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Deutsche Ikonen

Das »Phänomen Paul Klee«

In der Welt der Kunst scheint es gerade so, als stünde die deutsche Malerei des 19. und frühen 20. Jahrhunderts vor einer Neubewertung. Was hat dieser Trend zu bedeuten? Und wie konnte es dazu kommen, dass einige Künstler so lange Zeit in Vergessenheit gerieten? Antworten liefert das August-Titelthema. Einige vergessene Kunstwerke zeigt eine Fotostrecke.

Christiane Weidemann16.08.2013

„Die wirkliche Wahrheit selbst liegt zunächst

unsichtbar zu Grunde.“

Paul Klee, Tagebücher 1898–1918


Paul Klee zählt heute zu den bedeutendsten deutschen Malern und Zeichnern der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und gilt als einer der großen Künstler der Moderne. Er stand mit einflussreichen avantgardistischen Bewegungen wie der „Blaue Reiter“ und dem Bauhaus in Verbindung und wird als Wegbereiter der abstrakten Kunst betrachtet. Berühmte deutsche Denker bekannten sich einhellig zu seiner überragenden künstlerischen Leistung, darunter Theodor W. Adorno, Martin Heidegger und Walter Benjamin, aus dessen Hand die berühmteste Klee-Interpretation stammt – von „Angelus novus“, dessen erster Besitzer er war und das ihn auf allen Stationen seiner Emigration begleitete.

Doch der Weg zur Anerkennung der Kleeschen künstlerischen Leistungen verlief alles andere als geradlinig. Nach anfänglichen Erfolgen in der Zeit der Weimarer Republik setzten ihn die Nazis 1933 auf die Liste der „Entarteten Kunst“ – und ihr eigenes „schönes“ oder „gesundes“ Kunstverständnis dagegen. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg, als im Zuge des Untergangs des „Dritten Reichs“ auch dessen Kunstauffassungen am Ende waren, schwappte eine erneute Welle der Abstraktion durch Deutschland. Klees Gratwanderung zwischen gegenständlicher und abstrakter Kunst kam auf einmal wieder dem Zeitgeist entgegen, und so machte man ihn als einen der Vertreter des „Geistigen in der Kunst“ zu einem der bedeutendsten Vorläufer der Moderne.

Die Anerkennung von Paul Klees Ausnahmestellung geht über die Ästhetik der Werke und seine umfangreichen theoretischen Überlegungen hinaus. Nicht nur die Aussagen der o.g. Philosophen lassen darauf schließen, dass Klees Bilder die Betrachter auf besondere Weise berühren. „Klee gibt die Welt nicht wieder, wie wir sie kennen, sondern er macht sichtbar, wie sie ist: nämlich wachsend und vergehend, launisch, komisch, wunderschön“, erklärt das Kindermuseum Creaviva im Berner Zentrum Paul Klee den Besuchern seine Kunst. Paul Klee selbst formulierte diesen zentralen Gedanken in seinen berühmt gewordenen Worten: „Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar.“

Er befreite die Kunst von ihrer Aufgabe der Naturnachahmung – indem er die künstlerische Form als Schöpfung parallel zur Wirklichkeit betrachtete. Klees Anspruch war demnach universell und umfasste die Vielfalt der Welt mit all ihren Erscheinungen. So entfaltete Klee in seinem Werk einen unendlichen Reichtum an künstlerischer Fantasie, einen Kosmos an Bild- und Schriftzeichen, organisch wie anorganisch, geometrisch wie floral. Sein oeuvre changiert zwischen Figürlichem und Abstraktem, zwischen Einfachheit und Komplexität, ohne dass es sich einem bestimmten Stil zuordnen ließe. Ursprung seiner Arbeit blieb die Zwiesprache mit der Natur und ihr tiefes „Eindringen in die Seele“, auch wenn Gegenständliches teilweise nur noch in den Bildtiteln aufscheint.

Während Klees künstlerische Anfänge vor allem im Bereich des Zeichnerisch-Illustratorischen liegen, bedeutete die gemeinsam mit den Künstlerkollegen Macke und Moilliet unternommene Tunesienreise im April 1914 für ihn ein einschneidendes Ereignis, das als Mythos in die Kunstgeschichte eingehen sollte: sein Vordringen zur Malerei. „Ich lasse jetzt die Arbeit. Es dringt so tief und mild in mich hinein, ich fühle das und werde so sicher, ohne Fleiß. Die Farbe hat mich. Ich brauche nicht nach ihr zu haschen. Sie hat mich für immer, ich weiß das. Das ist der glücklichen Stunde Sinn: ich und die Farbe sind eins. Ich bin Maler.“ Unter dem starken Eindruck der afrikanischen Landschaft und des intensiven Lichts entstanden Aquarelle von eindrucksvoller Leuchtkraft und Klarheit. Paul Klee fand seinen Weg hin zu einer neuen, autonomen Verwendung der Farbe und einer zunehmend abstrakteren Bildsprache, ein Weg, den er konsequent weiterverfolgte.

Traumhaft-idyllische Inhalte

Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges entstanden vermehrt Werke mit traumhaft-idyllischen Inhalten und rätselhaften Titeln, die Raum und Zeit scheinbar enthoben sind. Klees „Bildmagie“ sprach vor allem jene an, die wie er vom Krieg innerlich Abstand nehmen wollten.

Die verwunschenen Werke wechselten ab mit rein abstrakten Studien, als Klee 1920 als Formlehrer ans Bauhaus nach Weimar ging. Seine Berufung spiegelt den Rang wider, den er inzwischen in Deutschland wie international erworben hatte. Die mehr als zehnjährige Lehrtätigkeit an einer Wirkstätte mit bedeutenden Zeitgenossen, die das gesamte gesellschaftliche Leben nach dem Krieg neu gestalten wollten, war geprägt durch lebhaften geistigen Austausch und ein wechselseitiges Anspornen zu großen Werken der Kunst und Architektur. Was Klee vorher intuitiv geschaffen hatte, erforderte nun die rationale Auseinandersetzung. Vor allem seine Überlegungen zur Farbe sollte er in jahrzehntelanger Reflexion ausarbeiten und umfassend in seine künstlerische Arbeit einbeziehen. In Weimar gelang dem „Bauhaus-Buddha“, wie der ruhige, humorvolle Klee respektvoll von Meistern und Schülern genannt wurde, auch erstmals eine Untersuchung der Parallelen von Kunst und Musik – seine „verhexte Geliebte“, die ihm Stunden der Inspiration und Erholung bot und quasi unweigerlich auf sein Werk Einfluss nehmen musste. Sein Ziel bestand darin, musikalische Strukturen und simultane Klangbilder in bildnerischen Kompositionen sichtbar zu machen.

Während Klees frühe Bilder gewissermaßen fein, leicht und poetisch erscheinen, lässt sich sein Spätwerk als expressiver, mächtiger und archaischer beschreiben. Weltgeschehen und Lebensumstände fanden nun stärker Eingang in sein Kunstschaffen. Als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, wurde ihm schlagartig die gesellschaftliche Stellung abgesprochen und seine künstlerische Heimat genommen. Er verlor seine Professur an der Düsseldorfer Akademie, am Bauhaus Dessau wurde sein Haus nach politisch verdächtigen Bildern durchsucht und seine gesamte Korrespondenz beschlagnahmt. Es entstand, so schrieb Klee, eine „große Stille zwischen mir und Deutschland“. Leichtigkeit und Unbeschwertheit verschwanden zugunsten einer Tristesse, die sich in einer Werkgruppe mit dunklen, gedämpften Farbtönen zeigt, angefangen mit seinem Bild „von der Liste gestrichen“ (1933). Paul Klee, aus dem die Nazis „einen gefährlichen Kulturbolschewisten“ gemacht hatten, emigrierte in die Schweiz.

Späte Schöpferkraft

Seine letzten Lebensjahre waren von schwerer Krankheit und Arbeitsunterbrechungen – Klee litt an Sklerodermie, einer Erkrankung des Bindegewebes – ebenso wie von immenser Schöpferkraft geprägt. 1939 entstanden mit 1253 Werken mehr als je zuvor innerhalb eines Schaffensjahres. Seine Bildformate vergrößerten sich ins Monumentale, die Linie wuchs heran zu dicken schwarzen Balken. Oft blieben nur noch wenige Striche, Zeichen und einfache Formen übrig, teilweise in Kombination mit leuchtenden Bildgründen. Klee versuchte die Darstellung auf das Wesentliche zu reduzieren, alles Erlebte und Gewesene sollte verdichtet werden. Neben Ernsthaftigkeit, Angst und Bedrohung in seiner Auseinandersetzung mit dem Tod spiegeln sich jedoch immer wieder auch Zuversicht und Lebensfreude, Witz und Heiterkeit in seinen Arbeiten.

Während Paul Klee in seinem Atelier ein Bild nach dem anderen schuf, planten die Nationalsozialisten in Deutschland die Ausstellung „Entarteter Kunst“, in der auch Paul Klee mit siebzehn Werken vertreten war. Kurz vor Beginn des Zweiten Weltkrieges und noch bevor seinem Antrag auf Schweizer Staatsbürgerschaft stattgegeben werden konnte, starb Paul Klee am 29. Juni 1940 im Tessin.

„Diesseitig bin ich gar nicht fassbar
Denn ich wohne grad so gut bei den Toten
wie bei den Ungeborenen
Etwas näher der Schöpfung als üblich
Und noch lange nicht nahe genug.“


Diese Selbstbeschreibung Paul Klees steht heute auf seinem Grabstein, eine von verschiedenen Aussagen des Künstlers, die seiner Verklärung nach 1920 zu einem weltabgewandten Künstlerpoeten entgegenkam. In der Rezeption erhöhte man ihn zu einem „gottgleichen Schöpfer“, der sein eigenes „Universum“ schuf.

Die Faszination und das Berührtsein durch die von Paul Klee geschaffene, eigentümliche „Zwischenwelt“, in der er mit Zeichenstift und Pinselstrich Unsichtbares sichtbar macht, ist ungebrochen. Durch die Befreiung der bildnerischen Mittel von der Aufgabe der Naturnachahmung fand er zu einer völlig neuen Kunst. Klee hinterließ ein gigantisches Oeuvre, das neben seinem außerordentlichen künstlerischen Willen seine individualistische Wandelbarkeit zeigt. Er entwickelte eine Vielfalt von Bildsprachen, die Anstoß gaben zu einer formalen und theroretischen Neuorientierung im 20. Jahrhundert. Diese weiter zu entschlüsseln und kritisch zu würdigen ist Aufgabe der Forschung, der es auch in Zukunft eine Freude bleiben wird, „der wirklichen Wahrheit“ eines Paul Klee auf den Grund zu gehen.

Christiane Weidemann
Christiane Weidemann ist Literaturwissenschaftlerin, Ethnologin und Kunsthistorikerin. 2011 erschien von ihr die Biographie „Paul Klee. Die Lebensgeschichte“ (Prestel Verlag). Zuletzt veröffentlichte sie „50 zeitgenössische Künstler, die man kennen sollte“ (Prestel Verlag, 2018).