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Titelthema

Wohin mit Deutschland?

Titelthema - Wohin mit Deutschland?
© Jan Dirk van der Burg

Was wollen und erwarten wir von Deutschland im Jahr 2025? Hoffentlich wird es wieder das Kraftzentrum Europas, denn als solches brauchen wir es.

Katie Wood01.02.2025

Für mich als internationale Reiseschriftstellerin hat Deutschland einen besonderen Platz in meinem Herzen (ebenso wie Österreich, das muss man schon sagen). Obwohl mein gesprochenes Deutsch einfach ist, hatte ich nie Probleme, mich zu unterhalten, denn das Bildungssystem in Deutschland ist beeindruckend, und die meisten Bürger beherrschen die englische Sprache wunderbar.

Ich muss lachen, wenn ich an die 1960er Jahre zurückdenke, als im Vereinigten Königreich einige Briten den Ausdruck „Jerry Built“ benutzten, was bedeutet, dass etwas nicht gut gemacht war. Oh, wie sich die Dinge geändert haben. Im Vereinigten Königreich gilt heute alles, was aus Deutschland kommt, als Spitzenqualität: von BMW bis Miele, Mercedes und Siemens – die Technik und die Liebe zum Detail werden weltweit bewundert.

Aber jetzt – das muss gesagt werden – haben Sie, genau wie das Vereinigte Königreich, Ihre großen Probleme zu bewältigen. Eine alternde Bevölkerung, die sich direkt auf das Wirtschaftswachstum auswirkt. Wie wir brauchen Sie jetzt dringend eine starke strategische Führung (ich bin nicht überzeugt, dass wir die hier haben – vor allem nach dem letzten Haushalt, der wirklich schockierend war), und wir alle leben mit der allgegenwärtigen Bedrohung durch unerwartete, schreckliche Terroranschläge wie in Magdeburg.

Deutschland hat so viel mehr zu bieten als München, Berlin und Frankfurt. Die fabelhafte Landschaft und die vielen alteingesessenen, familiengeführten Hotels und Restaurants sind einer der Hauptanziehungspunkte für Deutschland, und ich finde es toll, dass Sie so stolz sind und sich Ihrer reichen Kultur bewusst sind – das kommt bei den Schotten sehr gut an.

Ja, und ich kann es nicht ignorieren, als Frau, die 1960 als Tochter einer belgischen Mutter geboren wurde (die während des Zweiten Weltkriegs jüdische Kinder versteckte): Es gab immer noch Vorbehalte gegenüber den Deutschen. Die Tatsache, dass so wenige Nazis gefunden und bestraft wurden, hat nicht gerade zur Besserung beigetragen, aber ich weiß von meinen deutschen Freunden, dass Sie im Jahr 2025 genauso entsetzt sind über das, was passiert ist, wie wir Briten über die schrecklichen Gräueltaten, die das britische Empire begangen hat.

Sie stehen vor ähnlichen Herausforderungen wie das Vereinigte Königreich, insbesondere im Automobilsektor, bei der Energiewende und der globalen Wettbewerbsfähigkeit. Die übermäßige Abhängigkeit von russischem Gas hat Ihre Schwachstellen offengelegt und die Energiekosten in die Höhe getrieben. Und jetzt scheint sich Deutschland viel mehr mit China einzulassen, als es ratsam wäre.

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© Jörg Brüggemann/Ostkreuz

Merkels Erbe wurde einst als stabilisierende Kraft gefeiert, aber ihre langfristige Politik, insbesondere in den Bereichen Energie und Migration, wird nun als kurzsichtig angesehen. Olaf Scholz’ mangelnde Führungsstärke und seine langsame Reaktion auf geopolitische Krisen, insbesondere in der Ukraine, haben dem Ruf Ihres Landes geschadet.

Ja, die EU steht vor vielen Herausforderungen. Vielleicht liege ich falsch, und der Brexit war keine so dumme Idee? Vielleicht hat die EU – so, wie sie war – ihre besten Tage hinter sich? Es gibt sicherlich noch viele, viele Herausforderungen. Das ist zweifellos der Grund, warum Großbritannien weniger in die deutsche Wirtschaft investiert und sich mehr auf globale Partnerschaften verlegt hat.

Ich persönlich glaube, dass die zunehmende Anti-Immigrations-Stimmung – und die Unterstützung durch die besorgniserregenden rechtsextremen Parteien – ein massives Problem in Deutschland darstellt. Die AfD kann in Deutschland natürlich mehr Einfluss ausüben als die Partei „Reform UK“ im Vereinigten Königreich, was auf die Unterschiede in unseren Wahlsystemen zurückzuführen ist. Und sollte Merkels Politik der „offenen Tür“ nicht noch einmal sehr genau hinterfragt werden?

Aus der PR-Perspektive hat sich Deutschland keinen Gefallen getan, so lange zu brauchen, um die Ukraine militärisch zu unterstützen, auch wenn die jüngsten Bemühungen, Kiew zu helfen, lobenswert sind und anerkannt werden. Fest steht, wir Schotten haben eine Schwäche für Deutschland – für mich jedenfalls gilt das. Selbst unsere Fußballfans wurden während der Europameisterschaft im letzten Sommer von den Deutschen wunderbar empfangen. Und andersherum passt es auch, die Deutschen mögen Schottland. Visit Scotland (unser nationales Fremdenverkehrsamt) meldet für das Jahr 2024 eine Rekordzahl von Touristen aus Ihrem schönen Land. 343.000 Deutsche besuchten Schottland und gaben 247 Millionen Pfund aus – vielen Dank!

Obwohl Schottland mit überwältigender Mehrheit für den Verbleib in der EU gestimmt hat, haben wir aufgrund des BB (Bloody Brexit, wie ich ihn gerne nenne) leider keinen Zugang mehr zu dem inspirierenden Erasmus-Programm, und es ist nicht mehr so schnell und einfach für uns möglich, nach Deutschland zu kommen, was für mich als Reiseschriftstellerin, die so oft wie möglich nach Deutschland reisen möchte, langweilig ist. Die Warteschlangen am Hamburger Flughafen waren letzten Dezember ein Albtraum! Aber das Warten lohnt sich immer, wenn man einreist und die Küche, das Bier und den Wein sowie die Gespräche der Deutschen in den Kneipen genießt – vor allem, wenn sie einen schottischen Akzent hören.

Wir geben Ihnen sogar etwas von unserer teutonischen Königsfamilie zurück, wenn Sie wollen – mir fällt da Prinz Andrew ein.

Katie Wood

Katie Wood ist die wohl bekannteste Reisejournalistin Schottlands. Sie ist Autorin von 39 Büchern und hat für alle großen britischen Zeitungen und Zeitschriften geschrieben. Sie tritt regelmäßig im Fernsehen auf und ist Mitglied der Royal Geographical Society.

Copyright: privat

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