Heikle Aufgabe
Zwischen Schutz und Freiheit
Die Zuwanderung wird weiter steigen. Wichtig ist ein geordneter Ablauf – bei gleichzeitiger Erhaltung der inneren Sicherheit.
Die Aufnahmekapazitäten für Flüchtlinge waren im Spätherbst 2015 am Limit. Bis zu 10.000 Flüchtlinge überquerten täglich die deutschen Grenzen und strebten Asyl an. Bis zum Jahresende 2015 reisten 890.000 Schutzsuchende nach Deutschland ein. Den meisten Asylbewerbern wurde die Flüchtlingseigenschaft gemäß der von Deutschland ratifizierten Genfer Flüchtlingskonvention zuerkannt oder sie wurden als subsidiär Schutzberechtigte anerkannt. Dieser Schutz nach der Genfer Konvention ist bei Herkunft aus einem sicheren Drittstaat nicht zwingend zu gewährleisten, in Anbetracht der Notsituation vieler Kriegsflüchtlinge als Ausnahmesituation aber nachvollziehbar.
Durch das Selbsteintrittsrecht Deutschlands gemäß Artikel 17 der Dublin-Verordnung erfolgten keine Rückführungen mehr in einige der Länder, aus denen zuerst eine Einreise in die EU erfolgte. Das Dublin-Verfahren war länger schon mit Griechenland ausgesetzt.
Abschiebung schwierig
Durch die befristete Wiedereinführung der Grenzkontrollen in Deutschland im September 2015 konnte erreicht werden, dass die Einreise der Flüchtlinge an der österreichisch-deutschen Grenze wieder geordnet verlief und unerlaubte Einreisen Nicht-Schutzsuchender verhindert wurden. Dies erfolgte mit hohem Engagement von Kräften der Bundespolizei aus dem gesamten Bundesgebiet.
Nun ist erst einmal festzuhalten, dass die Flucht der meisten Personen schwerwiegende Ursachen hat. Diese heißen Krieg, Vertreibung und Verfolgung, aber auch wirtschaftliche Not. Nach über einem Jahr sind allerdings hierzulande auch die Probleme, die solch eine große Zuwanderung mit sich brachte, sichtbar geworden.
Der Anteil der Tatverdächtigen aus einigen Staaten ist überproportional hoch. Dies trifft auf Asylbewerber, Asylberechtigte, Geduldete und Kontingentsflüchtlinge in Ballungsräumen zu. Es ist allerdings die Minderheit aller Schutzsuchenden und konzentriert sich oft auf wenige Intensivtäter. Die Abschiebung gestaltet sich oft schwierig.
Die Haft zur Sicherung der Abschiebung ist nur unter strengen Voraussetzungen möglich; oft nur dann, wenn die Abschiebung unmittelbar bevorsteht. Auch die gemeinsame Unterbringung von Strafgefangenen und Rückzuführenden ist unzulässig. Einige der zuständigen Bundesländer verfügen derzeit über keine separate Unterbringungsmöglichkeit für Rückzuführende.
Austausch von Daten
Die biometrischen Daten der Schutzsuchenden konnten oft in den Aufnahmeeinrichtungen nicht erfasst werden. Der Austausch der Daten von der polizeilichen Erfassung zum Bundesamt für Migration und Flüchtlinge war noch nicht möglich. All dies wurde nun behoben oder wird gerade verbessert.
Die Welt verändert sich weiter in rasantem Tempo. Heute leben in Afrika etwa eine Milliarde Menschen. Bis 2050 wird sich ihre Zahl mehr als verdoppeln. Das Bruttoinlandsprodukt des gesamten afrikanischen Kontinents ist aktuell in etwa so groß wie das Frankreichs.
Anzunehmen ist, dass eine starke Zuwanderung aus Afrika nach Europa erfolgen wird. Schon jetzt starben Hunderte Menschen auf der Überfahrt über das Mittelmeer. Die Frontex-Mission „Mare Nostrum“ und die EU-Marinemission „Sophia“ drangen bis vor die libysche Küste vor und retteten Tausende Schiffbrüchige. Andererseits konnten Schleuser mit einfachsten Booten vor die Küste fahren und die Notposition per Satellitenfunk übermitteln. Dann erfolgte mit Glück die Aufnahme in die Rettungsboote der Europäer. Viele Menschen aber schafften es nicht.
Wie können zukünftige Herausforderungen bewerkstelligt werden, ohne die Sicherheit der Menschen in unserem Land zu gefährden? Viele Maßnahmen sind schon im letzten Jahr erfolgt. Dies trifft besonders auf die Schaffung von Schnittstellen zum erkennungsdienstlichen Abgleich der Daten zwischen den Behörden zu. Im September 2016 ist ein umfangreiches Maßnahmenpaket zur Erhöhung der Sicherheit in Deutschland vom Bundesinnenministerium vorgestellt worden.
Nach dem Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz sind weitere konkrete Maßnahmen zwischen dem Bundesinnen- und dem Justizminister vereinbart worden. So wird angestrebt, den Ausreisegewahrsam bis auf zehn Tage zu verlängern. Geplant sind erleichterte Voraussetzungen für die Abschiebehaft. Dabei geht es um die Einführung eines neuen Haftgrundes für diejenigen, die eine erhebliche Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellen oder von denen eine Terrorgefahr ausgeht. Desweitern kann diese Haft auch dann verhängt werden, wenn sie möglicherweise länger als drei Monate dauert, weil die Herkunftsländer die erforderlichen Passersatzpapiere nicht ausstellen.
Der Einsatz von automatischen Kennzeichenlesesystemen an den Grenzen und von Bodycams bei der Bundespolizei ist bereits vom Bundeskabinett verabschiedet worden und hat den Bundesrat passiert. Der Einsatz von automatischen Kennzeichenlesesystemen soll dabei die Fahndungsmöglichkeiten nach Fahrzeugen und deren Insassen verbessern, besonders in Fällen grenzüberschreitender Kriminalität. Bei den Sicherheitsbehörden des Bundes werden in den nächsten Jahren Tausende neuer Stellen geschaffen.
Die Ausbildung der Polizistinnen und Polizisten für die neu geschaffenen Dienstposten wird allerdings erst einmal einen riesigen Kraftakt darstellen, der von der bestehenden Organisation zu leisten ist. Die Bundespolizei erhöht mit neuen robusten Einheiten wie „BFE +“ (Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit plus) ihre Reaktions- und Durchhaltefähigkeit im Falle eines terroristischen Anschlags. Auch die Bundesländer investieren verstärkt in ihre Polizeien.
Bundespolizei stärken
Die Speicherung von personenbezogenen Daten Asylbegehrender in Zentraldateien und Rechercheverpflichtungen aller am Verfahren beteiligter Behörden in Deutschland erscheint unerlässlich. Hier gilt: Einmalige Erfassung – mehrfache Nutzung.
Jedoch kann der terroristischen Bedrohung durch fanatische Einzeltäter nicht auf jeder regionalen Ebene adäquat begegnet werden. Technologische Weiterentwicklungen im Bereich der Biometrie und Gesichtserkennungssysteme bedingen eine Stärkung der Kompetenzen zentraler Sicherheitsbehörden. Dies gilt auch für den Einsatz intelligenter Videotechnik.
Der Fall des Berliner Attentäters Anis Amri hat gezeigt, dass trotz mutmaßlicher Befassung von 50 staatlichen Stellen eine Registrierung unter zahlreichen Alias-Identitäten möglich war und eine Abschiebehaft offensichtlich nicht zustande kam. Mehrere Staatsanwaltschaften verfolgten nach Medienangaben verschiedene Einzelstraftaten Amris. Für eine Zuständigkeit des Generalbundesanwaltes wegen Terrorverdachts hatte es nicht gereicht. Somit blieb der Status des Gefährders.
In Deutschland sind annähernd 40 verschiedene Sicherheitsbehörden für Gefährder zuständig. Je nachdem, wo der Gefährder sich aufhält, kann diese Zuständigkeit wechseln. Hier wird von Politikern vorgeschlagen, zentrale Bundeszuständigkeiten in den Bereichen Abschiebung, Gefährdermanagement und Bündelung von Straftaten bei Gefährdern zu schaffen. Das würde nach deren Meinung keine Abschaffung des Föderalismus bedeuten, sondern eine spezialisierte Aufgabenzuweisung angesichts steigender Bedrohung.
Die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden in den zahlreichen gemeinsamen Zentren ist für den Informationsaustausch wichtig, verlangt aber angesichts neuer Bedrohungsformen auch gebündelte Entscheidungsbefugnisse. So wird vorgeschlagen, dass die Fälle ausreisepflichtiger Gefährder, einschließlich der Beantragung von Abschiebehaft, abschließend durch die Bundespolizei bearbeitet werden könnten.