Hoffmeisters Fundstücke
Blick nach Österreich
Im Vorfeld der Nationalratswahlen hier ein paar Empfehlungen für Medien, die ein Licht auf die aktuelle Stimmung in der Alpenrepublik werfen
Deutschlands öffentlich-rechtlicher Rundfunk feierte im letzten Herbst das Jubiläum 100 Jahre Radio. Radio-Aficionados konnten sich über Monate ein Bild machen von Expertise und Vielfalt der Angebote insbesondere im Informations- und Kultursegment. Kaum hinwegzutäuschen vermochte der Blick auf die historischen Potenziale des Mediums allerdings über die Tatsache, dass vor allem das Kulturradio in den zurückliegenden Jahrzehnten deutlich und flächendeckend Substanz lassen musste. Die Zeiten, in denen Kinder, Jugendliche und jüngere Erwachsene die entsprechenden Wellen als zentralen Sozialisationsbezugspunkt begreifen und nutzen konnten, sind – mit wenigen Ausnahmen – Geschichte. Dass die sogenannte Hochkultur in Anspruch und Komplexität auch in Phasen allgemein nivellierter Tableaus durchaus zeitgemäß und einnehmend abgebildet werden kann, zeigt unter anderem der ORF mit seiner Sendereihe „Sound Art: Zeit-Ton“, in der, über Genregrenzen hinweg, avancierte Musikprojekte und die entsprechenden Protagonisten im Fokus stehen. Ob zeitgenössische Klassik, Jazz, Folk, ob Performances, Konzerte, Installationen oder Festivals, ob Wolfgang Rihm, Rebecca Saunders oder Luigi Nono: In tiefgründig-dichten und suggestiven Diskursen verstehen die Autoren, ihre Sujets in originärer Manier aufzufalten. Exemplarisches Kultur-Radio!
Die Welt der Podcasts präsentiert sich so vielfältig, wie das Substanzgefälle zwischen den weltweiten Offerten irritiert. Eitles, sinnfreies Schwadronieren steht neben konsistentinformativen, kurzweilig aufbereiteten Serien, narzisstisch aufgeladene Impertinenz neben intellektueller Grandezza. „Inside Austria“, produziert vom Nachrichtenmagazin Der Spiegel und der Tageszeitung Der Standard, ventiliert ausschließlich Sujets mit Österreichbezug: politische, gesellschaftliche und kulturelle Themen, die im Podcast-Format besonders sinnfällig und suggestiv darstellbar sind. So nehmen die verantwortlichen Redakteurinnen Lucia Heisterkamp und Margit Ehrenhöfer die Leitkulturdebatte im Land ebenso in den Blick wie antisemitische Tendenzen, die Nähe zwischen FPÖ und AfD, Jugendkriminalität, einen Fußballstar ebenso wie die Vorzüge der Metropole Wien. Kurzweil und Informationsdichte des rund halbstündigen Formats entstehen durch sprecherische Brillanz, journalistische Integrität, wechselnde Interviewpartner, atmosphärische Zuspiele und idealtypische Struktur. Repräsentationsbauten als Spiegel einer Gesellschaft, als Symbol politischer Verfasstheit, als Signum architektonischer Distinktion? Unbedingt!
Beispielhaft dafür steht das österreichische Parlament. Nach fünf Jahren extensiver Sanierung erfährt der Prachtbau an der Wiener Ringstraße mit seinen mehr als 1000 Räumen weltweit positive Resonanz. Als visuelle Erzählung und demokratischen Akt versteht Fotograf Lois Lammerhuber seinen opulenten Fotoband, der jeden Raum und Hunderte von baulichen Details, Designs und Ausstattungspreziosen in den Blick nimmt. State of the art.
Seit zwölf Jahren reüssiert die österreichische Pop-Rock-Band Wanda im deutschsprachigen Raum. Ihre emotionalen Songs changieren zwischen robuster Geradlinigkeit, Schärfe, (selbst-)kritischen Einlassungen, melodieseligem Psychogramm und exzessiver Selbstschau. Das kürzlich erschienene Album Ende nie fungiert als Hommage an ihren 2022 verstorbenen Keyboarder Christian Hummer. Der erste Song, Bei niemand anders, ist ihm gewidmet. Bewegend. Ebenso wie die Liebeslieder der CD.
- Radio: ORF/Ö1 – Sound Art: Zeit-Ton, oe1.orf.at/zeitton
- Podcast: Inside Austria, Der Spiegel/Der Standard, spiegel.de/thema/inside-austria-podcast
- Buch: Lois Lammerhuber – Parlament Österreich, Edition Lammerhuber, 264 S., 49,90 Euro
- CD: Wanda – Ende nie, Polydor
Martin Hoffmeister publiziert regelmäßig in nationalen und internationalen Magazinen und Zeitungen. Als Redakteur im Kulturressort des MDR-Hörfunk beobachtet er die Musik- und Literaturszene seit mittlerweile drei Jahrzehnten. Im Rotary Magazin empfiehlt er Neuerscheinungen aus dem Kulturleben und Fundstücke von seinen Reisen.
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