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Hoffmeisters Fundstücke

Blick auf Bosnien

Hoffmeisters Fundstücke - Blick auf Bosnien
© Jessine Hein/Illustratoren

Kulturelle Tipps rund um das Balkanland – einmal abseits volatiler politischer Verhältnisse, ethnischer Verwerfungen und kriegerischer Scharmützel

Martin Hoffmeister01.06.2024

2024, hoffmeister, faszination bosnien und herzegowina
© Tausend fremde Orte

Malerische, unberührte und vielgesichtige Natur und Landschaften, attraktive Städte, inspirierende Kulturvielfalt und die Insignien wechselnder Geschichte – am Beispiel von Bosnien und Herzegowina zeigt sich, warum sich Entdeckungsreisen in die Region lohnen. Informationen, Empfehlungen und Hinweise aus erster Hand liefert der vorliegende aktuelle Reiseführer über das Land im Westen der Balkanhalbinsel. Seit 2011 bereiste das Autorenteam über 200 Tage lang mehrfach die Region und ließ sich einnehmen von den letzten Urwäldern Europas, von Flüssen, zauberischen Seen und Wasserfällen ebenso wie von kargen Bergkulissen, Schluchten, Wildpferdherden und pulsierenden Städten wie Sarajevo, Mostar, Banja Luka oder Zenica. Abseits ausgetretener Touristenpfade entdecken die Autorinnen zahllose unbekannte Natur-Preziosen, die mit Wohnmobil, Auto oder Motorrad problemlos erreichbar sind. Neben (Geheim-)Tipps und entlang von ausdrucksstarkem Fotomaterial oder QR-Codes offeriert der Führer kuratierte Routen, Online-Karten oder Restaurantempfehlungen. Aktivreisende profitieren überdies von umfangreichen Hinweisen auf sportliche Betätigungsfelder wie Rafting, Montainbiking, Canyoning oder Wandern.

Nicht zuletzt aufgrund stetig aufflammender Spannungen in der Balkanregion verdichten sich auch die Konflikte über Deutungsnarrative. Ein komplexes Feld, das von Politik, Historikern, Eliten und Protagonisten der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen im Zeichen jeweils eigener Interessen betrieben und instrumentalisiert wird. Immer noch steht entsprechend die Herausforderung, den Balkan hinreichend objektiv, zumindest vielperspektivisch zu erklären. Zwei Romane bosnischer Provenienz bieten Anhaltspunkte. Als Jahrhundertwerk gilt der Kritik der 1945 erschienene Roman Die Brücke über die Drina. Nobelpreisträger Ivo Andric schrieb ihn während der Kriegsjahre. Das geschichtsträchtige Bauwerk in der Kleinstadt Wischegrad nahe der Grenze zu Serbien bildet Ausgangs- und Endpunkt einer Vielzahl von Erzählsträngen, die auf Ereignisse, Legenden und Alltagsepisoden aus 400 Jahren Historie bis zum Ersten Weltkrieg fokussieren. In ihrer Funktion als Bindeglied und Trennlinie zwischen Orient und Okzident, zwischen Ost und West, zwischen Religionen und Kulturen präsentiert Andrić das Bauwerk als idealtypische Kulisse, um menschliche Schicksale und ein Kaleidoskop einschlägiger Anekdoten zu skizzieren. Dabei überzeugt der studierte Historiker nicht nur mit eindringlichen Charakterporträts, sondern vermag überdies suggestiv Ausnahmezustände darzustellen. Dem Autor gelang ein gültiges Psychogramm der Region.

2024, hoffmeister, blick auf bosnien, tijan sila
© Audiolino

Tijan Silas späte Kindheit wurde geprägt vom Bosnienkrieg. Sein geradlinig, direkt, unpathetisch und temporeich erzählter Roman steht im Zeichen von Gewalt, Traumata, Erschütterungen und Grenzsituationen, schildert aber ebenso die Suche nach Alltag und Normalität während der Kriegswirren. Silas Text zielt nicht vordergründig auf Psychologisierung oder Überhöhung. Fast nüchtern, aus der Perspektive des Beobachters, weiß er die Extremerfahrungen aufzufächern. Und selbst Sarkasmus und Witz generiert der Autor aus scheinbarem Abstand. Der Leser respektive Hörer des von Sila selbst eingesprochenen Audiobooks erlebt ebendiese Distanz als kraftvolle Nähe.

Mostar, die größte Stadt der im Süden des Landes gelegenen Herzegowina, zählt zu den touristischen Hotspots der Region. Idyllisch am Fluss Neretva zwischen pittoresken Bergmassiven gelegen, nimmt die 100.000-Einwohner-Destination ein durch geschäftige Gassen und Märkte, ebenso wie durch Minarette, Moscheen und die mittelalterliche (Weltkulturerbe-)Bogenbrücke. Über Jahrhunderte avancierte die Stadt zu einem solitären Schmelztiegel verschiedener Kulturen und Religionen. Zu einer der schönsten Herbergen dort reüssierte das Hotel-Restaurant Kriva Cuprija. Das denkmalgeschützte Kalkstein-Anwesen bietet neben zeitlosmodern, individuell gestalteten Zimmern mit Aussicht über die Altstadt ein reiches kulinarisches Tableau. 


  1. Buch: Melanie Thelen/Anna-Maria Koptenko, Faszination Bosnien und Herzegowina. Zwischen Natur, Geschichte und Abenteuer, Tausend fremde Orte, 320 S., 393 Abb., 29,95 Euro
  2. Buch: Ivo Andric, Die Brücke über die Drina, Zsolnay, 496 S., 25,90 Euro
  3. Hörbuch: Tijan Sila, Radio Sarajevo, Audiolino, MP3-CD, 19,90 Euro
  4. Hotel: Hotel Kriva Cuprija, Onescukova 23, BiH-88000 Mostar, hotel-mostar.ba
Martin Hoffmeister

Martin Hoffmeister publiziert regelmäßig in nationalen und internationalen Magazinen und Zeitungen. Als Redakteur im Kulturressort des MDR-Hörfunk beobachtet er die Musik- und Literaturszene seit mittlerweile drei Jahrzehnten. Im Rotary Magazin empfiehlt er Neuerscheinungen aus dem Kulturleben und Fundstücke von seinen Reisen.

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