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Eleganz vergangener Tage
Ein neues opulent bebildertes Buch erzählt die Geschichten mythenschwerer Wiener Hotels. Einige davon gibt es noch heute
Großes Kulturangebot und sicheres Wohnen: Wien ist zum dritten Mal in Folge die lebenswerteste Stadt der Welt. Nach deutschen Städten sucht man in den Top Ten vergebens.“ So meldeten Agenturen das von der britischen Wochenzeitung Economist für 2024 ermittelte Städte-Ranking: Platz eins für Wien, wie schon 2022 und 2023. An dieser Höchstnote haben die Hotels in Wien großen Anteil. Johannes Sachslehner, der sich in seinem neuesten Buch der Wiener Hotels angenommen hat, tritt dem Leser nicht als penibler Qualitätsprüfer gegenüber, sondern als penibel recherchierender Kulturhistoriker. Nach seinem auch an dieser Stelle mit Beifall bedachten Wiener Villen hat der Autor jetzt einen Band über Wiener Hotels vorgelegt. Darin stellt er, unterstützt vom Fotografen Harald Jahn, 14 Hotels vor, die seiner Meinung nach für die Vielgestaltigkeit des Themas stehen. Einen Hotelführer für Wien ersetzt das Buch nicht, aber es vermittelt dem Leser ein Bild von der Hotelkultur der Stadt. Dafür weiß der Autor wieder viele Geschichten zu erzählen, die es – wie schon bei den Wiener Villen – aus der Gefahrenzone trockener Abhandlung heraushalten. Die meisten Hotels überall auf der Welt haben ein eigenes Leben, einen Charakter, ein persönliches Flair. Hotels sind nicht nur ein sauberes Bett, sondern im besten Fall ein Zuhause in der Fremde auf Zeit. Als es mit dem Übernachtungswesen anfing, fand der Gast übrigens nur im Glücksfall ein sauberes Bett vor.
Das Erste, was der Leser erfährt: Ein Hotel zu betreiben, ist ein schweres Geschäft. Man kann in viele Fallen tappen: die falsche Lage, die falschen Preise, die falsche Größe. Ja, auch die falsche Größe. Als durch Aufkommen der Eisenbahn – im Januar 1838 fuhren auf der Kaiser-Ferdinands-Nordbahn die ersten Züge – die Mobilität einen gewaltigen Schub erhielt, vergrößerte sich die Nachfrage nach Übernachtungsmöglichkeiten immens. Aber 320 Zimmer mit angeblich 640 Betten waren für das „Hotel Donau“ gegenüber dem Nordbahnhof offenbar zu viel. Wirtschaftlich ließ sich dieses Großhotel nicht führen. Nach wenigen Jahren musste es geschlossen werden.
Auch ein anderes Hotel – der Autor bezeichnet es als das erste Grand Hotel Wiens – existiert heute nicht mehr. Es entstand um 1848 mit großer Terrasse, 200 Betten, einem Café, einer Arztpraxis, einem Fotostudio, verschiedenen Läden und ab 1858 sogar mit einer Telegrafenstation. „Alles an einer Adresse“ hieß das Konzept. Ein solches Hotel konnte nicht mehr „Zum Goldenen Ochsen“ heißen, sondern erhielt den Namen „National“. Die Erben des ersten Eigentümers warben betuchte Kundschaft damit, dass sie für das Führen ihres Hauses eine mehrjährige Praxis im In- und Ausland erworben hätten und die „Lohndiener“ alle europäischen Sprachen sprechen würden. Groß heraus kam das Hotel – wie viele andere auch – 1873 im Jahr der Weltausstellung. Damals verzeichnete das Wiener Hotelwesen eine außerordentliche Fremdenfrequenz und brachte manchen auf die Idee, ein Hotel zu betreiben.
Aus dem Hotspot wurde ein Lost Place
Johannes Sachslehner hält bei seiner umfangreichen Recherche einige Sidekicks für seine Geschichte der Wiener Hotels bereit und deckt dabei zum Gewinn des Lesers manches Geheimnis auf. Im Falle des Grand Hotels „National“ ist es die Geschichte seines Abstiegs, die mit dem Ersten Weltkrieg einsetzte. Einen Neustart in den 20er Jahren schafften auch neue Eigentümer nicht, und so kam, was kommen musste: die Zwangsversteigerung. Das Hotel wurde fortan nur noch als Mietshaus geführt, und auch das lief in den folgenden Jahrzehnten nicht gut. Der Autor schließt den Teil über das erste Wiener Grand Hotel mit der Feststellung: „Das Grand Hotel von einst, ein von Leben und Geschäftigkeit erfüllter Hotspot der Leopoldstadt, ist zu einem schweigenden Monument verkümmert.“ Aus dem „National“ in der Taborstraße 18, Ecke Schmelzgasse 2, ist heute ein Lost Place geworden.
Das Gegenteil erzählt das sechs Hausnummern davor liegende Hotel „Stefanie“ in der Taborstraße 12. Auffällig ist schon am Eingang das Schild „Ältestes Hotel Wiens“, von der Stadt Wien sogar als offizielle Sehenswürdigkeit ausgezeichnet. Ein Grundbucheintrag vom 8. Juli 1600 markiert die Geburtsstunde des Einkehrortes. Der heutige Eigentümer, Dr. Martin Schick, mit dem ich mich im „Stefanie“ treffe, zeigt mit Stolz die Urkunde, die in einer Vitrine in der Lobby ausgestellt ist. Ich habe mich schon auf dem Weg zu unserem Treffen gefragt, was ich als Gast von diesem Hotel erwarte. Einem Ort in der Fremde, der alles hat, um mir zu einem Zuhause auf Zeit zu werden. „Ein Gast“, sagt Martin Schick, „hat einmal Tee bestellt, den wir nicht hatten. Also ist eine Mitarbeiterin zum nächsten Supermarkt gelaufen und hat ihn gekauft.“
Für das Persönliche gibt es einen entscheidenden Grund: Seit 1892 ist das Hotel in Familienbesitz. Carl Witzmann, der Urgroßvater des heutigen Besitzers, eröffnete eine neue Ära für das Haus, das fortan Hotel „Stefanie“ hieß. Witzmann verstarb bereits mit 54 Jahren, und seine Witwe übernahm bis 1926 die Hotelführung, in den letzten Jahren zusammen mit ihrer Tochter. Nahezu zeitgleich mit Anna Sacher, die ebenfalls das Hotel von ihrem früh verstorbenen Mann übernahm – das „Sacher“ wird im Buch auch vorgestellt –, regierten das „Stefanie“ starke Frauen. Von ihnen zieht sich die Spur zu Martin Schick, dem Urenkel beziehungsweise Enkel.
Die 111 Zimmer sind bei Wienbesuchern gut nachgefragt. Was werden sie im „Stefanie“ erleben? Dass ihnen der Portier noch einen Schlüssel in die Hand gibt, keine Keycard. „Warum das?“, frage ich. „Das Abgeben und Annehmen des Schlüssels bringt Kommunikation mit den Gästen“, antwortet mir Schick. „Sie würden erleben, dass unsere Rezeptionisten die Gäste mit Namen ansprechen. Dabei entsteht die persönliche Note, die wir im Umgang mit den Gästen erreichen wollen.“ Ich schaue mich um und entdecke viele Vitrinen mit Antiquitäten. Sie zeigen die große Sammelleidenschaft des Eigentümers. Sogar Kronprinzessin Stephanies Waschgarnitur ist darunter, auch viele alte Gläser und Uhren. „Sie schaffen das Flair eines Hauses mit Tradition“, erzählt mir Schick mit Stolz.
Viele der Vorzüge des „Stefanie“ erklärt der Umstand, dass es in vierter Generation familiengeführt ist. Und die fünfte Generation steht schon bereit: Alexander Schick, 32 Jahre, der unter anderem in Oxford Hotelmanagement studiert hat, beginnt damit, Aufgaben zu übernehmen. Im nächsten Jahr will der Vater in den Hintergrund treten – sagt er zumindest. Als wir über Corona sprechen, habe ich den Eindruck, er wird ernst. Es hat viel Kraft und persönliches Geld gekostet, um durchzukommen. Zeitweise stand das Hotel bei zwei Prozent des üblichen Umsatzes oder war komplett geschlossen. Die Generationskette hätte reißen können. Aber sie hielt.
Luxusquartier, Absteige, Liebesnest
Johannes Sachslehners Buch, das ist sein Vorzug, stellt verschiedene Typen von Hotels vor: Luxusquartier, Absteige, Liebesnest, bürgerliches Traditionshaus. Es öffnet mir den Blick für eine Welt, hinter deren Kulissen ich als Gast nicht blicken kann. Ich lese vom Oberst Redl, der als russischer Spion enttarnt wurde und sich am 25. Mai 1913 im Hotel „Klomser“ erschoss. Von den Skandalen – andere kamen hinzu – erholte sich das Hotel nicht und schloss 1924 den Betrieb. Der Autor stellt auch die Geschichte des Hotels „Métropole“ ausführlich dar, das am Donaukanal lag und nach Hitlers Besetzung Österreichs 1938 zur Gestapoleitstelle wurde. Aus Hotelzimmern wurden Verhörräume und Folterzellen. Das Hotel, in dem einst Mark Twain logierte und das der Volksmund „jüdisches Sacher“ nannte, wurde zur größten Gestapodienststelle im Dritten Reich. Plünderer haben es in Brand gesetzt und dabei Munitionsvorräte entzündet. Am 22. April 1945 flog das „Métropole“ in die Luft.
Trotz der Fülle in Wort und Bild hätte ich gern noch etwas über zwei weitere Hotels erfahren: über das „Palais Coburg“, das abgeschirmt wie ein Schloss auf einer Bastei am Rand des 1. Bezirks thront, und in dem die teuerste Luxussuite 2695 Euro pro Nacht kostet. Und das Park Hyatt Hotel, das nach der Pleite von René Benkos Signa-Gruppe zum Verkauf steht. Auch ohne diese beiden hat Johannes Sachslehner ein wunderbares Buch über Wiener Hotels und ihre Geheimnisse verfasst, mit dem er seine Darstellung über mythenschwere Orte dieser Stadt fortsetzt.
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