Bauen für eine bessere Welt
Dessau hat Architekten seit Jahrhunderten die Richtung gewiesen, der Ort bietet eine einzigartige Geschichte. Ein neues Buch führt durch eine beeindruckende Kulturlandschaft
Ein Architekturführer über einen schrumpfenden Industriestandort? Dessau – seit 2007 mit der Nachbarstadt Roßlau vereint – ist ein Ort mit Reminiszenzen und Narben. Dabei hatte hier seit Jahrhunderten der Glaube an den Aufbruch in eine bessere Welt dem Bauen seine Richtung gewiesen – und dies auf sehr unterschiedliche Weise. Weder die Feuerwalze des Kriegs, noch Vernachlässigung und Abrisswut konnten den Charakter dieser Geschichtslandschaft auslöschen. Ihren baulichen Zeugnissen ist ein – auch mit Luftaufnahmen – reich bebilderter Band des Berliner Verlags DOM publishers gewidmet.
Zeugnisse der Renaissance
Als Residenz der anhaltischen Fürsten erwuchs der Stadt in der Reformation eine wichtige Rolle. Vom Reichtum der Renaissance sind die Marienkirche und der Johannbau des Schlosses geblieben; auf diese Zeit bezog man sich gern um 1900, so am Rathaus mit seinem Turm nach flämischem Vorbild.
Durch eine Einheirat des Hauses Oranien im 17. Jahrhundert waren die alten Kontakte Anhalts zu den Niederlanden belebt worden, wovon die barocke Stadt- und Schlossanlage von Oranienbaum und eine grandiose Gemäldesammlung zeugen. Die Kollektion füllt die Wände des Festsaals im Rokoko-Schloss Mosigkau, dessen Park wie der von Oranienbaum in das „Gartenreich“ der Zeit um 1800 eingebettet ist. Klassizismus und Neogotik nahmen hier in Deutschland ihren Anfang. Der geistige Vater dieser neuen Landeskultur, Fürst Franz, war von Reisen nach England und Italien geprägt und als Reformer der Aufklärung zugewandt.
Eine „pädagogische Landschaft“, die das „Nützliche“ mit dem „Schönen“ verbindet und dabei den Charakter der Untertanen veredeln sollte, zieht sich noch heute von seinem Sommersitz Wörlitz über die Auen von Mulde und Elbe bis in die Stadt. Deutlich wird im Buch nicht nur der Charakter der Landsitze, Grotten, Wallwachhäuser und künstlichen antiken Ruinen, sondern zugleich ihr räumlicher Zusammenhang.
Stein gewordene Entgegnung
Der Boden dafür, dass Dessau mit dem Umzug des Bauhauses 1925 von Weimar in die Stadt wiederum zu einem Mekka der Avantgarde wurde, war geistig und wirtschaftlich bereitet. In der Siedlung Törten wurde für Arbeiterhäuser das industrielle Bauen erprobt, mit dessen Hilfe die Stadt 40 Jahre später umgestaltet wurde.
Zu Seiten der weißen Kuben der Bauhaus-Stars verweist der Führer auf konzeptionell eigenständige Gartensiedlungen, öffentliche Gebäude und Industriebauten, die eine Vielfalt moderner Strömungen der Weimarer Republik dokumentieren. Die gebauten Hinterlassenschaften des Erfinder-Unternehmers und Bauhaus-Förderers Hugo Junkers sind genauso beschrieben wie die der Nazis, die ihn 1933 enteigneten.
Als Stein gewordene Entgegnung auf das Bauhaus kann der Musentempel des Theaters gelten. Am Ende der zwölf Jahre, in denen Junkers’ Flugzeugwerk als deutsche Luftwaffenschmiede zu einer von mehreren Todesfabriken in der Stadt wurde und die Umgestaltung zur megalomanen Gau-Hauptstadt im Modell ausgearbeitet war, lag die Innenstadt in Trümmern.
So wie die Autoren die verschiedenen Phasen des sozialistischen Aufbaus nach 1945 verständlich machen, werden kreative Lösungen der Gegenwart, besonders in Fragen von Nachhaltigkeit und dem Umgang mit dem historischen Kontext, vorgestellt. Der Leser des Buchs ist eingeladen, den Blick von den Ikonen des Funktionalismus zu den versteckten und schwierigen Denkmalen schweifen zu lassen und auch auf Roßlau zu richten, wo Überraschendes aus dem Mittelalter, dem Klassizismus und der Moderne zu entdecken ist.
Das Buch „Architekturführer Dessau/Wörlitz“ von Wolfgang Thöner, Andreas Butter, Wolfgang Savelsberg und Ingo Pfeifer aus dem Verlag DOM publishers Berlin – 248 Seiten, 28 Euro – erscheint am 15. November