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Heikle Aufgabe

Zwischen Schutz und Freiheit

Die Zuwanderung wird weiter steigen. Wichtig ist ein geordneter Ablauf – bei gleichzeitiger Erhaltung der inneren Sicherheit.

Rico Reuschel01.05.2017

Die Aufnahmekapazitäten für Flüchtlinge waren im Spät­herbst 2015 am Limit. Bis zu 10.000 Flüchtlinge überquerten täglich die deutschen Grenzen und strebten Asyl an. Bis zum Jahresende 2015 reis­ten 890.000 Schutzsuchende nach Deutsch­land ein. Den meisten Asylbewerbern wurde die Flüchtlingseigenschaft gemäß der von Deutschland ratifizierten Genfer Flüchtlingskonvention zuerkannt oder sie wurden als subsidiär Schutzberechtigte anerkannt. Dieser Schutz nach der Genfer Konvention ist bei Herkunft aus einem sicheren Drittstaat nicht zwingend zu gewährleisten, in Anbetracht der Notsitu­ation vieler Kriegsflüchtlinge als Ausnahmesituation aber nachvollziehbar.

Durch das Selbsteintrittsrecht Deutschlands gemäß Artikel 17 der Dublin-Ver­ordnung erfolgten keine Rückführungen mehr in einige der Länder, aus denen zuerst eine Einreise in die EU erfolgte. Das Dublin-Verfahren war länger schon mit Griechenland ausgesetzt.

Abschiebung schwierig
Durch die befristete Wiedereinführung der Grenzkontrollen in Deutschland im September 2015 konnte erreicht werden, dass die Einreise der Flüchtlinge an der österreichisch-deutschen Grenze wieder geordnet verlief und unerlaubte Einreisen Nicht-Schutzsuchender verhindert wurden. Dies erfolgte mit hohem Engagement von Kräften der Bundespolizei aus dem gesamten Bundesgebiet.

Nun ist erst einmal festzuhalten, dass die Flucht der meisten Personen schwerwiegende Ursachen hat. Diese heißen Krieg, Vertreibung und Verfolgung, aber auch wirtschaftliche Not. Nach über einem Jahr sind allerdings hierzulande auch die Probleme, die solch eine große Zuwanderung mit sich brachte, sichtbar geworden.

Der Anteil der Tatverdächtigen aus einigen Staaten ist überproportional hoch. Dies trifft auf Asylbewerber, Asylberechtigte, Geduldete und Kontingentsflüchtlinge in Ballungsräumen zu. Es ist allerdings die Minderheit aller Schutzsuchenden und konzentriert sich oft auf wenige Intensivtäter. Die Abschiebung gestaltet sich oft schwierig.
Die Haft zur Sicherung der Abschiebung ist nur unter strengen Voraussetzungen möglich; oft nur dann, wenn die Abschiebung unmittelbar bevorsteht. Auch die gemeinsame Unterbringung von Strafgefangenen und Rückzuführenden ist unzu­lässig. Einige der zuständigen Bundesländer verfügen derzeit über keine separate Unterbringungsmöglichkeit für Rück­zu­führende.

Austausch von Daten
Die biometrischen Daten der Schutzsuchenden konnten oft in den Aufnahmeeinrichtungen nicht erfasst werden. Der Austausch der Daten von der polizeilichen Erfassung zum Bundesamt für Migration und Flüchtlinge war noch nicht möglich. All dies wurde nun behoben oder wird gerade verbessert.

Die Welt verändert sich weiter in rasantem Tempo. Heute leben in Afrika etwa eine  Milliarde Menschen. Bis 2050 wird sich ihre Zahl mehr als verdoppeln. Das Bruttoinlandsprodukt des gesamten afrikanischen Kontinents ist aktuell in etwa so groß wie das Frankreichs.

Anzunehmen ist, dass eine starke Zuwanderung aus Afrika nach Europa erfolgen wird. Schon jetzt starben Hunderte Menschen auf der Überfahrt über das Mit­telmeer. Die Frontex-Mission „Mare Nostrum“ und die EU-Marinemission „Sophia“ drangen bis vor die libysche Küste vor und retteten Tausende Schiffbrüchige. Anderer­seits konnten Schleuser mit einfachsten Booten vor die Küste fahren und die Notpo­sition per Satellitenfunk übermitteln. Dann erfolgte mit Glück die Aufnahme in die Ret­tungsboote der Europäer. Viele Menschen aber schafften es nicht.
Wie können zukünftige Herausforderungen bewerkstelligt werden, ohne die Sicherheit der Menschen in unserem Land zu gefährden? Viele Maßnahmen sind schon im letzten Jahr erfolgt. Dies trifft besonders auf die Schaffung von Schnittstellen zum erkennungsdienstlichen Abgleich der Daten zwischen den Behörden zu. Im Sep­tember 2016 ist ein umfangreiches Maßnahmenpaket zur Erhöhung der Sicherheit in Deutschland vom Bundesinnenministerium vorgestellt worden.

Nach dem Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz sind weitere konkrete Maßnahmen zwischen dem Bundesinnen- und dem Justizminister vereinbart worden. So wird angestrebt, den Ausreisegewahrsam bis auf zehn Tage zu verlängern. Geplant sind erleichterte Voraussetzungen für die Abschiebehaft. Dabei geht es um die Einführung eines neuen Haftgrundes für diejenigen, die eine erhebliche Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellen oder von denen eine Terrorgefahr ausgeht. Desweitern kann diese Haft auch dann verhängt werden, wenn sie möglicherweise länger als drei Monate dauert, weil die Herkunftsländer die erforderlichen Passersatzpapiere nicht ausstellen.

Der Einsatz von automatischen Kennzeichenlesesystemen an den Grenzen und von Bodycams bei der Bundespolizei ist bereits vom Bundeskabinett verabschiedet worden und hat den Bundesrat passiert. Der Einsatz von automatischen Kenn­zei­chenlesesystemen soll dabei die Fahndungsmöglichkeiten nach Fahrzeugen und deren Insassen verbessern, besonders in Fällen grenzüberschreitender Kriminalität. Bei den Sicherheitsbehörden des Bundes werden in den nächsten Jahren Tausen­de neuer Stellen geschaffen.

Die Ausbildung der Polizistinnen und Polizisten für die neu geschaffenen Dienstposten wird allerdings erst einmal einen riesigen Kraftakt darstellen, der von der bestehenden Organisation zu leisten ist. Die Bundespolizei erhöht mit neuen robusten Einheiten wie „BFE +“ (Beweissiche­rungs- und Festnahmeeinheit plus) ihre Reaktions- und Durchhaltefähigkeit im Falle eines terroristischen Anschlags. Auch die Bundesländer investieren verstärkt in ihre Polizeien.

Bundespolizei stärken
Die Speicherung von personenbezogenen Daten Asylbegehrender in Zentraldateien und Rechercheverpflichtungen aller am Verfahren beteiligter Behörden in Deutschland erscheint unerlässlich. Hier gilt: Ein­malige Erfassung – mehrfache Nutzung.

Jedoch kann der terroristischen Bedrohung durch fanatische Einzeltäter nicht auf jeder regionalen Ebene adäquat begegnet werden. Technologische Weiterentwick­lungen im Bereich der Biometrie und Ge­sichtserkennungssysteme bedingen eine Stärkung der Kompetenzen zentraler Sicher­heitsbehörden. Dies gilt auch für den Ein­satz intelligenter Videotechnik.  

Der Fall des Berliner Attentäters Anis Amri hat gezeigt, dass trotz mutmaßlicher Befassung von 50 staatlichen Stellen eine Registrierung unter zahlreichen Alias-­Identitäten möglich war und eine Abschiebehaft offensichtlich nicht zustande kam. Mehrere Staatsanwaltschaften verfolgten nach Medienangaben verschiedene Einzelstraftaten Amris. Für eine Zuständigkeit des Generalbundesanwaltes wegen Terrorverdachts hatte es nicht gereicht. Somit blieb der Status des Gefährders.

In Deutschland sind annähernd 40 ver­schiedene Sicherheitsbehörden für Gefähr­der zuständig. Je nachdem, wo der Gefährder sich aufhält, kann diese Zuständigkeit wechseln. Hier wird von Politikern vorgeschlagen, zentrale Bundeszuständigkeiten in den Bereichen Abschiebung, Gefährder­management und Bündelung von Straftaten bei Gefährdern zu schaffen. Das würde nach deren Meinung keine Abschaffung des Föderalismus bedeuten, sondern eine spezialisierte Aufgabenzuweisung angesichts steigender Bedrohung.

Die Zusammenarbeit der Sicherheitsbe­hörden in den zahlreichen gemeinsamen Zentren ist für den Informationsaustausch wichtig, verlangt aber angesichts neuer Bedrohungsformen auch gebündelte Entscheidungsbefugnisse. So wird vorgeschla­gen, dass die Fälle ausreisepflichtiger Ge­fährder, einschließlich der Beantragung von Abschiebehaft, abschließend durch die Bundespolizei bearbeitet werden könnten.

Rico Reuschel (RC Chemnitz) war bis Ende August 2016 Einsatz­chef der Bundespolizeidirektion Pirna, die für die Aufgaben der Bundespolizei in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zuständig ist. Seit September 2016 arbeitet er für einen Untersuchungsausschuss in der Verwaltung des Deutschen Bundestages. Der Beitrag gibt die persönliche Meinung des Autors wieder.