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Eine Geschichte ohne Happy End
Der Leipziger Verlag Faber & Faber hat aufgegeben. Er ist nicht der einzige, aber seine Geschichte doch einzigartig
Zu erzählen ist die Geschichte vom Aufstieg und Fall eines Verlags. Die Hauptrolle spielt der Leipziger Verlag Faber & Faber. Wir hätten auch ein anderes Beispiel auswählen können, leider. Immer mehr kleine Buchverlage in Deutschland sind ins Schwanken geraten. Papier und Druck sind teurer geworden, und der Buchverkauf ist rückläufig. Corona ist zwar vorbei, aber wir sind anders herausgegangen als hinein. Vor einem Jahr ist der Verlag in die Insolvenz gegangen. So traurig die Geschichte auch ist, sie beginnt mit einem Witz: Wie wird man ein reicher Verleger? Antwort: Indem man ein sehr reicher war. – Das ist für den betroffenen Verleger kein Witz, sondern ein Schmerz.
Die Geschichte, die ich erzählen will, handelt von Michael Faber. Der 63-jährige Germanist hat mit seinem Vater zusammen 1990 den Verlag gegründet. Heute, 34 Jahre später, ist die Webseite bereits nicht mehr zu erreichen. Was an Geschichte bleibt, ist zu Wikipedia abgewandert.
Gehen wir zurück zum September 1990, als in der Gründungsnacht die Sektkorken knallten. Vater Elmar Faber war seit 1983 Chef des im Osten hoch angesehenen Aufbau-Verlags gewesen. Er hatte die richtige Nase und kaufte 1990 von der Treuhand für wenig Geld das kaum benutzte Label Sisyphos-Presse. Mit verlegerischem Geschick und viel Glück gelang ein Bilderbuchstart: Der Typograf Manfred Bofinger hatte die geniale Idee, geometrische Figuren aus der futuristischen Bildsprache von El Lissitzky zu menschlichen Figuren zu machen. Das schwarze Quadrat ist Ecki Bläcki, die Linie tritt als Lina Tschornaja auf, und der Kreis ist Littel Rusch. Das Buch wurde 27.000 Mal verkauft. Für Faber & Faber, die hinter dem Namen Sisyphos-Presse in Stellung lagen, ein furioser Beginn. Die beiden Verleger hatten Säcke voller Ideen. Sie begründeten eine Reihe mit Erstlingswerken deutscher Autoren des 20. Jahrhunderts, die sie von bildenden Künstlern veredeln ließen. Man startete 1992 mit Brechts Baal, illustriert von Klaus Süß. Aktueller Preis im Antiquariat: 449 Euro. Aus der Sisyphos-Presse wurde eine Buchreihe, liebevoll die Sisyphosse genannt, daneben stellten die beiden Fabers illustrierte Ausgaben und belletristische Werke, oft in bibliophiler Ausstattung. Im Juli 1995 gab der Verlag – Elmar Faber hatte 1992 Aufbau verlassen – seinen Standort in Berlin auf und siedelte sich in Leipzig an. Wer nach dem Motiv fragte, bekam von den Fabers zur Antwort: Sie wollten ein „Zeichen gegen die Ausblutung des ehedem wichtigsten deutschen Verlagsstandorts“ setzen.
Ein Band für jedes Jahr
Wir befinden uns in der Phase des anhaltenden Aufstiegs. Mit der DDR-Bibliothek geht es 1996 für den Verlag hoch hinaus. Die DDR-Bibliothek als Sammlung von neu aufgelegten Romanen, Erzählungen und Gedichten sollte künftigen Generationen von dem verschwundenen Land erzählen. Literatur ersetzt nicht die Geschichtsschreibung, aber Geschichte will erzählt werden. 40 Bände sollte die Bibliothek der Fabers umfassen, einen Band für jedes Jahr der DDR-Existenz. Bis 2003 sind es 24 geworden. Ein 25. Band, der bereits druckfertig vorlag, kam nicht zustande. Es fehlt auch Band 22. Geplant war er als Anthologie von Lyrik, die zwischen 1949 und 1989 in der DDR entstanden ist. Mit Gedichten über ein Land Auskunft zu geben, ist offenbar ein besonders schwieriges Unterfangen. Mitte der 80er Jahre hatten die Lyrikerin Elke Erb und ihr Kollege Sascha Anderson eine Auswahl zusammengestellt, die im Osten keine Druckerlaubnis bekam und 1985 unter dem Titel Berührung ist nur eine Randerscheinung. Neue Literatur aus der DDR im westdeutschen Verlag Kiepenheuer & Witsch erschien. Etwa 15 Jahre später sollte eine von Friedemann Berger zusammengestellte Lyrik-Auswahl in Faber & Fabers DDR-Bibliothek erscheinen. Ihr Titel: Kommt uns nicht mit Fertigem. Die DDR war zwar inzwischen Geschichte, aber Geschichte, die noch qualmte. Die Lyriker Wolf Biermann, Reiner Kunze, Günter Kunert und noch einige andere hatten keine Abdruckgenehmigung gegeben. Stimmt nicht, sehe ich bei Einsicht der Korrespondenzen in einem dicken Leitz-Ordner: Sie gaben sie zunächst, aber zogen sie zurück, weil ihnen Namen von Beiträgern bekannt geworden waren, in deren Nachbarschaft sie zu publizieren ablehnten.
Wenn die deutsche Einheit immer wieder in Literatur und bildender Kunst von Streit und Polemik aufgehalten wurde, dann nicht nur durch die von westdeutscher Seite geführten Bilder- und Literaturstreits. Nein, auch der Osten war sich uneins. Ostdeutsche Kollegen führten Beschwerde gegen die Vergabe eines Auftrags an den Maler Bernhard Heisig für ein Bild im Deutschen Bundestag. Aus der DDR kommende dissidentische Dichter wollten nicht in einer Anthologie mit dem Untertitel Gedichte aus der DDR veröffentlicht werden. Nicht in dieser Nachbarschaft, lautete ihr Ruf. Weil zunächst eine Zusage zum Abdruck erteilt war, wurde daraus ein Rechtsstreit. Der Anwalt des Verlags Faber & Faber resümiert den Konflikt so: „Es ist bedauerlich, dass im Jahre elf nach der politischen Wende eine Übersicht über die Lyrik in der DDR so erschwert wird, dass sie unter vertretbarem Aufwand scheitern muss.“
Band 22 der DDR-Bibliothek scheitert, nicht aber das ganze Unternehmen. Faber & Faber schafft sich mit diesem Coup bei Buchhandel und Leser und im deutschen Feuilleton einen Namen, von dem der Verlag noch lange zehrt. Zwar bleibt die DDR-Bibliothek ein Zuschussprojekt, aber es zieht anderes nach vorn. Als 2003 eine DDR-Bibliothek der Kinderbücher aufgelegt wird, steigt der Umsatz in den Jahren 2006 bis 2008 erstmals auf mehr als eine Million Euro.
Mit dem Verlag Faber & Faber hatte der Osten eine Stimme. Der Ruf, den sich Michael Faber als Verleger erarbeitet hatte, brachte ihn 2009 als Kulturbürgermeister ins Leipziger Rathaus. Von dort aus durfte er den Verlag nicht führen. 2011 stellte sein Vater ihn aus Altersgründen ein, vorläufig, wie es hieß. Doch Bücher zu machen, ist eine Sucht. Der konnte Michael Faber nach der Rathauszeit auf Dauer nicht widerstehen. 2019 nahm er die Arbeit wieder auf. Leipzig, die Stadt der Buchmesse, immer noch weit vom Ruf einer Verlagsstadt entfernt, bekam Faber & Faber zurück und der Osten wieder neue Bücher, die zu ihm gehören. Eines ist Bernd Wagners 2022 erschienener Band Verlassene Werke. Eine 600-seitige Sammlung von Aufzeichnungen aus den Jahren 1976 bis 1989, die die Existenz eines oppositionellen Schriftstellers in der DDR bezeugen.
„Teil der kulturellen Grundversorgung“
Der Höhepunkt der Geschichte des Verlags war überschritten. Dunkle Wolken waren aufgezogen. In den drei Ausnahmejahren der Coronapandemie sank der Umsatz des Verlags auf weniger als 300.000 Euro. Faber & Faber hatte nicht mehr die Kraft, einen Titel wie das Buch von Bernd Wagner zu pushen. Es kam über 400 verkaufte Exemplare nicht hinaus. Die drei Gesellschafter mussten immer wieder frisches Geld zuschießen, damit der Verlag – mittlerweile nur noch mit einer Mitarbeiterin an der Seite von Michael Faber – weiterleben konnte. Im Herbst 2023 kam dann das Aus. Antrag auf Insolvenz. Die Einsicht hat sich über zwei Jahre hingezogen, sagt mir der Verleger. Hat Corona dem Verlag die Beine weggezogen? Ja und nein. In dem Moment, wo nach der Pandemie alles hätte besser werden müssen, sei es schlechter geworden, sagt Faber. Und ich höre von ihm weitere Gründe für das unabwendbare Aus: Das Konsumverhalten änderte sich, was man nicht wirklich brauchte, wurde gestrichen. Oft waren es Bücher, sagt er. Dann führt er das veränderte Leseverhalten an und räumt ein, „dass wir es ignoriert hatten“, genauso wie die schleichende Analphabetisierung trotz hohen Bildungsangebots.
Der Kaufmann hat dem Bücherschwärmer die letzte Rechnung aufgemacht. Nicht allein dem Verlag Faber & Faber. In der ersten Hälfte des Jahres 2023 hat der Börsenverein eine Umfrage unter seinen Mitgliedern gemacht: „Etwa 40 Prozent der Verlage meiner Größenordnung, also mit Umsätzen von einer halben Million bis zu zwei Millionen, haben geantwortet, dass sie für sich eine existenzielle Krise sehen und sich nicht sicher sind, demnächst die Reißleine zu ziehen.“ Weil der wirtschaftliche Druck enorm ist, wächst die Verunsicherung. Schade, dass Verlage nicht gefördert werden wie Stadttheater. „Die Bücher, die wir produzieren, sind Teil der kulturellen Grundversorgung“, sagt Faber, der sich im Stich gelassen fühlt. Bücher – sicher nicht jedes, aber viele – sind wichtig für den Austausch der Gedanken. Letztlich haben sie teil am Gespräch miteinander und geben der Demokratie eine Basis. Faber & Faber war ein kleiner Verlag mit einer zeitweise großen Geschichte. Sein Verschwinden reißt eine Lücke. In Leipzig und überhaupt in Bücher-Deutschland.
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