Der Deutsche Impressionismus
Komposition aus Farben und Formen
In der Welt der Kunst scheint es gerade so, als stünde die deutsche Malerei des 19. und frühen 20. Jahrhunderts vor einer Neubewertung. Was hat dieser Trend zu bedeuten? Und wie konnte es dazu kommen, dass einige Künstler so lange Zeit in Vergessenheit gerieten, obwohl sie einst als Lieblinge der Deutschen galten? Antworten liefert das August-Titelthema. Einige vergessene Kunstwerke zeigt eine Fotostrecke.
Die künstlerische Revolution der europäischen Moderne im 19. Jahrhundert begann bekanntlich in Frankreich. Bereits 1874 stellte Claude Monet zusammen mit einer Gruppe junger progressiver Künstler im Atelier des Fotografen Nadar in Paris ein unerhörtes Bild aus, dessen Titel genau beschrieb, was es zeigte: L?‘Impression, soleil levant (Impression, Sonnenaufgang). Eine rote Sonne geht im bläulichen Frühnebel über grauen, schemenhaften Hafenkränen auf. Der Titel des Bildes wurde zum Schimpfwort der Kritiker und zum Programm der Künstler. Fortan trachtete der Impressionismus danach, anstelle der Naturnachahmung das Seherlebnis des Künstlers ins Bild zu setzen. Mit lichter Farbigkeit und kleinteiligem Pinselduktus bildete er die künstlerische Speerspitze gegen den dunkeltonigen Formalismus der etablierten, offiziell anerkannten und von höchster Stelle geförderten (und geforderten) akademischen Malerei des späten 19. Jahrhunderts.
Der Impressionismus läutete den künstlerischen Paradigmenwechsel ein, mit dem die Kunst im Fortschritt der Moderne schließlich von einer Staatsangelegenheit zur Sache des individuellen Einzelnen, seiner Vorlieben und Sehnsüchte wurde. Die neue malerische Auffassung als eine generelle Stimmung zu Aufbruch und Veränderung auch in der Kunst setzte sich im Verlauf eines guten Jahrzehnts relativ rasch in ganz Europa weitgehend durch. In Deutschland traf die neue Malerei auf den starren, konservativen Kunstgeschmack des wilhelminischen Kaiserreiches. Doch fand sie rasch Verfechter auch unter den deutschen Künstlern, die sich dem Historismus der Akademien und der vom Kaiser geschätzten und beauftragten Staatskunst widersetzten. Gegen den Bildbedarf des Hofes und die Glorifizierung der kaiserlichen Familie setzten sie ihre eigenen, neuen, oft dem privaten Alltag entnommenen Themen; die neue Kunstauffassung machte bald landesweit Furore und der Impressionismus gelangte auch in Deutschland zu allgemeiner Beliebtheit.
Eine neue Kunstauffassung
In Berlin traten Max Liebermann, Lovis Corinth, Max Slevogt und ihre Mitstreiter in der 1898 gegründeten „Berliner Secession“ mit ihren neuen, der impressionistischen Kunstauffassung verpflichteten Werken gegen den etablierten Akademismus an; sie wurden zu Hauptvertretern der neuen Malerei in Deutschland und machten Berlin zur modernen Kunsthauptstadt des deutschen Reiches. Daneben jedoch prägten viele andere, heute oft kaum mehr geläufige Künstlernamen die Vielfalt der impressionistischen Malerei in Deutschland, von der nördlichen und ostdeutschen Ausprägung bis zur süd- und südwestdeutschen Variante. Und durchaus selbstbewusst setzten die deutschen Künstler ihren französischen Vorläufern die eigenen Auffassungen entgegen.
Künstler wie Thomas Herbst in Hamburg, Christian Landenberger in Stuttgart, Fritz von Uhde in München, Gotthardt Kuehl und Robert Sterl in Dresden gestalteten, neben vielen anderen, das Bild eines deutschen Impressionismus, der sich seit den 1890er Jahren als frühe Moderne in Deutschland, zu Teilen auch als Weiterentwicklung aus der akademischen „Freilichtmalerei“, etablierte. Die Subjektivierung des Bildes als Ausdruck der farbigen Erscheinungen, die das Auge des Malers am Motiv wahrgenommen hatte, führte zu einer fortschreitenden Akzentuierung von Farbe und Form in einem kleinteiligen, die Gegenstände umspielenden Pinselduktus, der aber, im Unterschied zu Frankreich, in der deutschen Malerei gleichzeitig immer einer stärkeren Kohärenz der Form verpflichtet blieb. Während der Impressionismus in Frankreich mit seiner betont hellen, „lichtvollen“ Farbnuancierung als künstlerischer Ausdruck der Lebens- und Genussfreude eines erstarkten, selbstbewussten und zunehmend wohlhabenden Bürgertums verstanden worden ist, setzte der deutsche Impressionismus durchaus auch andere Akzente. Der französischen Leichtigkeit standen die deutsche Ernsthaftigkeit mit einer meist weniger lichten Farbpalette, einer geschlosseneren Bildform und einer differenzierteren Wahl der Bildthemen entgegen.
Für die deutschen Impressionisten war das städtische Umfeld sowohl urbane Lebens- und Vergnügungswelt als auch Stätte der Industrialisierung und der technisierten Arbeitswelt. An die Stelle royalen Glanzes trat das private Leben; die bürgerliche Wohnidylle mit Garten- und Studierzimmer, ja selbst die intime Morgentoilette und der Toilettentisch wurden zu bevorzugten Themen der Künstler. Daneben traten die Bilder aus dem Arbeitsalltag der weniger privilegierten Schichten, die Dienstmädchen, Zugehfrauen und Stallknechte, Bilder, die der Kaiser höchstpersönlich, nicht zuletzt mit dem Blick auf Max Liebermann, als „Rinnsteinkunst“ beschimpfte. Gotthardt Kuehl, einer der letzten Schüler Ludwig Richters in Dresden, wurde zum Meister des genrehaft inszenierten, farbig strahlenden und lichtdurchfluteten Innenraums. Er widmete sich dem Waisenhaus oder der Bierstube ebenso wie dem spätbarocken Kircheninterieur. Seine gemütlichen Wohnstuben bewahrten auch in der modernen impressionistischen Malweise eine gediegene, biedermeierliche Behaglichkeit.
Lesser Ury zeigte sich als Maler der Großstadt, der Berlin nicht nur im Sonnenlicht, sondern speziell auch im nächtlichen Gaslicht und bei Regen darstellte, ein besonderer Akzent des deutschen Impressionismus, dem sich auch Franz Skarbina widmete. Friedrich Kallmorgen und Hermann Pleuer dagegen konzentrierten sich auf Dampfschiffe im Hamburger Hafen und auf die Welt der Eisenbahn um den Stuttgarter Hauptbahnhof als Symbole der unaufhaltsamen Modernisierung und Technifizierung des Alltagslebens. Doch die Künstler entdeckten ebenso die Orte der Freizeit, an denen Jung und Alt bei geselligem Beisammensein und in Stunden der Muße die kleinen Freuden des Stadtlebens zu genießen wussten: den öffentlichen Biergarten, den Tiergarten, den zum Flanieren einladenden städtischen Park wie auch ihre eigenen Gärten, die etwa für Fritz von Uhde in München oder Max Liebermann am Wannsee eine ganz private Idylle und einen beinahe unerschöpflichen Schatz an Motiven bedeuteten. Die Gartenbilder der deutschen Impressionisten bringen die bürgerliche Freizeitgesellschaft in einer städtisch-kultivierten Natur wie den ganz privaten Lebensraum ins Bild und stehen thematisch ebenso wie mit ihrer strahlenden Farbigkeit und dem Spiel von Licht- und Schatteneffekten vielleicht den französischen Vorläufern am nächsten.
Landschaft als Urerfahrung
Von den fast japanisch-kalligrafischen Landschaften Karl Hagemeisters hin zu den pointillistisch zerlegten Wäldern Paul Baums spannt der deutsche Impressionismus einen weiten Bogen. Die Landschaftsmalerei wird zur Urerfahrung der Künstler. Mit Klappstaffelei und Tubenfarben verlassen sie ihre Ateliers und kehren den tristen Akademiesälen mit ihren Gipsmodellen den Rücken, um in der freien Natur zu arbeiten. Nur bedingt sind dabei die französischen Impressionisten die Vorbilder der deutschen. Der Impressionismus kommt nicht auf direktem Wege aus Paris nach Berlin, sondern auf dem Umweg über München und Holland. Auf den Spuren der Naturalisten und Freilichtmaler des 19. Jahrhunderts, von Barbizon bis zum Leibl-Kreis in Oberbayern, folgt der deutsche Impressionismus seinen eigenen Bahnen. Während der französische Impressionismus von den mediterranen, sonnendurchfluteten Landschaften geprägt ist, reisten die Deutschen an die kühleren Nord- und Ostseestrände der Niederlande, Belgiens und Deutschlands. Entsprechend sind die Meere bewegter, die Wolken oftmals dunkel und gewitterträchtig, die Menschen der scharfen Meeresbrise ausgesetzt. Max Liebermann fand in Holland für viele Jahrzehnte seine Malheimat und schilderte nicht nur das bäuerliche Leben, sondern widmete sich ebenso den Urlaubern und Reitern am Strand.
Auch Albert Weisgerber, Otto Scholderer, Franz Skarbina und der junge Max Beckmann entdeckten die raue See für sich. Oft galt der Maler-Blick auf die Landschaft jedoch nicht allein der Betrachtung der Naturschönheit, sondern ebenso den darin lebenden und arbeitenden Menschen. Zwischen bäuerlicher Vorratswirtschaft und Erntearbeit, zwischen Steinbruch und Rinderschwemme zeigten Künstler wie Thomas Herbst, Hans Olde, Robert Sterl und Heinrich von Zügel die ländliche Arbeitswelt in bisweilen romantischer Verklärung, jenseits jeder Sozialkritik. Die Einfachheit des bäuerlichen Daseins und die Arbeit in der Natur wurden den Künstlern zu Synonymen von Ursprünglichkeit und Authentizität einer „ehrlichen“, gegen jegliche akademische Inszenierung gerichteten Malerei. Mit seiner Betonung künstlerischer Subjektivität, seiner Hinwendung zur privaten, bürgerlichen Lebenssphäre und zum individuellen Alltag, in seiner zunehmenden Autonomisierung der malerischen Mittel und der Betonung des Bildes als künstlerische Komposition aus Farben und Formen bereitete der Impressionismus in Deutschland als erste Moderne nicht zuletzt auch bereits den Expressionisten den Weg.
www.kunsthalle-bielefeld.de