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Der Gazakrieg isoliert Israel zusehends, selbst alte Freunde wenden sich ab. Ist Gaza der Geburtsort eines neuen Antisemitismus?

Christoph Butterwegge15.04.2024

Auslöser des Gazakrieges war ein Terrorangriff der Kassam-Brigaden, des bewaffneten Arms der radikal-islamischen Hamas, dem alsbald eine militärische (Über-)Reaktion Israels folgte. Begonnen hat dieser Konflikt nicht am Tag des Überfalls, dem 7. Oktober 2023, vielmehr gibt es jahrzehntealte Wurzeln, obwohl in deutschen Massenmedien teilweise so getan wurde, als sei das von Hamas-Kämpfern verübte Massaker an Jüdinnen und Juden quasi aus heiterem Himmel geschehen. Dabei entlud sich hier in brutalster Form ein lange aufgestauter Hass, den die frühere Besetzung, eine permanente Demütigung der Palästinenser/innen und ausufernde Siedlergewalt im Westjordanland mit hervorgebracht hatten. Fatal wirkte sich auch die totale Abriegelung des Gazastreifens für Personen und Waren durch Israel aus, welche das Elend in der Region zur Explosion bringen musste.

Leider gab der jüngste Nahostkrieg antisemitischen Ressentiments neue Nahrung, was Rechtsextremisten und Neonazis ausnutzten, um Jüdinnen und Juden in Deutschland noch mehr als früher zu beschimpfen, zu beleidigen und zu bedrohen. Attacken auf jüdische Einrichtungen häuften sich, und Männer, die eine Kippa trugen, wurden vermehrt Opfer von Gewalt.

Unter den antisemitisch motivierten Tätern waren und sind aber keineswegs nur Muslime, Migranten oder Menschen mit einer familiären Migrationsgeschichte. Schon zu einer Zeit, als es massenhafte Zuwanderung im (westlichen) Nachkriegsdeutschland noch gar nicht gab, mussten Synagogen von der Polizei geschützt werden, was jedoch nie massenhaften Protest hervorrief, der erforderlich gewesen wäre, um ein Klima der Solidarität mit der jüdischen Minderheit zu schaffen. Erst durch den Mordanschlag eines Rechtsextremisten auf die Besucher einer Synagoge in Halle/Saale am 9. Oktober 2019 geriet der Skandal in den Fokus.

Nach dem Menschheitsverbrechen der Shoah hat Deutschland eine besondere Verantwortung gegenüber dem Staat Israel. Ob diese im Gazakrieg 2023/24 ausgerechnet durch eine Vervielfachung der Waffenlieferungen an die israelische Armee wahrgenommen wurde, ist aber zweifelhaft. Denn die NS-Vergangenheit mahnt gerade, dass weder Nationalismus noch Militarismus und Krieg zur Lösung tiefer liegender Probleme oder Konflikte beitragen. Worin sich die Bundesrepublik aber heute wie in Zukunft von keinem Land der Welt überbieten lassen sollte, ist der auf sämtlichen Ebenen staatlichen Handelns zu führende Kampf gegen Rassismus, Antisemitismus und Judenhass. Würde dies konsequent geschehen, müsste sich Deutschland nicht mehr wie in der Vergangenheit etwa vom UN-Komitee zur Konvention gegen Rassismus wegen bestimmter Entscheidungen oder Unterlassungen rügen lassen.

Der konsequente Kampf gegen Antisemitismus schließt Kritik an Israel und seiner Regierungspolitik nicht aus, sondern bedingt sie eher. Wer hierzulande die Opfer der massiven Bombardierung des Gazastreifens und der IDF-Bodenoffensive unter der palästinensischen Zivilbevölkerung genauso beklagte wie die jüdischen Opfer des von Hamas-Mitgliedern angerichteten Blutbades und das israelische Kriegskabinett deshalb wie Uno-Generalsekretär António Guterres energisch zur Wahrung des humanitären Völkerrechts aufrief, wurde trotzdem oftmals als "Handlanger der Terroristen" diffamiert und vorschnell des Antisemitismus verdächtigt. Da half es Unterstützern des Wunsches der UN-Generalversammlung nach einem sofortigen Waffenstillstand auch nichts, wenn sie das Existenz- und Selbstverteidigungsrecht Israels aus vollster Überzeugung bejahten sowie eine friedliche Koexistenz aller Völker, Religionen und Kulturen im Nahen Osten anmahnten.

Gleichwohl ließ sich der Widerspruch nicht auflösen, dass man zwar behauptete, die Hamas besitze keinerlei Rückhalt unter den Palästinensern und missbrauche diese nach dem Bau militärischer Einrichtungen in oder unter zivilen Objekten – Krankenhäusern, Schulen und Kindertagesstätten – zudem als lebende Schutzschilde, aber keine Einwände dagegen erhob, dass somit von jeder Verantwortung für Raketenangriffe auf Israel freigesprochene Menschen trotz internationaler Proteste in einem „Krieg gegen Kinder“ (Unicef-Pressesprecher James Elder) für die Gräueltaten der Hamas mit Tausenden von Toten und zahllosen Verletzten büßen mussten.

Es gehört zur westlichen Doppelmoral, dass russische Bombardements auf ukrainische Städte, die zivile Einrichtungen zerstörten, als eklatante Menschen- und Völkerrechtsverletzungen gebrandmarkt, israelische Bombardements, die zivile Einrichtungen zerstörten, hingegen als vom Selbstverteidigungsrecht des jüdischen Staates gedeckte Kollateralschäden legitimiert wurden. Dass die Bombardierung, Aushungerung und Vertreibung unzähliger Zivilist(inn)en aus Gaza ein Akt der Selbstverteidigung und nicht Teil eines Rachefeldzuges der Regierung von Benjamin Netanjahu war, darf aber mit Fug und Recht bezweifelt werden.

Aus diesem Grund reichte Südafrika am 29. Dezember 2023 beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag eine Klage ein, die Israel des Völkermordes an den Palästinensern bezichtigte. Ohne schon in der Hauptsache zu entscheiden, haben die IGH-Richter mit großer Mehrheit einen Monat später Israel verpflichtet, von der Völkermordkonvention geächtete Handlungen zu unterlassen, humanitäre Hilfe für den Gazastreifen in ausreichendem Umfang zu ermöglichen sowie hetzerische öffentliche Äußerungen seiner Repräsentanten zu unterbinden und zu ahnden.

Der israelische Ministerpräsident lehnte trotz gegenteiliger Aufforderungen des US-Präsidenten Joe Biden als seinem wichtigsten Verbündeten (und Rüstungslieferanten) die Zweistaatenlösung ab und tat nichts, um ein friedliches Zusammenleben mit dem palästinensischen Volk zu ermöglichen. Israel verliert nicht gegen seine Feinde, sondern es verliert seine Freunde. Auf lange Sicht kann dies aber zu demselben, sicher von allen Israelis unerwünschten Resultat führen.

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Netanjahu scheinen auch der Schutz und die Befreiung der israelischen Geiseln nicht sehr am Herzen zu liegen. IDF-Soldaten erschossen am 15. Dezember 2023 im Gazastreifen versehentlich drei Israelis, die sich aus der Gefangenschaft befreit, eine weiße Flagge geschwenkt und ihre Hemden ausgezogen hatten, um ihren Landsleuten zu zeigen, dass sie keinen Sprengstoff am Körper trugen. Spätestens nach dieser Tragödie hätte auch die israelische Rechtsregierung einräumen können, dass die Invasion ein Irrweg zur Befreiung der Entführten war, der Gazakrieg umgehend beendet werden musste und diplomatische Bemühungen um eine Friedensordnung für den Nahen Osten mehr Erfolg versprachen.


Bei dem Text handelt es sich um eine Zusammenfassung von Kapitel 3.1 der jüngsten Buchveröffentlichung des Autors. Das Buch „Deutschland im Krisenmodus. Infektion, Invasion und Inflation als gesellschaftliche Herausforderung“ ist soeben bei Beltz Juventa erschienen, 270 Seiten, 24 Euro.

Christoph Butterwegge

Prof. Dr. Christoph Butterwegge hat bis 2016 Politikwissenschaft an der Universität zu Köln gelehrt und gemeinsam mit seiner Frau Dr. Carolin Butterwegge bei Campus (2021) das Buch Kinder der Ungleichheit. Wie sich die Gesellschaft ihrer Zukunft beraubt veröffentlicht. Nach Die polarisierende Pandemie. Deutschland nach Corona erschien nun Deutschland im Krisenmodus. Infektion, Invasion und Inflation als gesellschaftliche Herausforderung bei Beltz Juventa.