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Das schwierige Thema Transplantation

Jeder hat das Recht auf Leben

Bernhard Banas25.06.2012

Warum werden überhaupt Organe transplantiert? Weil Ärzte zeigen wollen, wie toll sie sind? Weil es ethisch lobenswert oder einfach weil es modern ist? Nein, die Grundlagen der Transplantationsmedizin sind harte Fakten und die therapeutischen Erfolge einer Organübertragung sind besser belegt als vieles andere in der Medizin: Mit einer Transplantation eines Herzens, einer Lunge oder einer Leber kann man unmittelbar das Leben eines Patienten retten, der sonst sterben müsste. Mit der erfolgreichen Transplantation einer Niere kann man die Lebenserwartung eines Dialysepatienten bis zu verdreifachen. Und mit der Transplantation einer Bauchspeicheldrüse kann man Diabetes heilen und diabetische Spätschäden wie eine Erblindung vermeiden. Jeder, der einmal einen erfolgreich transplantierten Patienten getroffen hat, weiß wovon ich hier schreibe.

Die Transplantationsmedizin ist auch in jeglichem Sinne „rentabel“: Leben ist besser als sterben. Mit einem neuen Organ gesund sein ist besser als chronisch krank sein. Nierentransplantiert sein heißt, nicht mehr drei Tage pro Woche zur Dialyse gehen zu müssen, und ist darüber hinaus erheblich billiger als die Behandlung an der Maschine. Viele – auch arme – Länder dieser Welt fördern deshalb ihre Transplantationsprogramme, um die Gesundheit ihrer Bevölkerung zu verbessern und um Kosten einzusparen.

 

Schlechter Zustand

Leider werden aber in Deutschland die Ergebnisse der Transplantationsmedizin immer schlechter, und das trotz aller chirurgischen und pharmakologischen Fortschritte: Die Überlebenszeiten der transplantierten Patienten nehmen ab und sind im europäischen Vergleich beschämend niedriger. 25.000 potentiellen Organempfängern stehen aktuell nur noch 1.200 Organspender jährlich gegenüber. Und das bedeutet, dass in Deutschland Spenderorgane für eine Transplantation akzeptiert werden müssen, die man in vielen Ländern der Welt nicht verwenden würde, weil sie für den Empfänger nur suboptimal geeignet scheinen.

Viele Patienten sind in dieser aussichtslosen Situation so frustriert, dass sie sich für eine Transplantation gar nicht mehr registrieren lassen. So steht beispielweise nur ca. jeder zehnte der 80.000 deutschen Dialysepatienten auf der Warteliste zur Transplantation, weil er weiß, dass er durchschnittlich sieben Jahre auf ein Spenderorgan warten muss. Anderswo ist die Rate der zur Transplantation gelisteten Patienten dreimal so hoch, und es werden mehr als 70 Prozent aller Dialysepatienten im Laufe ihres Lebens transplantiert.

Nimmt man die Patienten, die dringend eine neues Herz, eine neue Lunge oder eine neue Leber benötigen hinzu, dann warten in diesem Moment knapp 12.000 Menschen aktiv auf ein Spenderorgan. Rund 1.000 Patienten sterben auf der Warteliste zur Transplantation jedes Jahr. Weitere 1.000 werden wieder abgemeldet, weil sie für eine Transplantation zu krank wurden. Es stirbt damit in Deutschland alle vier Stunden ein Patient, dem man eigentlich gut hätte helfen können. Dies wäre nicht nur eine medizinische Pflicht gewesen sondern vor allem eine humane. Nicht zuletzt Artikel 2 des Grundgesetzes sagt: „Jeder hat das Recht auf Leben“!

Der Grund für die schlechte Situation in Deutschland ist, dass die Rahmenbedingungen der Transplantation in Deutschland schlechter sind als in den meisten Nachbarländern. Und damit kann sich weder die Transplantationsmedizin, noch die Gesellschaft in Deutschland zufrieden geben. Mit den Vorbereitungen zur aktuellen Novellierung des Transplantationsgesetzes bat die Deutsche Transplantationsgesellschaft deshalb alle Abgeordneten des Deutschen Bundestages echte Verbesserungen vorzunehmen.

Und in der Tat, Verbesserungen sind absehbar: Sogenannte Transplantationsbeauftragte werden verpflichtend für alle größeren Krankenhäuser eingeführt werden. Damit sollen durch besonders geschulte Ärzte potentielle Organspender besser erkannt und die Organspendezahlen gesteigert werden.

Es wird überdacht, wie die Struktur und Finanzierung der Nachsorge nach einer Transplantation verbessert werden kann. Der Erfolg einer Transplantation hängt nämlich nicht nur von der Operation und der unmittelbaren, postoperativen Versorgung im Krankenhaus ab. Sondern es ist wichtig, dass auch langfristig die Patienten individuell perfekt betreut werden, um ein optimales Organ- und damit auch Patientenüberleben zu erzielen.

In diesem Zusammenhang werden auch die Regelungen zur Qualitätskontrolle noch besser an die entsprechenden Anforderungen angepasst werden. Schon jetzt werden die Tätigkeiten der Transplantationsmedizin durch die Bundesärztekammer und den Gemeinsamen Bundesausschuss streng überwacht und die Ergebnisse der Transplantationszentren für jeden zugänglich publiziert. Dies soll offenlegen, dass mit dem raren Gut Spenderorgan nicht nur rechtlich korrekt, sondern auch ethisch und medizinisch korrekt umgegangen wird.

 

Lebendorganspenden

Aufgrund der langen Wartezeiten zur Transplantation bitten zunehmend mehr Patienten ihre nahen Angehörigen, ihnen ein Organ zu spenden. Diese sogenannten Lebendorganspender sind aktuell für viele Patienten der einzige Ausweg, um ein geeignetes Organ zu erhalten. Speziell bei Kindern sind es zumeist die Eltern, die den dringenden Wunsch haben, ihnen eine Niere oder einen Teil der Leber zu schenken, um ein Weiterleben zu ermöglichen. Prinzipiell ist jeder Lebendorganspender für medizinische Folgen der Organspende über die Krankenversicherung des Empfängers und die gesetzliche Unfallversicherung abgesichert. Dennoch stellte im vergangenen Jahr ein Sozialgerichtsurteil dieses Konzept in Frage. Deshalb wird nun der Lebendspenderschutz in weiten Teilen neu geregelt, mit dem Ziel, hier eine bestmögliche Absicherung zu garantieren.

Eines aber ist nicht gelungen: Für die Neuregelung der Organspende schlug die Deutsche Transplantationsgesellschaft die Einführung der Widerspruchsregelung vor. Jeder, der nicht explizit widerspricht, sollte prinzipiell ein Organspender sein. Diese Regelung existiert erfolgreich in der Mehrzahl der europäischen Länder und wäre auch in Deutschland ethisch, medizinisch und verfassungsrechtlich möglich.

Stattdessen wird in Deutschland nun die sogenannte Entscheidungslösung eingeführt werden. Zukünftig werden öffentliche Ämter und Behörden zum Beispiel bei der Ausgabe von Personalausweisen Unterlagen zum Thema Organspende aushändigen. Krankenkassen werden ihre Versicherten in mehrjährigen Abständen zum Thema Organspende informieren und schriftlich auffordern, eine freiwillige Entscheidung zur Organspende zu treffen.

Längerfristiges Ziel ist es, den Willen für oder wider eine Organspende auf der elektronischen Versichertenkarte zu dokumentieren, aus technischen und Datenschutz-Gründen wird dies aber frühestens in 2017 oder 2020 möglich sein. Und mindestens so lange bleiben uns die Organspendeausweise erhalten.

 

Bekenntnis gefragt

Dennoch, es muss klar begrüßt werden, dass sich fraktionsübergreifend die große Mehrheit unserer Parlamentarier über alle Parteigrenzen hinweg dafür zusammengefunden hat, um Organspenden zu fördern und Transplantationen zu steigern. Es bleibt also an uns, an jedem einzelnen von uns, seinen Beitrag zu leisten und sich zur postmortalen Organspende zu bekennen. Dabei stellen sich natürlich die zentralen Fragen: Ist es gefährlich, ein Organspender zu sein? Ist meine medizinische Behandlung vielleicht eingeschränkt? Kann ich unter Umständen sogar „zu früh“ ein Organspender werden?

Auch hier ein klare Antwort: Nein. Auch mit dem novellierten Transplantationsgesetz wird sichergestellt sein, dass zuerst der Tod festgestellt werden muss und dann eine Organspende erfolgen kann. Und hier sollte sich niemand verunsichern lassen. Vor einer Organspende wird zweifelsfrei der sogenannte Hirntod festgestellt, der unumkehrbare Ausfall aller Gehirnfunktionen. Der Hirntod ist mit dem Leben nicht vereinbar, und noch nie ist ein Hirntoter aus dem Hirntod wieder „aufgewacht“ oder hat ins Leben zurückgefunden.

Aber gerade deswegen ist und bleibt Transplantation ein schwieriges Thema, das der gesellschaftlichen Diskussion und individuellen Auseinandersetzung bedarf. Denn niemand beschäftigt sich gerne mit dem Thema Tod. Und Tod, Organspende und Weiterleben durch Transplantation sind leider untrennbar miteinander verbunden. Aber man sollte sich damit beschäftigen. Die Wahrscheinlichkeit, selbst zu erkranken und ein Spenderorgan zu benötigen ist hoch, das Risiko ein Organspender zu werden, dagegen verschwindend gering. Jeder hat das Recht auf Leben.

 

Bernhard  Banas
Professor Dr. Bernhard Banas, MBA, ist Leiter des Bereichs Nephrologie und Leiter des Transplantationszentrums im Universitätsklinikum Regensburg sowie Generalsekretär der Deutschen Transplantationsgesellschaft.
    

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