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Forum

Das fehlte noch

Forum - Das fehlte noch
So soll es 2026 aussehen: Blick auf die Westfassade der „Scheune“ mit Baumhof, Matthäikirchplatz und Matthäikirche. © Herzog & de Meuron

Mit dem „Museum des 20. Jahrhunderts“ wird eine Leerstelle des Berliner Kulturforums ausgefüllt.

Rainer Haubrich01.01.2020

Wenn es in Berlin einen Ort gibt, der Glanz und Elend der modernen Architektur auf exemplarische Weise verkörpert, dann ist es das Kulturforum. Hier stehen zwei weltberühmte Ikonen des Bauens im 20. Jahrhundert: die Philharmonie von Hans Scharoun und die Neue Nationalgalerie von Ludwig Mies van der Rohe. Aber gründlich misslungen ist das heterogene Ensemble aus einem halben Dutzend Gebäuden, der zugige Stadtraum hat weder Richtung noch Struktur und ist deshalb meist menschenleer. Auch der Neubau des „Museums des 20. Jahrhunderts“, für den am 3. Dezember der erste Spatenstich gefeiert wurde und der – Stand heute – im Jahre 2026 eröffnen soll, dürfte die städtebaulichen Schwächen des Kulturforums nur wenig abmildern. Aber das Haus wird es ohne Zweifel aufwerten und beleben.

Der Ort hat eine lange Planungsgeschichte. Wo sich heute das Kulturforum erstreckt, befand sich einst das elegante Tiergartenviertel, in dem seit der Mitte des 19. Jahrhunderts Politiker, hohe Beamte, Unternehmer, Künstler und Wissenschaftler residierten, darunter Emil und Walther Rathenau, Georg Wertheim oder Adolph Menzel. Im Dritten Reich wollte Albert Speer das Quartier abreißen zugunsten des neuen Oberkommandos der Wehrmacht und eines runden Platzes auf seiner gigantischen Nord-Süd-Achse, aber nur das Haus des Fremdenverkehrs wurde bis Kriegsbeginn fertig. 1962 hat man es zusammen mit fast allen anderen Überresten der Villenbebauung abgerissen, um Platz zu schaffen für eine neue Idee: Hier wollte sich West-Berlin nach der Teilung der Stadt ein neues kulturelles Zentrum bauen.

Beton-Backstein-Brutalismus
Den Anfang machte die Philharmonie mit ihrer bewegten Silhouette, die Scharoun eigentlich für einen Standort in Wilmersdorf geplant hatte. Es folgte die Neue Nationalgalerie, ein strenger Tempel aus Stahl und Glas, den Mies ursprünglich als Firmensitz von Bacardi auf Kuba entworfen hatte. Später kam die amorphe Staatsbibliothek hinzu und schließlich ein mittelmäßiger Museumskomplex in Beton-Backstein-Brutalismus mit einer absurden Eingangsrampe. Der vorläufig letzte Baustein war der Kammermusiksaal der Philharmonie, den ein Scharoun-Schüler nach dem Tod des Meisters entwarf – viel größer, als der es gewollt hatte. Nur eine Leerstelle blieb bis heute: das Grundstück neben der erhaltenen Matthäikirche von August Stüler, zwischen Neuer Nationalgalerie und Philharmonie, für das Scharoun einst ein seltsam verrutschtes Gästehaus entworfen hatte.

Seit den frühen 1980er Jahren gab es immer wieder Versuche, die Ödnis des Kulturforums zu beleben. Hans Hollein gewann ein Gutachter-Verfahren mit der Idee, die Leerstelle durch eine „Piazza“ zu fassen. Nach dem Fall der Mauer empfahl das „Planwerk Innenstadt“ des Senatsbaudirektors Hans Stimmann einen Gebäuderiegel, um der Matthäikirche wieder eine Fassung zu geben. Schließlich wurde ein Masterplan der Landschaftsarchitekten Levin/Monsigny prämiert, der dem Ensemble mit einer einheitlichen Freiraumgestaltung mehr Kohärenz verleihen sollte. Nichts von alledem wurde realisiert. Stattdessen legte man einen Baumhain mit Skulpturen an, den kein Mensch nutzt.

Man kann von Glück sagen, dass es schließlich eine neue Idee für diese Leerstelle gab – und dass sie nun tatsächlich verwirklicht wird: ein „Museum des 20. Jahrhunderts“ für die über Jahrzehnte enorm angewachsene Sammlung der Nationalgalerie, die zu großen Teilen in den Depots schlummert, weil man den Besuchern auf den aktuell bespielbaren Flächen nur einen Bruchteil der Schätze aus Expressionismus, Kubismus, Surrealismus, DDR-Kunst und raumfüllenden Installationen zeigen kann. Hinzu kommen Kollektionen der Sammler Marzona, Marx und Pietzsch, die ihre Schenkung zum Teil an die Bedingung knüpften, dass die Kunstwerke dauerhaft zu sehen sind.

Der Durchbruch für das Projekt kam 2014 mit dem Beschluss des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages, 200 Millionen Euro für den Neubau zur Verfügung zu stellen. Aus dem Ideen- und Realisierungwettbewerb mit anfangs fast 500 Teilnehmern gingen die Schweizer Stararchitekten Herzog & de Meuron hervor, die sich einen guten Ruf erworben haben mit Bauwerken wie der Elbphilharmonie in Hamburg, der Erweiterung der Tate Gallery in London oder dem Olympiastadion in Peking.

Es war eine schwierige, fast unlösbare Aufgabe, einen Museumsbau zu entwerfen, der weder die Philharmonie noch die Neue Nationalgalerie zu sehr bedrängt, aber dennoch eigenständig und selbstbewusst daherkommt; dessen architektonische Handschrift weder Scharoun noch Mies imitiert und dennoch mit beiden harmoniert. Das ist den Schweizern mit ihrem schlichten Kubus unter einem flachen Satteldach gelungen. Das von Kritikern „Scheune“ genannte Gebäude wird von allen vier Seiten aus zugänglich sein und dadurch neue Wege zwischen den Solitären des Kulturforums eröffnen. Mit der Backsteinoptik der Fassaden orientiert es sich an der Matthäikirche und gibt dieser wieder Halt.

Treffpunkt bis spät in die Nacht
Dass die geschätzten Gesamtkosten seit dem Bundestagsbeschluss in die Höhe schnellten auf 360 Millionen Euro (auch wegen notwendiger Umplanungen, wie die Beteiligten versichern), das wird, wenn es dabei bleibt, eines Tages nur noch eine Fußnote sein in der wechselhaften Planungsgeschichte des Kulturforums.

Die Erwartungen der Fürsprecher dieses Museums sind hoch: Es solle ein Haus für Menschen aus allen Bevölkerungsschichten werden, nicht nur für Touristen, sondern auch für die Berliner, die hier ganze Tage verbringen sollen, weswegen es oft bis spät in die Nacht geöffnet sein werde; es solle über viele eintrittsfreie Bereiche verfügen, wo sich die Leute treffen können wie in einem öffentlichen Raum; die Treppen innen und außen sollen sich in Amphitheater verwandeln. Man darf solchen Visionen mit einer Portion Skepsis begegnen. Aber wenn sich auch nur die Hälfte dieser Hoffnungen erfüllt, dann wird nicht nur das Kulturforum, sondern die Kunststadt Berlin um eine bedeutende Attraktion reicher sein.

Rainer Haubrich
Rainer Haubrich ist stellvertretender Meinungschef und Architekturkritiker der WELT. Soeben erschien sein jüngstes Buch "Das Scheunenviertel. Kleine Architekturgeschichte der letzten Altstadt von Berlin" bei Suhrkamp/Insel, 156 Seiten, 14 Euro. suhrkamp.de