Interview
"Wir haben die Partnerschaft in den vergangenen Jahren intensiviert"
Der Vorsitzende des Deutsch-Moldauischen Forums, Johannes Schraps, sieht Moldaus Platz in der EU und erkennt im Transnistrienkonflikt erste Fortschritte.
Sie sind Vorsitzender des Vereins Deutsch-Moldauisches Forum. Wie sind Sie persönlich dazu gekommen, sich dort zu engagieren?
Ich bin seit 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages und habe vorher vier Jahre für den damaligen Stellvertretenden Vorsitzenden des Europaausschusses Achim Barchmann als Wissenschaftlicher Mitarbeiter gearbeitet. Mein damaliger Chef war für den Bereich Östliche Partnerschaft zuständig. Das betraf die Länder im Osten Europas, die in enger Verbindung zur Europäischen Union stehen, neben Moldau noch Armenien, Georgien, Aserbaidschan, Belarus und die Ukraine. Deshalb habe ich mich schon damals als Mitarbeiter mit der Republik Moldau beschäftigt. Als ich 2017 selbst in den Bundestag gewählt wurde, war für mich klar, dass ich auch in den Europaausschuss gehen werde und so an mein Vorwissen anknüpfen kann. Deshalb habe ich die Berichterstattung über die Länder der Östlichen Partnerschaft übernommen. Ich bin seitdem für die europäische Nachbarschaftspolitik, die Östliche Partnerschaft, aber auch die Ostseeparlamentarier-Konferenz zuständig im Bundestag. Seit Juni bin ich sogar Präsident der Ostseeparlamentarier-Konferenz. 2017 bin ich dem Deutsch-Moldauischen Forum beigetreten, mein Vorgänger als Vorsitzender war mein Kollege Fritz Felgentreu aus Berlin, der im vergangenen Jahr aber nicht mehr für den Bundestag kandidierte. Er hatte mich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, den Vorsitz zu übernehmen.
Fritz Felgentreu ist ebenfalls Mitglied der SPD, aber das Forum ist überparteilich, oder?
Ja. Politiker, aber auch Wissenschaftler und Menschen aus der Wirtschaft sind im Forum engagiert. So ist zum Beispiel Manuel Sarrazin vom Auswärtigen Amt Vorstandsmitglied, der dort Sonderbeauftragter für den westlichen Balkan ist. Zuvor war er viele Jahre als Bundestagsabgeordneter für die Grünen für Osteuropa zuständig. Manfred Grund von der CDU war Gründungsvorsitzender gewesen und hat lange das Forum geleitet. Das Deutsch-Moldauische Forum wurde 2009 gegründet.
Gibt es einen solchen Verein auch auf Seiten Moldaus als Pendant?
Es gibt kongruent ein Moldauisch-Deutsches Forum, wobei beide unabhängig voneinander arbeiten. Es gibt aber immer wieder Überschneidungen, zumal Delegationen sich gegenseitig besuchen.
Was ist die Aufgabe Ihres Vereins?
Es geht darum bilaterale Beziehungen zwischen Deutschland und Moldau in verschiedenen Bereichen zu fördern. Es geht darum, Austausch, wissenschaftliche Projekte und auch kulturellen Austausch zu fördern. Mit unserem Budget, welches sich aus den Mitgliedsbeiträgen ergibt, unterstützen wir Projekte, zum Beispiel universitäre Seminar- und Abschlussarbeiten. Wir hatten kürzlich eine Veranstaltung unseres Forums in Berlin. Der Vize-Bürgermeister von Chisinau war mit einer Delegation von Stadtplanern zu Gast. Wir hatten uns mit dem Vorstand unseres Forums sowie Vertretern der politischen Stiftungen getroffen. Der moldauischen Delegation ging es darum, sich über Stadtplanung und Verkehr, speziell Radverkehr, auszutauschen. Da war auch mein Bundestagskollege Mathias Stein, Sprecher der SPD-Fraktion für Fahrradverkehr, anwesend. Wir hatten gemeinsam einen tollen Austausch.
Wann waren Sie zuletzt in der Republik Moldau?
Im Juni war ich zuletzt gemeinsam mit fünf Kollegen aus dem Deutschen Bundestag vor Ort. Unter anderem war der Stellvertretende Vorsitzende der Deutsch-Moldauischen Parlamentariergruppe, Rainer Keller, mit dabei. Diese Parlamentariergruppe ist jedoch nicht nur für Moldau, sondern zugleich auch für Rumänien und Bulgarien zuständig. Im April bin ich zum Vorsitzenden des Deutsch-Moldauischen Forums gewählt worden, somit war es zugleich mein Antrittsbesuch. Ich war aber auch als Berichterstatter zu Moldau für meine Fraktion dort.
Was war die Intension dieser Reise?
Es ging uns darum, einen Eindruck zu bekommen, wie die Gesellschaft in Moldau mit der schwierigen Situation der zahlreichen Flüchtlinge aus der Ukraine umgeht. Es sind etwa eine Million Menschen über die Grenze nach Moldau gekommen, etwa 380.000 halten sich derzeit noch im Land auf. Deswegen haben wir auch unter anderem das UNHCR-Büro in Chisinau besucht. Wir hatten zugleich unter anderem Gespräche mit der Präsidentin Maia Sandu, der Ministerpräsidentin Natalia Gavrilita und uns mit dem Vorsitzenden der größten Oppositionspartei getroffen. Wir konnten somit mit allen hochrangigen, moldauischen Politikern sprechen. Zudem hatten wir mit Vertretern der Zivilgesellschaft einen Austausch.
Wie ist die derzeitige Situation im Land?
Sie müssen sich vorstellen, dass Moldau ein Land mit nicht einmal drei Millionen Einwohnern ist. Somit sind 380.000 Flüchtlinge, die sich derzeit dort aufhalten, mehr als ein Zehntel der Bevölkerung. Übertragen auf Deutschland hätten wir bei uns mehr als acht Millionen Flüchtlinge. Es ist eine enorme Belastung, aber wir haben festgestellt, dass die moldauische Gesellschaft, sehr positiv damit umgeht. Es gibt keine Ressentiments, sondern eine enorme Hilfsbereitschaft.
Trotzdem ist es doch so, dass die Republik Moldau allein mit den Folgen des Krieges nicht zurecht würde. Wir sprechen ja auch von enormen Kosten. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat deshalb ein Programm zur Resilienzstärkung mit einem Finanzvolumen von 112 Millionen Euro auf den Weg gebracht. Das zeigt, Deutschland und die EU sind gefordert, Moldau zur Seite zu stehen.
Absolut. Wir haben die Partnerschaft in den vergangenen Jahren deutlich intensiviert. Es gibt eine große Öffnung im Freihandel, viele Produkte können ohne Zölle zwischen unseren Ländern gehandelt werden. Es gab im Rahmen der Assoziierungsabkommen eine deutlich engere Zusammenarbeit in zahlreichen Politikbereichen. Wir haben damit die Republik Moldau an die Europäische Union herangeführt und das mündete nun im Kandidatenstatus. Mit diesem Status erfährt die Republik nun noch einmal mehr Unterstützung von Seiten der EU. Das wird sich noch ausweiten, wenn tatsächlich Beitrittsgespräche geführt werden.
In der Republik Moldau ist Korruption ein großes Problem, das Land hat mit dem abtrünnigen Transnistrien einen jahrzehntelangen ungelösten Konflikt und ist dennoch nun ein Beitrittskandidat der EU geworden. Kommt dieser Status nicht zu früh?
Der Status des Beitrittskandidaten ist nicht gleichzusetzen mit einem Beitritt in die EU. Wir sehen Anhand der Beispiele aus dem westlichen Balkan, dass es einige Jahre braucht, bis alle Kapitel abschließend behandelt sind. Die Türkei ist seit Jahrzehnten Beitrittskandidat und bei denen geht es nicht voran. Bei anderen Ländern hingegen geht es sehr gut voran, zum Beispiel Nordmazedonien. Aber da hat die EU nicht alle Zusagen eingehalten. In der Öffentlichkeit wird über den Status diskutiert, als sei damit der Beitritt besiegelt, dem ist aber nicht so. Es ist der Beginn von wahrscheinlich jahrelangen Verhandlungen. Wichtig ist, dass die Perspektive für Moldau klar sichtbar ist. Das ist ein Ansporn für die Regierung, die Parlamentarier, aber auch die Bevölkerung in dem Land.
Können Sie sich ein Mitglied in der EU namens Moldau vorstellen, bei dem der Transnistrienkonflikt nicht gelöst ist?
Wir haben 2004 im Falle Zyperns den Fehler gemacht, dass wir davon ausgegangen waren, dass die Wiedervereinigung vonstatten gehen wird. Die Gespräche diesbezüglich waren damals weit fortgeschritten. Nun haben wir ein gespaltenes, geteiltes Land in der Europäischen Union. Das wird es so sicherlich nicht noch einmal geben. Deswegen gibt es auf EU-Ebene das Kapitel Gut-Nachbarschaftliche-Beziehungen, damit keine Grenz- und Territorialkonflikte in der EU vorhanden sind. Die territoriale Souveränität ist eines der Grundprinzipien der EU. Der Transnistrienkonflikt muss gelöst werden, bevor die Moldau irgendwann der EU beitritt. Ich sehe gute Chancen, diesbezüglich voranzukommen, weil die Menschen in Transnistrien derzeit erleben, wie isoliert sie sind. Handel mit Russland ist nicht mehr möglich, weil es keine Flug- und Schiffsverbindungen mehr gibt. Auch durch die Ukraine ist kein Handel mehr möglich. Ich erkenne das ein oder andere Zeichen, dass man aufeinander zugeht. Auf Verhandlungsebene ist hoffentlich eine Annäherung zwischen Moldau und Transnistrien möglich.
Das setzt aber voraus, dass die Menschen in Transnistrien selbst über ihr Schicksal entscheiden können, und nicht am Ende der Kreml in Moskau entscheidet.
In der Tat. Das ist die entscheidende Frage. Deswegen ist dieser Konflikt auch eng mit dem Kriegsverlauf in der Ukraine verknüpft. Ich bin überzeugt, dass es eines der Kriegsziele von Russlands Präsident Wladimir Putin war, eine Landbrücke nach Transnistrien herzustellen und die Ukraine vom Schwarzen Meer abzuschneiden. Das hat bis jetzt zum Glück nicht funktioniert, weil die Ukrainer ihre Demokratie und Freiheit tapfer verteidigen. Wenn Russland seine Kriegsziele nicht erreicht, dann wird mangels anderer Perspektiven vielleicht auch eine Verhandlungslösung im Transnistrien-Konflikt wahrscheinlicher.
Das Interview führte Florian Quanz.
Der Politikwissenschaftler Johannes Schraps war vier Jahre lang wissenschaftlicher Mitarbeiter des niedersächsischen SPD-Abgeordneten Achim Barchmann im Deutschen Bundestag, ehe er selbst als Abgeordneter in den Bundestag zog. Der SPD-Politiker gewann seinen Wahlkreis Hameln-Pyrmont-Holzminden mit 43,25 Prozent. Schraps ist Vorsitzender des Deutsch-Moldauischen Forums, eines unabhängigen Vereins.