio 94 Aktive. Darunter war auch eine Handballmannschaft, die sich nicht qualifizieren konnte. Auch unsere Flachwasser-Kanutinnen haben den Quotenplatz versäumt. Einige Schwimmer sind gescheitert, das gilt auch für die Ringer. So fallen einige Athleten weg, mit denen wir eigentlich fix gerechnet hatten.
Wie viel Geld steckt Österreich in die Sportförderung?
Der Gesamtsport, also Spitzensport und Breitensport zusammen, erhält im Jahr ungefähr 125 Millionen Euro an Förderung.
In Deutschland diskutieren Sportler und Politiker, ob sich die Förderung nur auf die international sehr erfolgreichen Disziplinen konzentrieren soll. Denken die Österreicher ähnlich: Weniger Sportarten fördern als bisher, dafür aber weltweit an der Spitze mitspielen?
Ich bin ein Anhänger dieser Philosophie. Für uns ist das Thema längst fällig, dass man sich auf Kernsportarten konzentriert, in denen wir in der Vergangenheit erfolgreich waren und wo wir auch in Zukunft Medaillen erwarten können. Das heißt aber nicht, dass Sportarten außerhalb dieses Kerns gar kein Geld mehr bekommen. Wenn in einer Nicht-Kernsportart ein überdurchschnittliches Talent auftaucht, kann man das selbstredend auch fördern. Aber wir müssen den Mut aufbringen zu definieren: Das sind die Sportarten, in denen wir in Zukunft erfolgreich sein wollen.
Wie viele Disziplinen wären das?
Zwischen sieben und zehn für die Sommerspiele. Im Winter sind wir ja schon sehr erfolgreich. Die Schweiz macht es uns seit Jahren vor. Sie konzentriert sich auf bestimmte Sportarten und ist dort sehr erfolgreich, holte zum Beispiel in London vier Medaillen, zweimal Gold, zweimal Silber. Vor zehn, 15 Jahren waren die Eidgenossen im Mountainbiking nicht sonderlich erfolgreich, jetzt sind stets eine Reihe von Schweizern unter den Weltbesten zu finden. Auch Neuseeland – mit 13 Medaillen in London – macht es so.
Das Konzept der Kernsportarten wird nicht allen gefallen. Wir müssen diese Diskussion jetzt anstoßen. Natürlich werden einige Verbände protestieren. Primär muss die Politik den Mut haben zu sagen: Jawohl, das wollen wir. Und dann ist der gesamte Sport gefordert, das umzusetzen. Wahrscheinlich muss dafür auch das Bundessportförderungsgesetz geändert werden.
Warum definieren Sie nicht ausschließlich Wintersportarten zu Kernsportarten, da ist Österreich doch sehr erfolgreich?
Solch eine Diskussion gab es bislang noch nie. Ich halte sie auch nicht für sinnvoll. Wir brauchen den Sommersport genauso wie den Wintersport. Es gibt eine Reihe von Wintersportlern, die in ihren Anfängen Sommersport betrieben haben. Wer beispielsweise bis zu seinem zwölften Lebensjahr Turner war, ist bestens für Slopestyle geeignet. Er kennt seinen Körper, beherrscht ihn.
Wie spüren Sie denn Talente auf? Schicken Sie Scouts durchs Land?
Wir als ÖOC haben keine Scouts. Die Talentesuche ist Sache des jeweiligen Verbandes. Inzwischen gibt es auch einige private Initiativen. So ein Best-Practice-Beispiel ist für mich der Mehrkampf. Dort haben wir mit Sarah Lagger ein großes Talent. Sie wurde von dem ehemals sehr erfolgreichen Zehnkämpfer Georg Werthner entdeckt – er fungiert jetzt auch als ihr Trainer. Es gibt natürlich auch den regulären Schulsport, auch dort können Talente auffallen. Aber mit Sport erst in der Schule zu beginnen ist grundsätzlich zu spät. Man müsste schon im Kindergarten mit regelmäßigen Bewegungseinheiten beginnen. Man muss die Kinder zum Sport animieren. Erwiesenermaßen lernen sie dann auch leichter, weil sie sich besser konzentrieren können.
Sinkt das Interesse der Kinder, selbst Sport zu betreiben?
Insgesamt hat es eher abgenommen. Aber die Lage ist je nach Sportart unterschiedlich. Der Skisport hat in Österreich eine besondere Bedeutung; da haben wir viele junge Talente, da gibt es in der Regel kaum Nachwuchssorgen. Die entscheidende Frage ist: Bin ich bereit, den Preis für Spitzensport zu bezahlen? Spitzensport bedeutet eine Einschränkung der persönlichen Freiheit und erfordert schon in jungen Jahren ein hohes Maß an Disziplin und Konsequenz. Und nach der Schule steht die Entscheidung an: Beruf oder Weltspitze? Da kommt eine Angst hoch: Wenn ich in die Weltspitze will, kann ich dann mein Leben noch finanzieren?
Wie unterstützt Österreich seine Spitzensportler finanziell?
Einige gehen zum Bundesheer oder zur Polizei. Dort gibt es eine bestimmte Anzahl an Plätzen für Spitzensportler. Ansonsten erhält jeder Spitzensportler auch einen monatlichen Beitrag von der Sporthilfe.
Welche Rolle spielen Sponsoren?
Das ÖOC verfügt über durchweg sehr engagierte Sponsoren. Ohne sie könnten wir zum Beispiel die Olympischen Spiele gar nicht beschicken. Für die Beschickung nach Rio bekommen wir öffentliche Mittel, sie machen ein Drittel der Gesamtkosten aus, ein Drittel stammt aus sonstigen Einnahmen wie Einnahmen des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), und für ein Drittel brauchen wir die Mittel unserer Partner. Ohne Sponsoren müssten wir circa 30 Athleten zu Hause lassen, also fast jeden zweiten des aktuellen Teams.
Was kostet die olympische Teilnahme?
Um einen Athleten nach Rio zu schicken, brauchen wir – Personalkosten exklusive – zwischen 25.000 und 30.000 Euro pro Athlet.
Sind Olympische Spiele in ihrer Gigantomanie überhaupt noch zeitgemäß?
Ich glaube: absolut. Sie sind nach wie vor etwas ganz Besonderes. Das zeigt sich schon in der Sprache. Wir sprechen von Ex-Weltmeistern, aber nie von Ex-Olympiasiegern. Ein Olympiasieger bleibt Zeit seines Lebens Olympiasieger. Es wird einen Wandel der Spiele geben, angestoßen durch die Agenda 2020 von IOC-Präsident Thomas Bach. Es wird keine Sportstätten geben, die nach den Spielen niemand mehr braucht. Es wird die Möglichkeit geben, bestimmte Sportarten in einem anderen Land als dem des Olympia-Ausrichters zu veranstalten. Wenn man für die Eisdisziplinen mehrere Hallen braucht, macht es keinen Sinn, in einem einzigen Einzugsgebiet fünf riesige Hallen zu bauen. Vielmehr muss man dann den Mut haben zu sagen: Fürs Eishockeyspiel fliegen wir die Teams in eine andere Stadt, in ein benachbartes Land, wo es solch eine Halle schon gibt.
Das Interesse der Städte und Länder, die Spiele auszurichten, sinkt.
Nein, drei europäische Städte überlegen, sich für die Sommerspiele 2024 zu bewerben. Auch bezüglich der Winterspiele 2026 denken mehrere Städte nach.
Wann bewirbt sich Österreich wieder?
Es gibt durchaus Bundesländer, die Interesse zeigen. Vier von insgesamt neun Bundesländern haben Gesprächsbereitschaft signalisiert. Mit ihnen werden wir diskutieren und prüfen, ob wir gemeinsam ein Konzept für eine Bewerbung entwickeln können. Danach müssen wir prüfen, woher das Geld für die Bewerbung kommen kann. Wenn alles ganz schnell geht, könnte man schon an die Winterspiele 2026 denken, sonst an 2030.
Warum keine Bewerbung für dieSommerspiele?
Das ist für Österreich kein Thema, weil das Land dafür nicht die Kapazitäten hat, ausgenommen Wien. Aber Wien hat in einer Umfrage vor zwei, drei Jahren ganz klar Nein gesagt. Wenn sich ein Nachbarland bewirbt und wir hätten eine Sportstätte, die dem Land ins Konzept passt, dann werden wir sicher nicht Nein sagen. Aber so lange gilt: Sommerspiele sind in Österreich nicht machbar.
Dr. Peter Mennel
ist seit Juni 2010 Generalsekretär des Österreichischen Olympischen Comités. Zuvor war der Jurist Vorstandsvorsitzender der Sparkasse Bregenz. Für den Sport engagiert er sich schon lange, insbesondere für Ski und Eishockey. Seine Hobbys sind allerdings nicht olympisch: Extrembergsteigen und Fliegen. Mennel ist Mitglied im RC Bregenzerwald.
www.olympia.at