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Achtung, Geiselnahme!

Forum - Achtung, Geiselnahme!
Wolf Haas © Rainer Iglar

„Ich wickle eben meine Leser ein. Oder probiere es zumindest“: Der Österreicher Wolf Haas landet mit seinem neuen Roman „Wackelkontakt“ einen weiteren Bestseller.

Michael Hametner01.05.2025

Wie macht man das, einen Bestseller schreiben? Mich hat der Roman, in dem es viel um fließende und unterbrochene Stromkreisläufe geht, regelrecht elektrisiert. Deshalb habe ich BestsellerAutor Wolf Haas um ein Gespräch gebeten. Haas wird in diesem Jahr 65 Jahre alt, lebt in Wien und ist derzeit viel unterwegs – auf Leserreise durch Österreich und Deutschland.

Sicher haben Sie in Ihrem Umfeld – unter Freunden, in den Verlagen – manchen, der sagt: Dein Detektiv Simon Brenner war doch eine Marke, die gibt man nicht auf. Sie haben den zehnten Brenner-Krimi mit nahezu programmiertem Erfolg nicht geschrieben. Sondern den Roman „Wackelkontakt“ – mit großem Erfolg, der aber nicht abzusehen war.

Manchmal kommen mir schon Leute mit dem Begriff „Marke“, aber darüber kann ich nur lachen. Dieses Markengerede! Ich hab ja die Brenner-Serie extra nach dem sechsten Band beendet, damit es keine sogenannte Marke wird. Erst, als keiner mehr damit gerechnet hat, hab ich wieder einen geschrieben.

Jetzt wollen die Leser unseres Gesprächs natürlich in Umrissen wissen, was geschieht: Die Hauptfigur des einen Erzählstrangs mit Namen Escher will den Wackelkontakt einer Steckdose in seiner Küche beheben lassen, bestellt einen Elektriker und befördert ihn durch Fahrlässigkeit zu Tode. – Hatte der Roman als ganz profanen Anlass die Erfahrung mit einem Handwerker? Womit fing alles an?

Es ist nicht so eindeutig, dass es an diesem und jenem Punkt anfängt, sondern es mischen sich immer verschiedene Impulse zusammen, um eine Metapher aus der Elektrik zu verwenden.

Viele kennen die Verwirrbilder des niederländischen Zeichners M. C. Escher. Wenn er Treppen zeichnet, weiß man oft nicht, ob sie hinaufoder hinabführen. Darin liegt das Kompositionsprinzip Ihres Romans. Escher liest einen Roman, in dem Elio Russo, ein junger Italiener, die Hauptfigur ist, und Elio liest einen Roman, in dem Escher der Protagonist ist. – Eine schräge Idee. Wann kam sie Ihnen, gleich am Anfang?

Ja, das war der Ausgangspunkt. Ich wollte gern, dass eine Romanfigur ein Buch in die Hand nimmt, und dann muss man mit der Romanfigur im Buch mitlesen, also plötzlich in einem anderen Buch lesen, das man gar nicht lesen will. Es ist sozusagen die Entführung meines Lesers in ein anderes Buch, eine Geiselnahme.

Immerhin bietet die „Geiselnahme“ für den Leser Aufenthalt in zwei Romanen. – Jetzt verrate ich noch ein Stück mehr vom Inhalt: Ein Roman erzählt vom Trauerredner und passionierten Puzzle-Bauer Escher, und der andere Roman erzählt von Elio Russo, einem italienischen Mafioso, der als Kronzeuge 27 Mafia-Bosse hat hochgehen lassen und jetzt in ein Zeugenschutzprogramm kommt. Beide Geschichten laufen aufeinander zu – aber durch einen Wackelkontakt wird der Kreislauf immer wieder unterbrochen. – War das Ihr Spaß als Autor?

Mein Ziel ist einfach, einem Roman auf verschiedenen Ebenen etwas Spaß abzugewinnen. Nicht nur auf der Inhaltsebene, sondern die Geschichte soll im Idealfall auch auf überraschende Weise erzählt sein. Die meisten Romane gehen ja gleich, und meine gehen eben manchmal ein bisschen anders. In meinem neuen Roman hat mich in erster Linie fasziniert, dass sich zwei Ebenen oder zwei Welten begegnen, die sich eigentlich nicht begegnen dürften. Übrigens ist das sogar beim Brenner ein bisschen so. Denn statt eines Ermittlerduos, wie man es zum Beispiel von den Tatort-Ermittlern kennt, gibt es einen Ermittler innerhalb des Romans, und einen außerhalb, nämlich den Erzähler.

„Das Wetter vor 15 Jahren“ war der erste Roman nach Brenner, und ich dachte damals: Der Haas ist gar nicht auf Brenner angewiesen, der findet seine Leser auch mit anderen Stoffen. – Hat sich dieser frühe Roman mit seinem doppelten Erzählen noch mal bei Ihnen gemeldet und wollte nicht vergessen werden?

Ich denke beim Schreiben nicht an meine früheren Bücher. Die Art und Weise des Erzählens interessiert mich einfach immer, und es reizt mich, Sachen auszuprobieren. Eigentlich denk ich erst hinterher über das Buch nach. Zuerst mach ich mal einfach und schau, dass ich weiterkomme.

Dass Sie dem Leser Spaß nicht nur auf der Inhaltsebene bieten wollen, macht die beiden recht bescheidenen Geschichten „PuzzleBauer trifft auf Ex-Mafioso im Zeugenschutzprogramm“ in ihrer Verbindung zu etwas literarisch Besonderem. Ich spüre die Schlinge, die Sie als Autor auslegen. Sie ziehen sie auch um mich als Leser. Das hält mich in Spannung. So wollten Sie es?

Mir gefällt es, wenn Sie es als Schlinge empfinden. Ich weiß nicht, ob man das in Deutschland auch sagen kann – in Österreich gibt es die Wendung: Man wickelt wen ein. Also jemand, der wen beflirtet, versucht, die andere Person einzuwickeln. Und ich wickle eben meine Leser ein. Oder probiere es zumindest.

Mir ist an der Figur Ihres Escher etwas aufgefallen. Das tieftragische Resultat von Eschers unüberlegter Tat – er schaltet den Strom ein, der den Elektriker tötet – beschädigt die Figur nicht wirklich. Ich nehme bei Ihnen einen Humor wahr, der schreckliche Dinge – das Verschulden eines tödlichen Unfalls – nicht als schrecklich behandelt. Im Grunde findet fast eine Verharmlosung statt.

Ich sehe es nicht als Verharmlosung. Ich finde, schreckliche Dinge leicht zu erzählen, hat einen größeren Effekt, als wenn man immer auf die Tube drückt und die Geigen anrollen lässt.

Kritiker schreiben begeistert über den neuen Haas. Die Leser danken es mit besten Verkaufszahlen. Ihnen ist ein Bestseller gelungen. Sicher darf der Gedanke an einen Bestseller beim Schreiben keine Rolle spielen, aber jetzt, wo Sie diesen Erfolg erleben: Was bedeutet er Ihnen? Das Ende der Ruhe am Schreibtisch oder doch große Freude?

In dieser Hinsicht bin ich relativ unneurotisch. Ich freu mich über den Erfolg.

Das Gespräch führte Michael Hametner.


Zur Person:

Wolf Haas
Seine Kriminalromane um den Detektiv Simon Brenner haben die Leser begeistert, Romane wie „Das Wetter vor 15 Jahren“, „Verteidigung der Missionarsstellung“ oder sein MutterRoman „Eigentum“ vor zwei Jahren machten Kritiker, Buchhändler und Leser glücklich.


 

Wolf Haas

Wackelkontakt

Hanser Verlag 2025,

240 Seiten, 25 Euro