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Titelthema

Wege zu einem Miteinander

Titelthema - Wege zu einem Miteinander
Spuren einer Rückkehr: Wolfsfährten in Brandenburg © Axel Gomille

Warum der Wolf als begnadeter Ökosystemmanager durchaus ein guter Partner des Menschen sein könnte

01.01.2019

Die Wölfe kommen zurück und nicht alle freuen sich darüber. In weniger als zwanzig Jahren stieg die Wolfspopulation in Deutschland auf etwa 700 Tiere in 80 Rudel, in Österreich sind es im Moment drei Rudel und etwa 25 Tiere. Genaue Zahlen gibt es nicht, denn Wölfe sind sehr bewegliche Meister der heimlichen Lebensweise. Kritische Vorfälle mit Menschen gab es bislang nicht; was belegt, dass Wölfe nicht so gefährlich sein können, wie manche glauben machen wollen. Es kamen zwar einige Hunde zu Schaden, dennoch ist Panikmache ungerechtfertigt. Natürlich besteht auch weiterhin keine Gefahr beim Spazierengehen im Wald, mit oder ohne Hund, selbst in Wolfsterritorien – solange sich der Hund nicht weit vom Menschen entfernt. Die Kinder können auch weiterhin gefahrlos im Freien spielen. Und wenn man wirklich einmal das Glück hat, einem neugierigen Wolf gegenüberzustehen, der nicht gleich verschwinden will, dann hilft es (im Gegensatz zu Bären), den Wolf anzuschreien oder einen Stein/Ast nach ihm zu werfen. Selbst wenn man ihn unbedingt fotografieren will, gilt ein strenges Fütterverbot.

Interessen der Landwirte
Obwohl Wölfe überwiegend von Schalenwild leben, dessen hohe Dichten ja die Hauptursache für ihre rasche Rückkehr sind, töten sie zu viele, besonders ungeschützte Weidetiere. Die Erbitterung darüber ist verständlich, gehören doch die meist wenigen Schafe bei vielen Haltern beinahe zur Familie. Allzu oft töten und verletzen Wölfe auch mehr Schafe, als sie fressen können. Das ist auf ihren ausgeprägten Jagdtrieb zurückzuführen, der – evolutionär nicht vorgesehen – auf Tiere trifft, die sich bei Gefahr zusammendrängen und nicht davonlaufen. Darin unterscheiden sich Wölfe übrigens nicht von Füchsen oder Mardern in Hühnerställen. Doch ist dies kein Grund, sie grausamer Mordlust zu zeihen, aber allemal ein gutes Argument für sachgemäßen Herdenschutz.

Vor allem die Landwirtschaft pocht auf eine „Regulierung“ der Wölfe. Und die Jagdwirtschaft stimmt oft mit ein, denn nach wie vor werden Wölfe als Konkurrenten gesehen, welche die Bejagung erschweren und die Reviere entwerten. Langsam sickert aber auch, dass Wölfe als begnadete Ökosystemmanager durchaus gute Partner der menschlichen Jäger sein könnten, etwa beim Gesunderhalten von Rot-und Rehwild und bei der Kontrolle der Wildschweine. Man wird sich letztlich daran gewöhnen, gemeinsam mit dem Wolf zu jagen, nicht gegen ihn.

Wölfe sind heute in Europa durch die Berner Konvention und die Europäische Fauna-Flora-Habitat Richtlinie (FFH) umfassend geschützt. In Deutschland sind sie im Naturschutzrecht geregelt, in Österreich als jagdbares, aber ganzjährig geschontes Wild in den Jagdgesetzen. Wölfe dürfen daher nur in Ausnahmefällen aus schwerwiegenden Gründen und nach Einzelfallprüfung „entnommen“, also abgeschossen werden; etwa, wenn sie trotz Herdenschutz notorisch Weidetiere töten, oder wenn sie die Distanz zum Menschen verlieren, was in wenigen Fällen aufgrund bewussten Anfüttern der Fall war. Wie die Erfahrungen aus Deutschland zeigen, treten „Problemwölfe“ nur äußerst selten auf.

Diskussionen über Schutz versus „regulieren“ laufen in ganz Europa. Seltsamerweise zeigen Studien, dass die Skepsis gegenüber dem Wolf mit dem Wohlstand eines Landes wächst. Reiche teilen eben nicht gerne, auch nicht mit Tieren. Aber selbst wenn dieser gesellschaftliche Diskurs ein gewisses Management der Wölfe bringen wird – etwa weil wir keine Wölfe in Berlin oder Wien wollen, oder weil ein Rudel nur noch von Weidetieren lebt – der Wolf, so scheint es, ist gekommen, um zu bleiben. Daher sollte man, anstatt immer noch zu diskutieren, ob man Wölfe will oder nicht, sich darauf konzentrieren, wie man auf Dauer mit Wölfen leben kann.

Argumente für den Wolf
Der Wolf ist mehr als bloßer Konfliktfall. Vielmehr gibt es gute biologisch-ökologische, ethische und gesellschaftspolitische Argumente pro Wolf. So halten Wölfe Rotfüchse, Goldschakale und andere mittelgroße Beutegreifer kurz und sorgen damit für eine reichhaltige Kleintierfauna und das „Niederwild“. Und Wölfe können sich positiv auf die Gesundheit von Schalenwild auswirken. Nicht zuletzt ist es auch nicht zu verstehen, warum etwa die Afrikaner unter erheblichen Opfern ihre Elefanten und Löwen schützen sollen, während wir nicht bereit wären, mit ein paar Wölfen, Bären und Luchsen zu leben. Dass dies eine Mehrheit der Bevölkerung ohnehin will, bedeutet natürlich in einer Demokratie einerseits Verpflichtung dem Wolf gegenüber, andererseits aber auch den Betroffenen gegenüber. So etwa sind Herdenschutz und Schadenskompensation gesamtgesellschaftliche Anliegen. Das kostet Steuergeld; vergleichsweise nicht viel, aber immerhin!

Fakten gegen Mythen
Wölfe wurden übrigens nirgends in Europa ausgesetzt, auch nicht in Österreich; sie breiten sich vielmehr mit Vermehrungsraten von über 20 Prozent pro Jahr rasch in die Fläche aus. Jungwölfe können pro Nacht auf Suche nach einem Partner zur Rudelgründung mehr als 60 Kilometer zurücklegen. Wo aber bereits Rudel etabliert sind, steigt die Wolfsdichte nicht weiter an, weil sie effizient „Selbstregulation“ praktizieren; also Nachbarn, bzw. Durchzügler auf Distanz halten oder sogar töten. Lokale Rudel, die gelernt haben, dass die Jagd auf Schafe zu schmerzhaften Stromschlägen führt, lernen diese Beute zu meiden und geben dies auch an ihre Nachkommen weiter. Natürlich werden Wölfe nie völlig „schafssicher“, Herdenschutz muss also permanent betrieben werden. Regelmäßiges „Regulieren“, also Bejagen kann sich jedoch sogar negativ auswirken und Vermehrungsraten, sowie den Druck auf Weidetiere sogar erhöhen, wie Daten aus den USA zeigen.

Prinzipiell sind Wolfsdichten, also die Frage, ob ein Rudel 100 oder 400 Quadratkilometer beansprucht, von den Beutetierdichten abhängig. Die effizienteste Kontrolle der Wolfsdichte besteht daher darin, die Wilddichten zu verringern, besonders beim Rot-, Reh- und Schwarzwild. Wolfsfreie Zonen, wie sie etwa für die Alpen von diversen Interessensvertretern gefordert werden, sind aufgrund der Gesetzeslage nicht möglich; sie sind aber auch wegen des hohen Zuwanderungsdrucks weder realistisch, noch praktikabel. Für betroffene Weidetierhalter böten „wolfsfreie Zonen“ daher keinen Schutz, weil aus angrenzenden Gebieten ständig Wölfe einwandern würden.

Das Verhältnis von Mensch und Wolf
Wölfe sind innerhalb ihrer Rudel höchst kooperative und effiziente Beutegreifer, die aufgrund ihrer sozialen Organisation überall, wo sie auf der Nordhalbkugel vorkommen, zu den Top-Prädatoren zählen. Dies trifft übrigens in ganz ähnlicher Weise auch auf unsere Vorfahren zu; so kam es, dass in der Altsteinzeit, vor etwa 35.000 Jahren, die Menschen mit den Wölfen Bündnisse eingingen, aus denen schließlich unsere Hunde hervorgingen.

Wie Menschen sind auch Wölfe intelligente Laufjäger mit ganz ähnlichen ökologischen Ansprüchen. Dies erlaubte Wölfe und Menschen, fast alle Lebensräume der Nordhalbkugel zu besiedeln und machte sie in den Augen unserer Vorfahren zu „Brüdern“, Lehrmeistern und spirituellen Partnern. Nach dem Sesshaftwerden kippte aber langsam die Beziehung; Wölfe wurden zunehmend zu Konkurrenten, zur Bedrohung für Mensch und Vieh, zu Jagdkonkurrenten, sogar zum Symbol des Heidentums und des Teufels. Mit den Bevölkerungsdichten nahmen auch die Konflikte zu, was schließlich mittels moderner Jagdwaffen zur Ausrottung der Wölfe über weite Teile Europas im 18. und 19. Jahrhundert führte.

Es wird vor allem von einem effizienten Herdenschutz abhängen, ob Wölfe wieder langfristig in unserem Kulturland – echte Naturräume gibt es in Europa ja kaum mehr – mit uns zusammenleben können. Herdenschutz ist damit Wolfsschutz, aber auch Tierschutz für Weidetiere. Er klappt, wenn er sachgerecht und rechtzeitig durchgeführt wird, beginnend vor der Ankunft der Wölfe. Dazu gibt es bereits reiches Knowhow aus Deutschland, der Schweiz und vielen anderen europäischen Ländern. Und praktische Hinweise zum Herdenschutz gibt es auf diversen Homepages. Herdenschutz dient auch dem Tierschutz, da Wölfe nicht immer besonders „human“ töten, sowie der „Erziehung“ der Wölfe. So lernen sie, dass ungeschützte Schafe einfache Beute sind. Elektrozäune und andere Herdenschutzmaßnahmen halten Wölfe dagegen an, sich von Wildtieren zu ernähren. Dies wird als Tradition auch innerhalb der Rudel weitergegeben.

Sowohl die Rückkehr des Wolfs als auch die Weidetierhaltung sind ökologisch begründete gesellschaftliche Anliegen. Es muss daher beides möglich sein; es braucht dafür aber ein gesamtgesellschaftliches Engagement und effiziente Verwaltungsstrukturen, einerseits was das Wildmanagement und andererseits was die Entwicklung und Förderung schadensvorbeugender und -begrenzender Maßnahmen betrifft. Nach einer neuen EU-Richtlinie (November 2018) sind Weidetierverluste durch den Wolf zu 100 Prozent abzugelten. Die Föderung von Herdenschutz ist Sache der Länder, in Deutschland, wie auch in Österreich, wo neben Südtirol auch die meisten westlichen Bundesländer bereits aktiv sind; Oberösterreich und die östlichen Bundesländer dagegen haben diesbezüglich noch erheblich Nachholbedarf. Schadensabgeltung sollte Weidetierhaltern gebühren, die ihre Herden sachgerecht schützen. Bei der Jagd ist das anders. Wölfe leben vorwiegend von Schalenwild, das sie nicht ausrotten. Rechtlich gehört „das Wild“ übrigens weder den menschlichen, noch den wölfischen Jägern, beide haben aber ein Aneignungsrecht. Die „Wildbretverluste“ durch Wolf halten sich vergleichsweise im Rahmen. Pro Jahr sterben etwa in Österreich an die 40.000 Rehe durch den Straßenverkehr; diese überfahrenen Rehe könnten theoretisch 1000 Wölfen ernähren (!).

Überfällige Debatten
Umfragen zufolge sind etwa bis zu 70 Prozent der Leute in den deutschsprachigen Ländern wolfsfreundlich eingestellt. Das mag durchaus auf einer gewissen Naturromantik beruhen. Denn während der Wolf für manche immer noch ein Bösewicht ist, verklären ihn andere zum Symbol der freien, wilden, ungezähmten Natur. Das sollte man aber nicht belächeln; vor allem nicht zu Zeiten, da uns so rasant wie nie zuvor Natur und Artenvielfalt abhandenkommt.

Die zurückkehrenden Wölfe mögen wichtige ökologische Funktionen haben – zuallererst lösen sie aber längst fällige gesellschaftliche Diskurse aus, ob es nachhaltig und ethisch richtig sein kann, dass Natur und Landschaft ausschließlich der immer intensiveren menschlichen Nutzung dienen, oder ob man nicht auch den anderen Tieren neben uns Lebensrecht zugestehen muss, und das nicht nur in den Ghettos irgendwelcher Reservate, sondern mitten unter uns. Der Wolf als Katalysator für längst fälliges ökologisches Umdenken, sozusagen.

Prof. Dr. Kurt Kotrscha