Hoffmeisters Empfehlungen
100 Jahre Bauhaus
Exemplarische Neuerscheinungen zur Geschichte und Wirkung der Kunstschule
Noch vor wenigen Jahrzehnten boten Jubiläen die Gelegenheit, umfassend, tief greifend und (bisweilen) stilbewusst an zurückliegende Ereignisse, Institutionen oder Personen zu erinnern. Der objektivierte Blick auf wegweisende Leistungen und Leistungsträger der Vergangenheit vermochte spätere Generationen und Gesellschaften auf Stand zu bringen und (gegebenenfalls) Erkenntnisteilhabe zu generieren. An solch balancierte, fokussierte und zeitlich umrissene Jubiläumskultur denkt man in Tagen medialer Überversorgung wehmütig zurück. So ist bereits nach den ersten Wochen des Bauhaus-Jahres 2019 selbst beim architektur- und kunstaffinen Publikum deutlicher Verdruss zu konstatieren über wuchernde, redundante Diskurse und mediale Impertinenz. Wieder einmal endet der Versuch kultureller Verortung in willfährigem, inflationärem Marketing. Zu viel war den Bauhaus-Protagonisten immer zu wenig.
Zu den herausragenden Publikationen zum Bauhaus-Jubiläum zählt ohne Frage „Bauhaus – Eine fotografische Weltreise“ von Jean Molitor und Kaija Voss. Der zweisprachig (deutsch/englisch) konzipierte Band mit weit über hundert Schwarz-Weiß-Fotos überzeugt in sämtlichen Belangen: durch übersichtlichen und nachvollziehbaren Aufbau, inhaltliche Konsistenz, sprachliche Differenz, tiefenscharf konturierte Bildsprache und ein dem Sujet angemessenes geradliniges, auf das Wesentliche konzentriertes Layout. Getragen von ausgewiesener Expertise, präsentieren Molitor und Voss einschlägige architektonische Preziosen rund um den Globus zwischen Berlin und Phnom Penh, Zwickau und Kabul, Sylt und Paris, Stuttgart und Casablanca. Selten einmal manifestierten sich bei einem Fachbuch Idee, Sujet, sprachliche und fotografische Umsetzung vergleichbar organisch, sinnstiftend und suggestiv.
Gleichermaßen an Einsteiger wie Fortgeschrittene in Sachen „Bauhaus“ richtet sich der Beitrag „Das ist das Bauhaus!“. Entlang von 50 Fragen und 50 Antworten verhandelt Autorin Gesine Bahr pointiert unentbehrliches Basiswissen zum Thema, liefert Zahlen und Fakten, porträtiert Orte und Protagonisten, diskutiert strittige Fragen, analysiert Rezeption und Wirkung oder räumt mit Bauhaus-Mythen auf. Die in kräftigen Signalfarben gehaltenen, zwischen Pop-Art und Comic changierenden Illustrationen von Halina Kirschner begleiten und kommentieren die kohärenten Texte adäquat und setzen darüber hinaus eigene, gelegentlich ironisierende Akzente.
„Wenn Martha tanzt“: Tom Sallers Debütroman skizziert Leben und Schicksal einer jungen Frau, die während des Studiums am Weimarer Bauhaus nicht nur das Tanzen für sich entdeckt, sondern auch zu regem Austausch findet mit bedeutenden Akteuren wie Gropius, Klee, Kandinsky und Feininger. Als die Kunstschule von den Nazis geschlossen wird, kehrt Martha mit einem Notizheft voller Zeichnungen und Skizzen aus dem Kreis der Künstler in ihre Heimat Pommern zurück. Jahrzehnte später reist ihr Urenkel nach New York, um die kostbare Kladde versteigern zu lassen. In zwei Erzählsträngen und dem Mittel steter Überblendung von Fiktion und historischen Tatsachen lässt der Autor zugleich die Geschichte seiner Figur und die des Bauhauses erstehen. Mit Anne Ratte-Polle und Barnaby Metschurat in den Sprecherrollen gewinnt die ungekürzte Hörbuchfassung des Romans magische Dimension.
Mit der Eröffnung des neuen Bauhaus Museums Weimar Anfang April findet eine der weltweit umfassendsten Sammlungen der Kunstschule ein bemerkenswertes wie avanciertes Ambiente.
- Bauhaus – Eine fotografische Weltreise, be.bra Verlag, 240 S., 136 Abb. in Duplex, 46 Euro
- Gesine Bahr, Das ist das Bauhaus!, 50 Fragen – 50 Antworten, E.A. Seemann Verlag, 192 S., 19,95 Euro
- Tom Saller, Wenn Martha tanzt, gelesen von Anne Ratte-Polle und Barnaby Metschurat, Hörbuch Hamburg & CDs, 450 Min., 16,95 Euro
- Museum, Bauhaus Museum Weimar, (Eröffnung 6. April 2019), Stéphane-Hessel-Platz, 99423 Weimar
Martin Hoffmeister publiziert regelmäßig in nationalen und internationalen Magazinen und Zeitungen. Als Redakteur im Kulturressort des MDR-Hörfunk beobachtet er die Musik- und Literaturszene seit mittlerweile drei Jahrzehnten. Im Rotary Magazin empfiehlt er Neuerscheinungen aus dem Kulturleben und Fundstücke von seinen Reisen.
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