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Berlin – Dimensionen einer Metropole
Berlin polarisiert, ist Weltmetropole mit anheimelndem Kiez - oder Zumutung. Und bietet dennoch Meisterhaftes aus Philosophie, Musik, Malerei und Hotellerie.
Berlin polarisiert. Als Weltmetropole gesellschaftlicher, politischer und kultureller Hotspot mit umfassender Ambition, als mächtiges wie heterogenes urbanes Amalgam nicht selten mentale Herausforderung, oszilliert die Stadt zwischen Hybris und Hedonismus, Hysterie und Hype. Ob ihre eminente Aura eher Geschichte oder Gegenwart geschuldet ist, bleibt (vorerst) offen. Was gilt: Die „Zumutung“ Berlin ist ein Geschenk.
Autoren lieben den Kiez. Sie flanieren, geniessen Gesellschaft, bevölkern Cafes ebenso wie sie sich an den Untiefen des Urbanen reiben. So steht ein Schreibtisch in Berlin nicht selten synonym für literarische Einlassung zwischen Milieustudie, Portrait, Anekdote, narzistischer Selbstschau, Reflexion, autobiographischem Abriss, Polemik, Satire oder kulturkritischer Studie. Der vorliegende Band "Berlin - Eine literarische Einladung" versammelt Texte renommierter berlinerfahrener Schriftsteller wie Volker Braun, Günter Grass, Durs Grünbein, Christoph Hein oder Monika Maron und anderen. Jenseits touristisch verengter Perspektive scheinen in mehr als 40 literarischen Preziosen Herz und Charakter der Metropole auf.
Sprache und Stil des im Berliner Charlottenburg gebürtigen Philosophen, Schriftstellers und Essayisten Walter Benjamin stehen für Komplexität, subtile Volten, poetische Verdichtung und verbale Abstraktion. Sein autobiographisch aufgeladener Text – nichts weniger als eindrückliches Zeitdokument - präsentiert neben persönlichen Erinnerungs-Stücken eingehende Beobachtungen, Studien und Reflexionen. Das Empfinden des Kindes während der Schmetterlingsjagd oder im Schulzimmer kommt ebenso zum Tragen wie die nuancierten Portraits von Hinterhöfen, Salons, Loggien, Markthallen, Strassen oder Parks zur Abschweifung einladen. Felix von Manteuffel, der Sprecher des Hörbuchs, vermag die vielgesichtige Sprache des Autors suggestiv auszuleuchten.
Aufführungen und Aufnahmen des integralen Beethoven-Sinfonienzyklus gelten internationalen Spitzen- Orchestern seit jeher als gewichtige künstlerische Wegmarken. Mit den Berliner Philharmonikern legte - nach Karajan und Abbado - auch Simon Rattle unlängst seine Exegesen vor. Aus der Perspektive des 19. Jahrhunderts gelesen zelebriert der britische Dirigent die heterogenen Klangtableaus mit brennender Intensität, dynamischem und koloristischem Raffinement. Nach der CD- und Blu-ray-Fassung veröffentlichte das Label des Orchesters nun auch eine luxuriös ausgestattete Vinyl-Edition. Ein analoges Meisterwerk, das der spezifischen Akustik der Philharmonie bemerkenswert gerecht wird.
Das Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin steht traditionell für originären kuratorischen Zugriff. Das im Rahmen der ‚Sommerausstellungen‘ inszenierte Format reflektiert vermittels 111 Werken bedeutender Künstlerpersönlichkeiten (Rembrandt, von Menzel, Kandinsky, Munch, Picasso und andere) aus 600 Jahren die Korrespondenz zwischen Musik und Malerei, Klang und zeichnerischem Kosmos. Das Auge greift nach dem Ohr.
Zu den Protagonisten der Berliner Hotelszene zählt seit fast 90 Jahren das ‚Savoy‘ in der Fasanenstrasse. Persönlichkeiten wie Maria Callas, Helmut Newton, Romy Schneider oder Thomas Mann schätzten die Traditions- herberge wegen ihrer unaufgeregten Dezenz, ihres Stils und ihrer Diskretion. Bis heute gilt das Haus einer ausgesuchten Klientel als erste Wahl. Frühstückssaal und Zigarrenlounge transzendieren das gemeine Hotelerleben.
Infos:
• Susanne Schüssler, Linus Guggenberger (Hrsg.), Berlin - Eine literarische Einladung, Wagenbach Verlag, ISBN 978-3-8031-1328-3, 17 Euro
• Walter Benjamin, Berliner Kindheit um 1900, Felix von Mateuffel, Der Audio Verlag, ISBN 978-3-7424-0020-8, 10 Euro
• Berliner Philharmoniker, Ludwig van Beethoven, Sinfonien Nr. 1-9, Sir Simon Rattle, Berliner Philharmoniker Recordings, BPHR 160092 (10 LPs), 299,99 Euro
• Ausstellung "Wir geben den Ton an - Bilder der Musik von Mantegna bis Matisse", Staatliche Museen zu Berlin/Kupferstichkabinett, bis 15. 11. 2017
• Savoy Berlin, Fasanenstraße 9-10, 10623 Berlin, www.hotel-savoy
Martin Hoffmeister publiziert regelmäßig in nationalen und internationalen Magazinen und Zeitungen. Als Redakteur im Kulturressort des MDR-Hörfunk beobachtet er die Musik- und Literaturszene seit mittlerweile drei Jahrzehnten. Im Rotary Magazin empfiehlt er Neuerscheinungen aus dem Kulturleben und Fundstücke von seinen Reisen.
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