Polio-Kampf: Jetzt erst recht
Zu 99 Prozent Geschichte!
Weniger als ein Prozent bis zur Ausrottung von Polio – das ist mit vereinten Kräften zu schaffen
Im Jahr 1985 erkrankten weltweit mehr als 350.000 Kinder an Kinderlähmung, obwohl eine sichere und preiswerte Impfung gegen das Poliovirus verfügbar war. Deshalb beschloss Rotary International damals das ehrgeizige Ziel, jedes einzelne Kind auf dieser Welt, ganz unabhängig von seinem Wohnort, vor dieser schrecklichen Krankheit zu schützen. Das war der Beginn des PolioPlus-Programms von Rotary, einer bemerkenswerten Partnerschaft zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor.
Seitdem haben sich Rotarier auf der ganzen Welt für diesen Kampf engagiert und mehr als 1,5 Milliarden US-Dollar für dieses Vorhaben aufgebracht. Zudem konnte Rotary weitere sechs Milliarden US-Dollar von staatlichen Zuwendungen sichern. Nach Gesprächen zwischen Rotary und dem deutschen Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) erklärte die deutsche Bundesregierung letzten Monat, dass sie dringend benötigte finanzielle Unterstützung für die Kampagne zur Ausrottung von Polio in Pakistan bereitstellen würde (ein Engagement, das übrigens in das strategische Ziel des Ministriums passt, Staaten beim Aufbau nachhaltiger und widerstandsfähiger Gesundheitssysteme zu unterstützen). Weltweit machten Rotarier ihre Gemeinden auf Polio aufmerksam, informierten Eltern über die Gefahren der Kinderlähmung sowie die Vorteile von Impfungen und forderten von Kommunalpolitikern, dem Kampf gegen Polio in ihrer Region Vorrang zu geben. Das Ergebnis all dieser enormen Anstrengungen: Polio ist zu 99 Prozent ausgerottet.
Heute gibt es das Poliovirus nur noch in zwei Ländern: in Afghanistan und Pakistan. Doch sogar dort war im letzten Jahr eine Abnahme an Poliofällen zu beobachten, denn dank des außergewöhnlichen Engagements der nationalen Behörden wurden mehr Kinder als je zuvor gegen Kinderlähmung geimpft. Uns ist bewusst, dass beide Länder vor großen Herausforderungen stehen.
Langfristige Planung
Jedoch wissen wir auch, dass gebietsspezifische Herausforderungen in den verbleibenden betroffenen Regionen nach und nach überwunden werden und dass die Strategien, die in den nationalen Notfallplänen erläutert werden, funktionieren.
Deshalb planen wir langfristig. Eine unserer bemerkenswertesten Errungenschaften des Jahres war die größte weltweit abgestimmte Impfaktion der Geschichte, die Ende April zwei Wochen lang stattfand. Die Typ-2-Komponente der oralen Polioimpfung wurde erfolgreich aus den weltweiten Immunisierungsprogrammen entfernt. Das Poliovirus Typ 2 ist bereits komplett ausgerottet, weshalb die orale Impfstoffrezeptur für diesen Typ nicht mehr benötigt wird. Stattdessen stieg man von einem trivalenten auf einen bivalenten oralen Polioimpfstoff um. Dank der Umstellung auf die neue Rezeptur werden Kinder optimal vor jenen Serotypen geschützt, die noch im Umlauf sind. Wir verbessern unsere Impfstoffe laufend. Dazu gehört auch die Prüfung einer Verabreichung des Polioimpfstoffes über Mikropflaster, die direkt auf die Haut aufgetragen werden, was die Impfung in Regionen mit medizinischer Unterversorgung erheblich erleichtern würde.
Noch sind Risiken vorhanden
Zudem steht uns eine enorme Anzahl an Hilfsgütern und Mitarbeitern zur Verfügung, die wir derzeit für andere umfassendere öffentliche Gesundheitsprogramme einsetzen. PolioPlus-Mitarbeiter helfen zum Beispiel bei Noteinsätzen im Kampf gegen Epidemien wie Ebola in Westafrika. Wir müssen sicherstellen, dass diese Hilfsgüter breit angelegten öffentlichen Hilfsprogrammen auch dann noch zugutekommen, wenn Polio bereits komplett ausgerottet ist. Was bedeutet das alles also? Es bedeutet, dass wir der dauerhaften Ausrottung des Poliovirus – und damit dem Rotary-Traum von einer Welt ohne Kinderlähmung – näher sind als je zuvor. Jedoch gibt es auch große Risiken, denn wenn wir versagen, kann es wieder zu einer globalen Verbreitung von Polio kommen. Innerhalb von nur zehn Jahren könnte es weltweit jährlich 200.000 neue Fälle von Polio geben. Sogar hier in Deutschland, wo Kinder aufgrund von gefährlichen Lücken in der Durchimpfungsrate völlig unnötigerweise Krankheiten wie der Kinderlähmung ausgesetzt sind.
Letzte Hürden nehmen
Zwei Dinge liegen uns deshalb besonders am Herzen:
Zuallererst möchten wir uns bei Ihnen bedanken! Danke, dass Sie PolioPlus ins Leben gerufen haben. Und danke, dass Sie die Welt beinahe komplett von Polio befreit zu haben. Vielen Dank für Ihren enormen Einsatz!
Zweitens: Bitte verdoppeln Sie Ihr Engagement! Ohne Sie können wir unser Ziel nicht erreichen. Wir benötigen die volle und unerschütterliche Hingabe jedes einzelnen Rotariers auf der Welt. Gehen Sie weiterhin mit gutem Beispiel voran. Beweisen Sie moralische Autorität und halten Sie den Regierungen dieser Welt vor Augen, dass sie die Verantwortung für dieses Bestreben tragen. Verschaffen Sie sich Gehör, gewinnen Sie die Aufmerksamkeit von Politikern und Gemeinden und unterrichten Sie sie über unser lebenswichtiges Bestreben.
Rotarier, Sie haben entscheidend dazu beigetragen, dass wir bald in einer Welt ohne Polio leben könnten. Nun ist es an der Zeit, dass wir ein für alle Mal diese letzte Hürde gemeinsam nehmen.
Über aktuelle Zahlen und Aktionen informiert die GPEI auf www.polioeradication.org
Michel Zaffran ist Leiter der globalen Kampagne zur Ausrottung der Kinderlähmung (Polio) bei der WHO in Genf.
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