Zu Rotarys NS-Geschichte in Holland
Kürzlich konnte die Forschungsgruppe Rotary-Geschichte mit niederländischen Freunden vom RC Rotterdam eine Zusammenarbeit beginnen.
Wir erinnern uns: Die Niederlande mit ihren seinerzeit 8,8 Mio. Einwohnern und davon etwa hundertsechzigtausend sowie ca. zwanzigtausend meist aus Deutschland gerade erst geflüchteten Juden waren bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges strikt neutral. Hitler befahl jedoch den Angriff auf das ebenso neutrale Belgien und die Niederlande, um Frankreich vom schwächer gesicherten Norden her angreifen zu können. Gleichzeitig wollte er Flugbasen für später geplante Luftangriffe auf Großbritannien erobern.
Nach fünftägigem, mutigem Verteidigungskampf gegen die übermächtige Wehrmacht und einem verheerenden Bombardement auf die zivile Bevölkerung Rotterdams mit 814 Toten und der totalen Zerstörung der Altstadt kapitulierten die Niederlande sofort am 14. Mai 1940. Unmittelbar nach der Invasion begannen die deutschen Besatzer mit der Verfolgung der Juden, besonders zunächst der aus Deutschland Geflohenen, unterstützt durch den schon bestehenden kollaborierenden paramilitärischen Apparat der "Nationaal Socialistische Beweging (NSB)".
Zeitgleich bildeten sich holländische Widerstandsgruppen mit verschiedenen religiösen, politischen und humanen Motivationen und deshalb wenig koordiniert. Es formierte sich bewaffneter und ziviler Widerstand im Untergrund mit dem Ziel, Verfolgte unterzubringen, Fluchthilfe zu leisten, Spionage- und Sabotageaktionen auszuführen.
Unter den Verfolgten und Widerständlern befanden sich zahlreiche Rotarier. Einige spielten im holländischen Widerstand auf ganz unterschiedliche Weise eine Schlüsselrolle. So organisierte der Rotarier Iman Jakob van den Bosch vom RC Eindhoven mit Hilfe einer "Untergrund-Bank" die Finanzierung des Lebensunterhaltes einer Widerstandsorganisation und der im Lande verbleibenden Familien der Exilanten.
Dem Apotheker Dr. Hendrik Cohen vom RC Rotterdam gelang es als Vorstandsmitglied des regionalen jüdischen Rates gleich zu Beginn, Judendeportationen über längere Zeit zu unterlaufen. Unter unmenschlichem Druck zwangen die Deutschen im Verlauf des Vernichtungsprogrammes den jüdischen Rat schließlich, jüdische Mitbürger nach Leben oder Tod zu sichten.
Beide Rotarier gaben für ihre humanitäre Überzeugung ihr Leben:
Van den Bosch wurde am 28. Oktober 1944 nach einer über dreijährigen effektiven Untergrundbetätigung in Groningen gefasst und ohne ordentliches Gerichtsverfahren im KZ Westerbork (NL) erschossen. Cohen wurde mit Ehefrau und Mutter ins KZ Bergen-Belsen deportiert. Sie starben an den Haftfolgen tragischerweise nur wenige Wochen vor Kriegsende.
Bei der seinerzeitigen Bevölkerungsstärke bestanden in den Niederlanden immerhin schon 34 rotarische Vorkriegsclubs. Über 30 holländische Rotarier kamen im Zweiten Weltkrieg zwischen 1940 und 1945 durch die deutschen Besatzer ums Leben. (Zum Vergleich: Im Deutschen Reich mit einer Einwohnerzahl von rund 80 Mio. kamen in der deutlich längeren Zeitspanne von 1933 bis 1945 nach heutigem Forschungsstand 30 rotarische Freunde aus 45 Vorkriegsclubs direkt und indirekt durch das NS-Regime zu Tode).
Viele weitere rotarische Freunde wurden wegen "illegaler Betätigung" gegen die Nationalsozialisten in Konzentrationslagern inhaftiert, zuerst in Holland und später in anderen KZs.
Unterdessen trafen die Kriegsfolgen auch den RC Rotterdam. Die Clubchronik berichtet, dass ein letztes Vorkriegsmeeting am 27. März 1940 in altbewährter Weise abgehalten werden konnte. Nach dem Tag der bedingungslosen Kapitulation am 14. Mai 1940 konnte der Club nicht mehr im Clubhotel tagen, da die Räumlichkeiten durch die Kriegshandlungen schwer beschädigt waren. Als Ausweichquartier stellte Freund GHL Schouten den Versammlungsraum seines Institutes für die wöchentlichen Meetings zur Verfügung. Die Freunde brachten zum Lunch ihre eigenen Butterstullen mit. Am 4. September 1940 befahl die deutsche Besatzungsmacht, mit sofortiger Wirkung die Rotary Meetings einzustellen. Das Clubarchiv und die Vermögen wurden eingezogen. "Der Club war somit auf Befehl der Besatzer ausgelöscht. Aber was die deutschen Eindringlinge nicht zu zerstören vermochten, war die Freundschaft unter den Clubmitgliedern. Dennoch wurden wechselnd in den Wohnungen der Rotterdamer Rotarier fünf Jahre lang mittwochs zwischen 14 und 16 Uhr Clubmeetings abgehalten." (Zitat aus dem Clubbulletin Nr. 1 vom 15. Mai 1945, dem ersten Clubmeeting in wiedergewonnener Selbstbestimmung)
Karsten D. Wick
RC Hamburg-Lombardsbrücke