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Zukunftsperspektiven für den Skitourismus

Forum - Zukunftsperspektiven für den Skitourismus
Kitzsteinhorn: Erste frühe Schneefälle haben den Gletscher bereits in eine Neuschneedecke gehüllt. Auch am Kitzsteinhorn hoffen Bergbahner, Pistenbetreiber, Hoteliers, Gastronomen und Touristen auf eine lange Saison. © Christoph Oberschneider/kitzsteinhorn.at

Warum uns der Schnee vermutlich nicht ausgehen wird, aber trotzdem weniger Menschen Ski fahren werden.

Günther Aigner01.11.2021

Im Jahr 2000 zitierte der Spiegel den führenden Klimaforscher Mojib Latif: „Winter mit starkem Frost und viel Schnee wie noch vor 20 Jahren wird es in unseren Breiten nicht mehr geben.“ Ein Jahr später schrieb der Weltklimarat IPCC, dass die Klimaerwärmung „in der nördlichen Hemisphäre, auf Landflächen und im Winterhalbjahr“ am schnellsten voranschreiten würde. Und 2005 prognostizierte der österreichische Zukunftsforscher Andreas Reiter: „2040 werden Tirols Skilehrer Wein anbauen.“

Schon vor 20 Jahren schien das Skifahren vor dem klimabedingten Aus zu stehen. Dabei hat die Klimadiskussion im Skisport bereits gegen Ende der 1980er Jahre begonnen – lange bevor der Klimawandel gesamtgesellschaftlich debattiert wurde. Drei sehr milde Winter haben damals im gesamten Alpenraum Schockwellen im Skitourismus ausgelöst. Erste Skifirmen gingen in Konkurs und die Zeichen im Business standen auf „No Future!“. Schlimm hat es Südtirol und die Südalpen erwischt – mit zwei beinahe schneelosen Wintern hintereinander: 1988/89 und 1989/90. Ironischerweise haben die Südtiroler in dieser existenzbedrohenden Situation Innovationsgeist bewiesen und sich zu den Weltmarktführern in der technischen Beschneiung aufgeschwungen. Aber die Prognosen waren vor 30 Jahren verheerend.

Gletschereis schmilzt im Sommer

Das winterliche Klima im Gebirge hat sich allerdings nicht an die pessimistischen Prognosen gehalten. Über die vergangenen 50 Jahre ist ab mittleren Höhenlagen alpenweit kein statistisch belegbarer Trend zu milderen Wintern messbar. Die Tatsache, dass medial nicht darüber berichtet wird und sich sogar in der Wissenschaft kaum jemand für diesen bemerkenswerten Sachverhalt zu interessieren scheint, ändert nichts an den harten amtlichen Messdaten. Wir beobachten den gleichen Trend übrigens auf den Bergstationen der deutschen Mittelgebirge – so am Feldberg im Schwarzwald oder am Fichtelberg im Erzgebirge. Die MeteoSchweiz formulierte in einer Studie: „Am Übergang von den 1980er zu den 1990er Jahren haben sich die Schweizer Bergwinter innerhalb sehr kurzer Zeit markant erwärmt. In den anschließenden zwei Jahrzehnten folgte eine signifikante Abkühlung zurück auf das Temperaturniveau vor der Erwärmung.“ Insgesamt sei innerhalb der letzten 50 Jahre kein Trend erkennbar – weder zur Erwärmung noch zur Abkühlung.

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Die Abweichungen der Wintertemperaturen auf elf Bergwetterstationen vom 50-jährigen Mittel von 1971/72 bis 2020/21. Der leichte Anstieg von knapp 0,7 Grad Celsius ist statistisch nicht signifikant © Grafik: forum zukunft skisport/www.zukunft-skisport.at

Auch die langen Schneemessreihen geben den Freunden des Skisports Hoffnung: In den alpinen Wintersportorten haben die Schneemengen in den vergangenen 100 Jahren statistisch nicht belegbar abgenommen. Ausnahmen finden sich in sehr tiefen Lagen und in den Südalpen (Dolomiten, Kärnten). Wer sich jetzt fragt, wo die Klimaerwärmung in den Alpen geblieben sei, kann beschwichtigt werden: Sie findet sich in den Sommerhalbjahren! So sind die alpinen Bergsommer in den vergangenen 50 Jahren um etwa drei Grad Celsius wärmer und um knapp 25 Prozent sonniger geworden. Diese Entwicklung hat die Jahresmitteltemperaturen deutlich nach oben getrieben. An den Sommermonaten messen wir die globale Erwärmung, und sie lassen das vermeintlich „ewige“ Eis der Gletscher wie Butter in der Sonne schmelzen.

Skifahren an 200 Tagen im Jahr

Wir halten überrascht fest: Trotz Klimawandel ist jeder Abgesang auf den Winter verfrüht. Aller Emotionalität in den Diskussionen zum Trotz: Es gibt aktuell keinerlei empirisch belegbare Indizien, dass das Skifahren durch den Klimawandel kurz- und mittelfristig in eine existenzielle Bedrängnis kommen könnte. Die Skisaisonen in den österreichischen Bergen sind in den vergangenen 30 Jahren statistisch belegbar länger und gleichmäßiger geworden. Das liegt an den immer noch günstigen klimatischen Bedingungen sowie an der raffinierten und zunehmend effizienteren technischen Beschneiung – mit all ihren Vor- und Nachteilen. Auch die Digitalisierung verspricht für die Zukunft der technischen Beschneiung weitere Qualitätssprünge. Hinzu kommen unkonventionelle Innovationen wie das Deponieren und Konservieren von Schnee über den Sommer. In Kitzbühel führten diesbezügliche Pilotprojekte („Schneeübersommerung“) zu Skisaisonlängen von mehr als 200 Tagen bei einem sommerlichen Schwund im Schneedepot von lediglich 13 Prozent – dank eines ausgeklügelten Isolierkonzepts von heimischen Dämmstoffexperten.

Das tatsächliche Problem kommt aus der ökonomischen Richtung. Das Skifahren kostet immer mehr, vor allem in den sogenannten Premiumgebieten. In Sölden, Ischgl und am Arlberg zahlt man im kommenden Winter mehr als 60 Euro für die Tageskarte. Über die vergangenen 30 Jahre können wir durchschnittliche Preissteigerungen von mehr als drei Prozent per annum verzeichnen. Wie viele Arbeitnehmer können dies von ihrem Gehalt behaupten?

Nicht der Schneefall bleibt daher aus, höchstens der Gast. Das Skifahren ist auf dem Weg zum Luxussport, den sich nur noch Wohlhabende leisten können.

In den USA ist dies übrigens schon längst der Fall. In Österreich und Deutschland war Skifahren in den Goldenen Zwanzigern der Zwischenkriegszeit ebenfalls elitär. Erst der gigantische Aufschwung nach dem Zweiten Weltkrieg, das Wirtschaftswunder, machte den Skisport zum Volkssport. 

Muss das Skifahren wirklich so teuer sein? Die verblüffende Antwort lautet: „Ja!“ Der Skifahrer will Qualität. Er bekommt sie. Im Alpenraum, vor allem in Österreich, wurde vonseiten der Betreiber gewaltig an der Qualitätsspirale gedreht. Die Ernte: höhere Preise, zugleich ein größerer Kuchen am Weltmarkt. Kein Land hat in den vergangenen Jahrzehnten mehr Marktanteile eingesammelt als die kleine Alpenrepublik, die unbestrittene Weltmacht im Skifahren und im Skitourismus. Die teuersten Skigebiete in Österreich sind gleichzeitig jene, die am besten nachgefragt werden. Kleine und mittelgroße leistbare Skigebiete werden links liegen gelassen. Viele jammern über die teuren Skigebiete – und fahren dann genau dorthin.

Aber es gibt noch eine andere Bedrohung für den Skitourismus im deutschsprachigen Raum, die man geschichtlich herleiten muss. Das alpine Skifahren ist eine relativ junge Sportart. In den Alpen und im Schwarzwald können wir „nur“ auf eine 125-jährige Skigeschichte zurückblicken. Während das Skifahren bereits jahrtausendelang rund um die Arktis praktiziert wurde (etwa in Norwegen und Russland), kamen Mitteleuropäer damit erst ab Mitte der 1890er Jahre in Berührung. Die Skipioniere von damals entstammten großteils der urbanen gebildeten Schicht. Sie trugen den Skisport in die Berge und waren federführend, ihn zu einer Massenbewegung zu machen.

Wenn der Markenkern wegbricht

Diese urbane Intelligenz war und ist der Markenkern des alpinen Skitourismus. Aber seit einigen Jahren wendet sie sich vom Skifahren ab, getrieben von einem negativen Bild vom Skitourismus in den Medien und in der Wissenschaft. Ständig hört und liest man, dass das Skifahren keine Zukunft habe, die Natur zerstöre, die Berge wegsprenge und mit der technischen Beschneiung die alpine Vegetation vernichte. Oder wie es die Zeit formulierte: „Jeder Skifahrer, der unter seinem Helm ein funktionsfähiges Gehirn hat, wird sich schon einmal gefragt haben, was zur Hölle er da eigentlich für ein Hobby hat, und ob es nicht ein guter Vorsatz wäre, sich endlich ein neues zu suchen.“ Es sieht danach aus, dass wir eine selbsterfüllende Prophezeiung erleben werden: Die städtisch geprägte Bevölkerung wird sich in den nächsten Jahrzehnten langsam vom Skisport verabschieden, weil sie heute nicht mehr an seine Zukunft glaubt und das Interesse daran nicht länger an die nächste Generation weitergibt. Die Auswirkungen werden dramatisch sein, obgleich viele Touristiker und Seilbahner das Problem aktuell noch ignorieren. Sie kommunizieren gern „Good News“ sowie Happy Lifestyle“ und arbeiten teure Werbekampagnen aus, während sie nicht bemerken, dass dem Skitourismus gerade der Markenkern wegbricht.

Darüber hinaus wird die geringe Zahl an Geburten in den meisten westeuropäischen Ländern dafür sorgen, dass zukünftig weniger potenzielle Skifahrer leben werden. Und ein rasant größer werdender Teil der Einwohner Westeuropas will gar nicht Ski fahren: Menschen mit Migrationshintergrund haben häufig keinen kulturellen Bezug, auch nicht in der zweiten oder dritten Generation.

Der größte Boom aller Zeiten

In China ist alles anders. Im Reich der Mitte sehen wir aktuell den größten Skisportboom aller Zeiten. Dank der explodierenden chinesischen Nachfrage beherbergt der Planet aktuell so viele Skifahrer wie noch nie zuvor in der Geschichte der Menschheit: 135 Millionen. Wir sind also weit weg vom Ende des Skisports und doch deutet in Europa viel darauf hin, dass der Skitourismus in der Breite zurückgehen wird. Gleichzeitig spricht wenig für ein abruptes Skiende aufgrund von Schneemangel. Angesagte Revolutionen finden eben meist nicht statt. Die Skigeschichte in den Alpen und im Schwarzwald mag nicht sehr alt sein, doch wird sie nicht so schnell zu Ende gehen.

Günther Aigner
Günther Aigner, RC Kitzbühel, ist einer der führenden Zukunftsforscher auf dem Gebiet des alpinen Skitourismus im deutschsprachigen Raum. Er ist seit 2014 als Skitourismusforscher tätig und führt das Forum Zukunft Skisport. zukunft-skisport.at