https://rotary.de/gesellschaft/ziele-klar-definieren-a-24665.html
Titelthema

Ziele klar definieren!

Titelthema - Ziele klar definieren!
1965: Besucher bewundern die Raumkapsel des amerikanischen Astronauten John Glenn, die im Kensington Science Museum in London ausgestellt ist. © Getty Images/Keystone France

Europa benötigt ein ambitioniertes Raumfahrtkonzept – das ist so notwendig wie dringend.

Hermann Ludwig Möller01.01.2025

Die Raumfahrt und ihr Nutzen für die Volkswirtschaft und für Sicherheit und Verteidigung steht im Zentrum der nationalen Strategien der USA und Chinas und aller aufstrebenden Weltraummächte wie Indien. Donald Trump: „You can’t be number one on earth if you’re number two in space.“

Europa kann bisher nicht den Status einer Raumfahrtmacht beanspruchen. Obschon in Raumfahrtanwendungen für Erdbeobachtung, Navigation und Meteorologie führend, hinkt der Kontinent in zwei kritischen Bereichen dramatisch hinterher, welche im Zentrum der Raumfahrtpolitik der Weltraummächte stehen: der bemannten Raumfahrt und der Sicherheits- und Verteidigungsdimension inklusive der dualen Nutzung des Weltraums. Angesichts der Rolle der Raumfahrt im Ukraine-Krieg und der Entwicklung einer globalen Raumfahrtwirtschaft und kommerzieller Raumstationen, ist eine neue strategische Positionierung Europas in der Raumfahrt von allerhöchster Dringlichkeit.


Hören Sie hier den Artikel als Audio!

Einfach anklicken, auswählen und anhören!


Dabei geht es um nicht weniger als Europas Platz am Tisch des Internetzeitalters der Raumfahrt. Der Bericht von Mario Draghi zur Zukunft der europäischen Wettbewerbsfähigkeit widmet der Raumfahrt ein eigenes Kapitel, unter Bezugnahme auf die Analyse „More than a Space Programme“ des European Space Policy Institute und der Boston Consulting Group. Darin wird die systemische Bedeutung der Raumfahrt hervorgehoben. Dabei geht es nicht nur um die Größe des Weltraumsektors selbst, die zurzeit weltweit auf circa 500 Milliarden Dollar geschätzt wird, sondern um den Nutzen für die Gesamtwirtschaft in Bereichen wie Pharma, Biotech, Digitales, Agrarwirtschaft, Energie, Automobil, zur Effizienzsteigerung bestehender und Erschließung neuer Märkte. Vergleichbar mit Halbleitern ist dabei ein Multiplikator von sechs bis sieben möglich, was bei einem jährlichen konservativ geschätzten Wachstum von fünf Prozent bis 2040 einem Wert von bis zu acht Billionen Dollar entsprechen würde. Solche Vorhersagen sind mit Unsicherheiten behaftet, wie auch zu Beginn der Kommerzialisierung des Internets vor 25 Jahren, doch kann man davon ausgehen, dass China, die USA und Indien diese Potenziale strategisch ausschöpfen werden. Es muss Europas Ziel sein, seiner Wirtschaftsleistung angemessen, 25 Prozent dieser Ökonomie abzuschöpfen. Das „Space Race 2.0“, 55 Jahre nach Apollo 11, hat trotz aller Geschwindigkeit gerade erst begonnen. Es bleibt noch Zeit zum Einsteigen und Beschleunigen, allerdings nur für maximal zwei bis fünf Jahre.

Dabei gewinnt die Sicherheitsdimension des Weltraums weiter an Bedeutung. Weltweit beträgt der Anteil der Sicherheits- und Verteidigungsfinanzierung an den öffentlichen Raumfahrtbudgets mehr als 50 Prozent oder etwa 54 Milliarden Dollar im Jahr 2023. Raumfahrt war von Beginn an dual in seiner Nutzung, und weit über die unmittelbare militärische Verwendung hinaus trägt die Raumfahrt zunehmend zur gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Widerstandsfähigkeit bei, zum Schutz kritischer Infrastrukturen, zum Beispiel für Digital und Kommunikation, Transport, Energie, für sichere Lebensmittel- und Wasserversorgung, die Umweltsicherheit mit zunehmenden Naturkatastrophen, den Zivilschutz der Menschen.

Europa hat dazu heute noch die Industrien und beherbergt nach Angaben des Global Talent Competitiveness Index die höchste Konzentration von Talenten, wobei sieben europäische Länder, angeführt von der Schweiz, zu den zehn besten der Welt gehören. Diese Länder zeichnen sich durch einen hohen Output an neuen Innovationen und ein Bildungssystem, das eng an die Anforderungen der Wirtschaft angepasst ist, aus. Zudem ist Europa in Raumfahrtanwendungen unübertroffen: in der Erdbeobachtung mit dem Copernicus-Programm der EU unter anderem zur Überwachung des Klimawandels, in der Navigation mit dem EU-Satellitensystem Galileo und in der Meteorologie mit den Eumetsat-Missionen. Für die erfolgreiche Implementierung solcher komplexer Programme ist die Europäische Raumfahrtagentur (Esa) verantwortlich, wobei die Systeme, Technologien und Dienste von der europäischen Industrie stammen, welche auf eine lange Tradition erfolgreicher Entwicklungen zurückblicken kann und zunehmend auch von neuen Akteuren im sogenannten New-Space-Bereich, Start-ups und KMUs dynamisiert wird.

Um allerdings den Anschluss nicht zu verlieren, muss sich Europa zu einer klaren Raumfahrtpolitik bekennen, mit ambitionierten Zielen für beides, für Wirtschaft und Verteidigung – und für die Weiterentwicklung der dazu notwendigen eigenständigen und wettbewerbsfähigen europäischen Raumfahrtindustrie. Dies gilt es in eine Raumfahrtstrategie zu übersetzen, die dem dualen Charakter der Raumfahrt Rechnung trägt, in Synergie mit der zunehmenden Kommerzialisierung des Sektors, wie es aufgrund der jüngsten Entwicklungen in den USA, mit Donald Trump, Elon Musk und dem designierten zukünftigen Leiter der Nasa, Jared Isaacman, zu erwarten ist.

0,07 Prozent des BIP sind zu wenig

Dabei wird der öffentliche Anteil an den Investitionen in die Raumfahrt – gegenwärtig 85 Prozent weltweit – neben zunehmenden privaten Mitteln weiterhin ein zentraler Motor der Entwicklung bleiben. Es wäre vermessen, angesichts der Kommerzialisierung der Raumfahrt zu folgern, dass diese nunmehr im Wesentlichen privatwirtschaftlich getrieben würde. Auch SpaceX basiert im Kern auf Aufträgen der Nasa für bemannte Raumfahrt sowie Aufträgen aus dem Pentagon.

Zurzeit investiert Europa lediglich 0,07 Prozent seines BIP oder 14 Milliarden Euro pro Jahr in seine Raumfahrt, fast ausschließlich im zivilen Bereich. Die USA investieren mittels Nasa und dem Verteidigungsbereich ungefähr das Fünffache.

Der Investitionsbedarf Europas, um den Mehrwert der Raumfahrt auch für Europa zu verwirklichen, wird bis 2040 je nach wirtschaftlicher und sicherheitspolitischer Zielsetzung auf 0,15 bis 0,25 Prozent des europäischen BIP geschätzt. Dabei kommt den Notwendigkeiten im Bereich Verteidigung und der dualen Nutzung besondere Bedeutung zu, wahrscheinlich als einziger „Gamechanger“, der die Relevanz Europas in der weltweiten Raumfahrt noch sichern kann. Vor allem Deutschland ist hier gefragt. Die größte Volkswirtschaft Europas investiert heute nur halb so viel Geld für die Raumfahrt wie Frankreich, zurzeit sogar mit sinkender Tendenz.

Die Ausarbeitung einer umfassenden europäischen Raumfahrtstrategie wird ein anspruchsvolles Unterfangen sein in einem Europa mit zunehmenden nationalen Prioritäten, in dem circa 80 Prozent der öffentlichen Raumfahrtmittel in nationalen Haushalten verankert sind, mehrheitlich über die Esa abgewickelt, inklusive der Beteiligung von Großbritannien, Norwegen und der Schweiz. Dabei tritt die Nutzung der Raumfahrt in den Vordergrund, insbesondere für die nordischen Staaten mit Blick auf die geopolitische Bedeutung der Arktis, für osteuropäische Staaten, die an ein Kriegsgebiet angrenzen, für Länder mit besonderem Interesse am Atlantik oder die Mittelmeerländer, die direkt Konflikten des Nahen Ostens und Afrikas ausgesetzt sind. Eine wirksame Zusammenarbeit erfordert die Abstimmung nationaler Prioritäten und die Erhöhung der Investitionen mit gleichzeitiger Stärkung der wirtschaftlichen und geopolitischen Position Europas in der Welt.

Der Weltraum wird dabei auch zu einem Instrument der Diplomatie, wie es die USA mit den Artemis Accords und China in vielen Teilen der Welt beeindruckend demonstrieren. Die bestehenden Allianzen Europas könnten genutzt werden, um Europas Einfluss mittels der Raumfahrt weiter zu stärken und das industrielle Wachstum und einen höheren Handelsüberschuss voranzutreiben. Europa kann seinen Ruf als vertrauenswürdiger Partner in vielen Teilen der Welt ausbauen, ein wertvolles Gut in einer Zeit, in der die Welt mit den Unwägbarkeiten eines zunehmend komplexen, wettbewerbsorientierten und multipolaren Umfelds konfrontiert ist.

Europas Handeln im Weltraum stützt sich heute auf eine Vielzahl unterschiedlicher und teilweise konkurrierender Strategien, welche die komplexe Struktur der europäischen (Weltraum-)Politik zwischen nationalen, zwischenstaatlichen und supranationalen Kontexten widerspiegeln. Es gilt, Europa innerhalb dieser Strukturen unmittelbar handlungsfähig zu machen, da die geopolitischen Veränderungen keine Zeit lassen, um ein wünschenswertes einheitlicheres Umfeld zu etablieren – wobei dies allerdings mittelfristig ein Ziel bleiben sollte.

Europa ist aufgerufen, seiner Rolle in der Welt gerecht zu werden und den Nutzen der Raumfahrt für Wohlstand, Frieden und Sicherheit zu realisieren. Dabei kommt Deutschland gemeinsam mit Frankreich und Italien eine besondere Rolle zu.

Hermann Ludwig Möller
Hermann Ludwig Moeller ist Direktor des European Space Policy Institute, des europäischen Thinktanks für Raumfahrtpolitik mit Sitz in Wien. Zuvor war er Leiter des Büros für Strategie, Programme und Transformation sowie Leiter des CopernicusWeltraumsegmentbüros bei der Europäischen Weltraum organisation (Esa). Bei der Nasa war er zuvor Esa Douglas Marsh Fellow.

© Alexandre Nestora