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Beckmanns Werk als Spiegel seiner Zeit

Forum - Beckmanns Werk als Spiegel seiner Zeit
Selbstbildnis mit Champagnerglas/Le Temps passe (1945), Privatbesitz. Im Jahr der Befreiung behauptet sich der Künstler vor vergangenem Unheil. © Privatbesitz

Ein Auktionsrekord für ein Gemälde, eine Ausstellung in der Münchner Pinakothek und ein umfangreiches Buch von Christian Lenz: Das Leben und Schaffen Max Beckmanns erhält neue Aufmerksamkeit.

Uwe M. Schneede01.02.2023

Max Beckmann ist unbestritten der große deutsche Maler der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Deren Höhen und Tiefen begleitete er bildnerisch auf eine eigene, unverwechselbare Weise. Während des Kaiserreichs wurde der 1884 Geborene in Weimar zum Maler ausgebildet (bis er das Studium schmiss); die Erfahrung des Ersten Weltkriegs bewirkte einen grundlegenden künstlerischen Neubeginn. Die revolutionären Ereignisse 1918/19 und die schwierige Nachkriegszeit fanden Widerhall in seinem Werk, die vorübergehende Konsolidierung der Weimarer Republik ging überein mit einer persönlichen, beruflichen und künstlerischen Phase der Erfolge und des Glücks. Er lebte damals in Frankfurt am Main.

Dann traten die Nationalsozialisten die Macht an. Alle modernen Künste und Künstler wurden wie deren Verfechter verfemt, Max Beckmann mit ihnen. Er flüchtete 1937 mit seiner Frau Mathilde („Quappi“) nach Amsterdam in die Emigration. Die beengten Verhältnisse und die Besetzung der Niederlande durch die deutsche Wehrmacht im Jahr 1940 hinderten ihn nicht, große, oft rätselhafte Werke zu schaffen, darunter fünf seiner eindrucksvollen Triptychen. Endlich konnte er 1947 zu Lehrtätigkeiten in die Vereinigten Staaten aufbrechen, erst in St. Louis, dann in New York, wo er 1950 starb.

Kronen, Fesseln, Käfige

Max Beckmanns Kunst war im jeweiligen Hier und Jetzt verankert – das „Auge der Epoche“ hat man ihn genannt –, aber er strebte stets ein bildliches Überschreiten des Hiesigen an. „Einen Mythos aus dem gegenwärtigen Leben heraus zu schaffen: Das ist der Sinn“, äußerte er einmal, und das meint: Er illustrierte die alten Mythen nicht, und er erzählte sie nicht nach, vielmehr wollte er das Generelle, Überdauernde – durchaus mit Rückbezügen zu den Alten – aus dem Aktuellen heraus entwickeln und darstellen, und zwar ausdrücklich nicht auf gedankliche, sondern auf sinnlich erfahrbare, nämlich farbig-malerische Art und Weise.

So verschränkte er Gestalten aus verschiedenen Existenzbereichen – dem Alltag, dem Varieté, der Kunstgeschichte, aus Märchen und Sagen sowie aus Geheimlehren und alten Mythen – und durchsetzte die gedrängten Szenen in einengenden Raumkompartimenten mit symbolischen Elementen wie Kronen, Fesseln, Käfig, Todesfiguren, was ihm erlaubte, große Menschheitsthemen wie Unterdrückung und Folter, Unfreiheit und trotzige Hoffnung oder die befreiende Einbildungskraft theatralisch überhöht zu behandeln. Darin war er unvergleichlich.

Die Anerkennung des Malers in der Kunstwelt und die wissenschaftliche Würdigung seines Œuvres nahmen seit den 1970er Jahren ständig zu. Was auch daran lag, dass man immer wieder neue Aspekte des außerordentlich reichen Werks herausarbeitete. Das gilt bis heute. Im Jahr 2020 warf die von Karin Schick konzipierte Ausstellung Max Beckmann. weiblich – männlich in der Hamburger Kunsthalle einen völlig neuen Blick auf die Geschlechterverhältnisse im Werk des Malers, gerade eben steht das – mondän-genüssliche wie das politisch erzwungene – Reisen als existenzielle Grunderfahrung im Mittelpunkt einer von Oliver Kase und Christiane Zeiller kuratierten Beckmann-Ausstellung in der Münchner Pinakothek der Moderne (bis 12. März), und schon jetzt lässt die in München in Arbeit befindliche, seit Langem fällige kritische Ausgabe der Tagebücher Beckmanns neue Einsichten erwarten, zumal die Edition, die Mathilde Beckmann nach dem Tod des Malers besorgte, von ihr zeitgemäß angepasst und damit entschärft wurde.

Eingemummt, zum Weggehen bereit

Die 2021 mithilfe der Kaldewei Kulturstiftung digital erschienene grundlegende Neubearbeitung des Werkverzeichnisses sämtlicher Gemälde durch Anja Tiedemann bildet nunmehr die stabile, ständig aktualisierte Basis für alle weiteren Erörterungen. Dass auch der Kunstmarkt die eminente Bedeutung des Beckmannschen Werks honoriert, zeigte sich jüngst, als ein Selbstbildnis aus dem Jahr 1943 mit 20 Millionen Euro einen deutschen Auktionsrekord erzielte. International am erfolgreichsten war Beckmanns Gemälde Hölle der Vögel von 1937, das 2017 bei Christie’s in London 40,8 Millionen Euro erbrachte.

Angesichts dieser weitreichenden Wertschätzung sollte eine neue Gesamtdarstellung von Leben und Werk des Künstlers gerade recht kommen. Verfasst wurde sie von Christian Lenz, dem langjährigen Leiter des Max-Beckmann-Archivs in München. Dank seiner Recherchetätigkeit weiß er alles über den Künstler und sein Werk, und das hat er in einem umfangreichen Band zusammengefasst. In chronologischem Aufbau werden nicht nur einzelne Gemälde und die Triptychen detailliert und kenntnisreich behandelt, sondern auch die bedeutsamen grafischen Zyklen, unter ihnen die Illustrationen zum zweiten Teil des Faust, entstanden 1943/44 im Amsterdamer Exil. Wobei der Autor sehr genau hingeschaut hat und so auch Details eines Werks zum Sprechen bringen kann.

Unter den zahlreichen Selbstbildnissen, in denen Beckmann dank vielerlei Verkleidungen die Zeitläufe spiegelt, hat ein weniger bekanntes eine besondere Bedeutung, das Selbstbildnis im Hotel. Der Künstler sei, schreibt Christian Lenz, da er nicht direkt, sondern im Spiegel zu sehen sei, zu sich selbst, aber auch dem Betrachter gegenüber auf Distanz gegangen. Dass Boden, Wand und Decke zu wanken scheinen, mache den Zweifel und die Unsicherheit in der Welt deutlich. Eingemummt sei er zum Weggehen bereit, das Gesicht verschattet, kaum zu erkennen, fast verborgen. Das Gemälde entstand 1932. Es sei ein Bild des Abschieds von der friedlichen Frankfurter Phase. 1933 ging er mit seiner Frau nach Berlin, womöglich um unauffälliger leben zu können.

Des Autors Urteil

Spätestens 1930 dürfte Beckmann, muss man hinzufügen, geahnt haben, was auf ihn und die Moderne in Deutschland zukam. Als einige seiner Werke zusammen mit denen von Otto Dix, George Grosz und Karl Schmidt-Rottluff in diesem Jahr im deutschen Pavillon der Biennale in Venedig präsentiert wurden, rief der nationalsozialistische Völkische Beobachter im Namen der „nationalen Ehre“ nach einer „rassisch begründeten Kunst“. Der „krankhaft emporgelobte Max Beckmann“ erfuhr besondere Erwähnung, und der Artikel endete mit der Aufforderung, mit alldem Schluss zu machen: „Heran Ihr Männer mit Deutschem Artbewusstsein! Die Zeit ist reif.“ Im Selbstbildnis im Hotel blickt Beckmann düsteren Zeiten entgegen.

Dagegen hat er im gezeichneten Selbstbildnis mit Champagnerglas von 1945 sichtbar alles hinter sich. Er throne wie ein Herrscher, schreibt Lenz: „Die Figur, die kopfüber und gefesselt hinter ihm hängt, verkörpert alles das, was nun überwunden, was besiegt worden ist.“

Dem Autor ist seit Jahrzehnten daran gelegen, möglichst viele Bezüge zu alten Meistern aufzulisten, als müsse Beckmanns Werk durch kunsthistorische Rückverweise gerechtfertigt werden. Dabei sahen und sehen sich alle souverän einen eigenen Weg suchenden Künstler unablässig nach Anregungen um und verarbeiten sie mehr oder minder sichtbar. Angesichts der einzigartigen Selbstständigkeit Beckmanns ermüden die hundertfachen Verweise auf Größen von Mantegna über Brueghel und Rembrandt bis Hans von Marées.

Dagegen erstaunen die in den endlos langen Anmerkungen untergebrachten apodiktischen Urteile über andere Beckmann-Interpreten (wozu auch der Rezensent gehört), die einzelne Werke einfach nicht kapiert oder glatt missverstanden hätten. Aber es trifft auch einen Maler wie Ernst Ludwig Kirchner, dessen grandiose Berliner Straßenbilder in keinem Fall „dem Thema gerecht geworden“ seien. Manchmal weiß Lenz es sogar besser als sein Beckmann: „Der Maler hätte die oberflächliche Assoziation besser unterdrückt.“ Solche persönlichen Urteile stehen dem wissenschaftlichen Anspruch im Weg.

Ein Buch vor allem für Kenner

Die interessanten Werkerörterungen werden zudem beeinträchtigt durch (vor allem farblich) entstellende Abbildungen der Gemälde. Es handelt sich, wie der Autor selbst im Vorwort mitteilt, zum allergrößten Teil um Reproduktionen nach Reproduktionen, also nicht um die heute üblichen qualitätvollen digitalen Wiedergaben. Die Einbuße ist umso bedauerlicher, als der Autor mit Recht Wert auf die eigenwillig-ausdrucksstarke Farbgestaltung der Gemälde legt.

Man muss also, nimmt man dieses Buch zur Hand, die Originale oder jedenfalls bessere Abbildungen kennen, man sollte den kunsthistorischen Verweisen folgen können, und man muss mit den Schriften und Äußerungen von Beckmann vertraut sein, weil der Autor sie als „hinreichend bekannt“ voraussetzt. Ein Buch mithin vor allem für Kenner.


Buchtipp

 

Christian Lenz

Max Beckmann

Rhema Münster 2022,

354 Seiten, zahlreiche Abbildungen,

72 Euro 

Uwe M. Schneede
Uwe M. Schneede war von 1991 bis 2006 Direktor der Hamburger Kunsthalle, Mitherausgeber der dreibändigen Ausgabe von Briefen Max Beckmanns sowie Autor einer größeren und einer kleineren Beckmann-Monografie (2009 bzw. 2011).

© Ottmar von Poschinger