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Das Manifest der kulturellen Allmende

Wem gehört das Wissen?

Unter dem Begriff der Allmende verstand man seit dem Hochmittelalter eine Rechtsform gemeinschaftlichen Eigentums. Ausgerechnet das hochmoderne Medium Internet verschafft dieser Idee eine neue Aktualität. Es geht um Ideen für eine ausgewogene Gesellschaft, die für möglichst viele Menschen gemeinschaftlich lebenswert ist.

Christian Hufgard16.04.2012

Das „Public Domain Manifesto“ – oder auf Deutsch „Manifest der kulturellen Allmende“, entstand in mehrmonatiger Arbeit des COMMUNIA-Projekts. COMMUNIA ist ein von der EU-Kommission gefördertes Projekt, dessen Ziel die Untersuchung der Bedeutung gemeinfreier Inhalte im digitalen Umfeld ist. Nach der ersten COMMUNIA-Konferenz begann eine Arbeitsgruppe mit der Ausarbeitung des am 25. Januar 2010 der Öffentlichkeit vorgestellten Thesenpapiers.

Der Begriff der „kulturellen Allmende“ umfasst die Gesamtheit an frei verfügbaren Informationen, Kulturgütern und Wissen. Die kulturelle Allmende ist die Summe aller Kulturgüter, die weder durch Urheberrechte noch durch sonstige Beschränkungen belastet sind. Sie stellt die Grundlage unserer heutigen Zivilisation dar und ist sozusagen der Riese, auf dessen Schultern die heutigen Kreativen stehen. Die kulturelle Allmende ist das Fundament und der Rohstoff, aus dem neues Wissen und neue Kultur entstehen.

Verzicht auf das Urheberrecht

Der abstrakte Begriff der kulturellen Allmende lässt sich in zwei Kategorien unterteilen: Die Allmende im eigentlichen und im weiteren Sinne. Die kulturelle Allmende im eigentlichen Sinne umfasst all das, was an gemeinsamen Wissen, Kultur und sonstigen Ressourcen aufgrund eines Gesetzes frei von Werkrechten ist. Dies sind zum einem solche Werke, an denen Patente und Urheberrechte ausgelaufen sind; zum anderen solche, bei denen von Anbeginn die Voraussetzungen für einen gesetzlichen Schutz nicht erfüllt sind. Eine nicht erfüllte Voraussetzung kann z.B. sein, dass die für ein Werk notwendige Schöpfungshöhe nicht erreicht wird. Ebenso sind Daten, Ideen oder triviale Beschreibungen von Abläufen, Verfahren,  Konzepten, Prinzipien  oder Entdeckungen ebenfalls nicht schützbar.

Die kulturelle Allmende im weiteren Sinne umfasst alle Werke, die von  ihren Urhebern bewusst zur freien Verfügung gestellt werden. Während es in Deutschland kein Muss ist, eine Erfindung zu patentieren, ist es grundsätzlich nicht möglich, seine Urheberrechte an einem Werk vollumfänglich abzugeben. Urheber können aber auch hier explizit der Allgemeinheit das Recht auf freie Nutzung ihres Werkes in jedweder Form einräumen. In manchen Ländern kann auf das Urheberrecht verzichtet werden, so dass das Werk schon zu Lebzeiten des Urhebers in den Bereich des strukturellen Kerns der kulturellen Allmende überführt wird.

Die Fülle an Werken in der kulturellen Allmende im engen und weiteren Sinne ermöglicht Innovationen und kulturelle Teilhabe, ohne sie wäre Artikel 27 Absatz 1 der UN-Menschenrechtscharta unmöglich umsetzbar:

„Jeder hat das Recht, am kulturellen Leben der Gesellschaft frei teilzunehmen, sich an den Künsten zu erfreuen und am wissenschaftlichen Fortschritt und dessen Errungenschaften teilzuhaben.“

Die kulturelle Allmende zu bewahren und auszubauen ist eine essentielle Aufgabe, denn im Zeitalter rapider, technologischer und sozialer Veränderungen wird sie auf zahlreichen Ebenen bedroht. Als naheliegendstes Beispiel seien hier Kopierschutz- und Digital-Rights-Management-Mechanismen genannt, durch die auch nach Ablauf aller Schutzfristen der Zugriff durch die Allgemeinheit auf ein Werk verhindert werden kann. Der Gesetzgeber hat sogar explizit das Umgehen „technisch wirksamer“ Mechanismen unter Strafe gestellt.

Um die kulturelle Allmende zu schützen, wurde eine Anzahl von Prinzipien definiert, deren wichtigste sind:
1. Der Urheberrechtsschutz muss auf ein notwendiges Maß beschränkt werden.
2. Ein einmal freies Werk darf der Allgemeinheit, wie dies unlängst in den USA geschehen ist, nicht wieder entzogen werden.
3. Es muss eine Rechteangleichung von Kopien digitaler Werke an die physischer Werke in Hinblick auf die Rechte des Konsumenten erfolgen.

Die zunehmende Digitalisierung erweitert den Diskurs um die Allmende enorm, denn der uralte Traum, alles Wissen und alle Kultur der Menschheit zusammenzutragen, zu speichern und jedermann verfügbar zu machen ist durch die rasante technische Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte in greifbare Nähe gerückt. Leider scheint die Politik diese Chance nicht nutzen zu wollen, stattdessen werden die wirtschaftlichen Verwertungsrechte ausgebaut, und mit dem Hinweis auf ein sogenanntes „geistiges Eigentumsrecht“ verteidigt.

In einer Zeit, in der die meisten kulturellen und wissenschaftlichen Werke beliebig vervielfältigt und verbreitet werden können, stellt sich die Frage, wieso diese Werke nicht von Anfang an gemeinfrei sind. Warum gibt es überhaupt ein Urheberrecht? Die Gleichsetzung des Urheberrechts und anderer geistiger Monopolrechte wie zum Beispiel Patentrechten mit dem Sacheigentum ist dabei alles andere als stichhaltig. Die meisten Sachgüter können nicht von beliebig vielen Personen gleichzeitig, ohne Einschränkung anderer, genutzt werden, denn die Verwendung durch eine Person schränkt die Verwendung durch eine andere ein. Immaterialgüter wie Text, Musik, Bild und Ton unterliegen dieser Einschränkung nicht, sie sind beliebig vervielfältigbar. Güter, deren Nutzung von Natur aus durch jedermann ohne Einschränkung von anderen möglich ist, waren seit jeher Teil der Allmende. Niemand würde auf die Idee kommen, Luft schützen zu wollen und dem Zugriff der Allgemeinheit zu entziehen. Sie zu atmen schränkt andere Menschen nicht ein.

Interessen der Kreativen

Wissenschaft und Kultur sind aber nicht statisch wie die Atemluft, sie sollen sich zum Wohle der Menschheit weiterentwickeln. Die wenigsten Menschen geben sich damit zufrieden, bestehende Werke zu nutzen oder auf dem Stand der Wissenschaft zu verharren. Menschen wollen, dass neue Werke geschaffen und neue Ideen erdacht werden. Dieses Schaffen neuer Werke hat seinen Preis, den die Gesellschaft aufbringen muss, denn ohne die kreative Arbeit der Urheber, kann der allgemeine Schatz an Wissen und Kultur – die kulturelle Allmende –  nicht gedeihen.

Es ist folglich nur recht und billig, die ideellen und wirtschaftlichen Interessen der Kreativen zu berücksichtigen und neu geschaffene Werke unter den Schutz des Urheberrechts zu stellen. Dieses Urheberrecht muss aber das ultimative Ziel haben, das Werk in einem angemessenen Zeitraum wieder in die kulturelle Allmende zurückzuführen. Das aktuelle Urheberrecht wird diesem Ziel nicht gerecht. Es versucht Werke soweit wie möglich künstlich zu verknappen, um deren kommerzielle Ausbeutung zu maximieren. Diese Monopolisierung kommt Rechteverwertern zu Gute, lässt die Interessen der Allgemeinheit aber völlig außer acht. In der Blütezeit der Kultur in Deutschland, als der Begriff des „Volkes der Dichter und Denker“ geprägt wurde, waren die Schutzrechte der Urheber weitaus schwächer ausgeprägt als heute, dennoch florierte der Kulturmarkt.

Die  Piratenpartei hat sich weltweit formiert, um diese Missstände zu beheben und das Urheberrecht umfassend zu reformieren, um so die Balance zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an der Nutzung des Werkes, den Interessen der Urheber an einem Schutz ihrer Werke und so auch dem Interesse der Allgemeinheit an der Schaffung neuer Werke wiederherzustellen. Sie ist der Überzeugung, dass eine große und starke kulturelle Allmende Voraussetzung für eine lebendige Kultur- und  Wissensgesellschaft ist.

Eine der zentralen Forderungen der Piraten ist eine drastische Reduzierung aller vom Urheberrecht garantierten Schutzfristen. Es scheint den Mitgliedern der Bewegung absurd, dass ein zu ihren Lebzeiten veröffentlichtes Werk erst 70 Jahre nach dem Tode des Urhebers wieder in die kulturelle Allmende zurückgeführt wird. Kaum jemand wird erleben, dass ein in seiner Kindheit veröffentlichtes Musikstück gemeinfrei wird. Weiterhin soll die nicht-kommerzielle Nutzung von Werken komplett legalisiert werden. Der Versuch, jede Kopie eines Werkes zu verhindern, kann im Zeitalter des Internets nur durch eine Kontrolle des privaten Datenverkehrs erfolgen. So sehr das Ziel der Förderung des kreativen Schaffens begrüßt wird, darf die persönliche Freiheit dafür nicht geopfert werden. Auch soll die Möglichkeit zur Schaffung neuer Werke aus bestehenden – auch urheberrechtlich geschützten – Werken möglichst frei sein. Es war ein von jeher elementarer Bestandteil der kulturellen Sphäre, Ideen anderer aufzugreifen, zu interpretieren und weiterzuentwickeln.

Diese Aufzählung beinhaltet nur die wichtigsten Forderungen. Manche Vertreter der Medienindustrie halten sie sicherlich für zu weit gehend, die Entscheidung darüber obliegt aber weder ihnen noch der Piratenpartei. Am Ende entscheidet der Konsument mit seinem Geldbeutel, ob und was ihm Kultur und Wissen wert sind.
Christian Hufgard
Christian Hufgard ist Mitglied der Piratenpartei und Vorsitzender des gemeinnützigen Vereins Musikpiraten. Hufgard ist einer der beiden Übersetzer des „Manifests der kulturellen Allmende“ ins Deutsche. piratenpartei.de