Hoffmeisters Empfehlungen
Bilder einer Ausstellung
Sehenswerte Kunst, Streifzüge durch Berliner Museen und gezeichnete Preziosen
In Zeiten sinnfreier, redundanter und inflationärer Bilderfluten wächst die Sehnsucht nach kuratierter Schau. Das versehrte Auge meidet die Indifferenz.
Über Jahrhunderte zeitigte die Korrespondenz zwischen den Künsten bemerkenswerte wie facettenreiche Ergebnisse. Allein im Kontext Musik und bildende Kunst manifestierte sich die gegenseitige Wertschätzung der Protagonisten in Myriaden stilbildender Werke. Mussorgskys Klavierzyklus „Bilder einer Ausstellung“ zählt fraglos zu den konsistentesten und populärsten Spiegelungen der Nachbarkunst. Inspiriert von Gemälden und Zeichnungen seines Freundes Viktor Hartmann, schuf der russische Komponist zehn Klangbilder und fünf variierende „Promenaden“. Dass der viel bearbeitete und häufig eingespielte Zyklus eine weitere Deutung erfährt, verwundert weniger, als das singuläre pianistische Potenzial des Interpreten einzunehmen vermag. Mit fein schattiertem, auf Nuancen fokussiertem Spiel setzt der Franzose François Dumont subtile Akzente gegen pauschale Überzeichnung, opulenten Klangrausch und plakative künstlerische Lösungen. Dumonts „Bilder“ suchen das aufgefächerte Kolorit und die Zwischenfarbe. Seine eher impressionistischen Welten abgelauschte Kunst will nicht überwältigen, sondern wegtragen in ungehörte, verborgene Klangzonen.
Die Staatlichen Museen zu Berlin beherbergen eine erschöpfende Sammlung exemplarischer Artefakte aus sämtlichen Epochen der Menschheitsgeschichte. Der Kulturwissenschaftler und Historiker Stefan Laube eröffnet anhand von „Ding-Duos“ neue und originäre Perspektiven auf die Welthistorie. In der Gegenüberstellung von sachverwandten Exponaten aus den Sammlungen treffen, zeitlich und/oder geografisch, weit voneinander entfernte Welten/Kulturen aufeinander: ein Kleid von Coco Chanel und ein Federmantel aus Hawaii (um 1800), die Königin eines Schachspiels (1100) und ein Bauhaus-Schachspiel von 1923 oder eine Schamanentrommel aus Sibirien (um 1884) und eine Äolsharfe (um 1800) aus Deutschland. Aus dem Spannungsfeld von Eigenem und Fremdem, aus den „Duellen“ von Ratio und Rausch, Zivilisation und archaischem Ritual destilliert der Autor: Erkenntnis.
Seit Jahrzehnten weiß der Österreicher Peter Handke die Literaturszene mit immer neuen poetischen Volten zu überraschen. Mit dem Band „Zeichnungen“ präsentiert der Autor eine weitere Schaffensdimension. Die mit Bleistift, Kugelschreiber oder Filzstift gefertigten Preziosen aus den Jahren zwischen 2007 und 2017 zeigen neben unterschiedlichsten Objekten wie Federn, Nüssen, Bäumen, Hausfassaden oder Booten auch Menschen- und Tierporträts. In den verdichteten, skrupulösen Momentaufnahmen aus einem Notizbuch entwirft Handke das bildnerische Pendant zu seinen suggestiven Sprachwelten.
Das perfekte Fotoporträt verrät alles – und nichts. Es ist intim, extrovertiert, emotional und abstrakt zugleich. In seiner Präzision lässt es vieles offen. Für seine Ausstellung „No Show“ hat der Berliner Fotograf Oliver Mark einige seiner bedeutendsten Arbeiten zusammengetragen. Seinem „Blick“ stellten sich Prominente aus Kunst, Theater, Film, Musik oder Politik wie Cate Blanchett, Angela Merkel, Ben Kingsley, Anthony Hopkins, Joachim Gauck oder Louise Bourgeois. Porträtkunst, die um Inszenierung weiß, aber dem glücklichen Moment vertraut, die nach Form strebt und doch die Grenzüberschreitung sucht.
- Peter Handke – Zeichnungen, Schirmer/Mosel, 208 S., 130 Farbtafeln, 39,80 Euro
- Stefan Laube, Objekte im Duell – Streifzüge durch Berliner Museen, Wagenbach, 144 S., 20 Abb., 18 Euro
- Mussorgsky, Pictures at an Exhibition & other Piano Works, François Dumont, Aevea 18080, CD
- Fotoausstellung: Oliver Mark - No Show (seit 6. April), Stadtgalerie Bamberg, Villa Dessauer, bis zum 2. Juni 2019
Martin Hoffmeister publiziert regelmäßig in nationalen und internationalen Magazinen und Zeitungen. Als Redakteur im Kulturressort des MDR-Hörfunk beobachtet er die Musik- und Literaturszene seit mittlerweile drei Jahrzehnten. Im Rotary Magazin empfiehlt er Neuerscheinungen aus dem Kulturleben und Fundstücke von seinen Reisen.
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