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Künstler Hans Thoma

Einst Liebling, heute fast vergessen

In der Welt der Kunst scheint es gerade so, als stünde die deutsche Malerei des 19. und frühen 20. Jahrhunderts vor einer Neubewertung. Was hat dieser Trend zu bedeuten? Und wie konnte es dazu kommen, dass einige Künstler so lange Zeit in Vergessenheit gerieten, obwohl sie einst als Lieblinge der Deutschen galten? Antworten liefert das August-Titelthema. Einige vergessene Kunstwerke zeigt eine Fotostrecke.

Paula Schwerdtfeger16.08.2013

Was geschah in der deutschen Malerei zwischen der Romantik von Caspar David Friedrich und dem Expressionismus, also etwa der Spanne zwischen 1840 und den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts? Für diese Zeit schwenkt unser Blick gern nach Frankreich, in die Pariser Salons, wo provokante Gesten eines Édouard Manets oder Edgar Degas die Moderne einleiteten. Der Kanon einheimischer Kunst bietet uns jene Maler an, die dem Impressionismus, allen voran Max Liebermann, folgten. Doch dieser Weg in die Moderne ist nur die eine Seite einer hitzigen Kontroverse zur deutschen Kunst, die um 1900 in den Feuilletons und Zeitschriften des Deutschen Kaiserreiches geführt wurde. Auf der anderen Seite stehen Künstler wie Arnold Böcklin und Hans Thoma, die gemeinhin als gefühlvoll, naturverbunden, heimatselig galten und gelten. Thoma avancierte in der Kaiserzeit immerhin zum „Lieblingsmaler des deutschen Volkes“, wie es Meyers Großes Konversations-Lexikon von 1909 behauptete. Seine tief empfundene Einheit mit der Natur galt als Spiegel eines genuin deutschen Geistes, der nicht rational erschließbar, sondern nur nachzuempfinden sei. Zahlreiche Publikationen würdigten Thomas Schaffen, noch zu Lebzeiten wurden Straßen nach ihm benannt, er erhielt sogar einen eigenen Kunstführer in der Berliner Nationalgalerie. Kein zweiter deutscher Künstler wurde zu Lebzeiten vergleichsweise verehrt.

Doch schon zu seinen Lebzeiten entfachte sich an Hans Thoma eine heftige Auseinandersetzung unter den Kritikern. So bemängelte der Kunsthistoriker Julius Meier-Graefe, Thoma rühre nur „an dieses Gefühl aus der Rumpelkammer des lieben Deutschtums“, wirklich zukunftsweisend wäre nur der deutsche Impressionismus. Der konservative Henry Thode entgegnete darauf wiederum, impressionistische Oberflächlichkeit sei der deutschen Seele fremd. Diese Position war es, die die leidlichen Modernisten durch eine Erneuerung des geistigen Lebens überwinden wollten. Und als später dann die Nationalsozialisten Thomas Werk (der 1924 gestorben war und sich nicht dagegen wehren konnte) für sich reklamierten, wurde dieser nach dem Ende der Diktatur als reaktionär abgestempelt. Erst heute erweitert sich die Lesart des 19. Jahrhunderts wieder und wirft einen Blick auf die Nebenwege der ewig fortschreitenden Moderne.

Von Wiesen und Meereswesen

Die der Zeit enthobenen Bilder Hans Thomas spiegelten die Sehnsüchte seiner Zeit wieder. Ohne Eisenbahnen, Schiffe, Fabriken, ohne Protz der Kaiserzeit und ohne künstliches Pathos konnten sie als Zeugen einer wahrhaften Ursprünglichkeit des Menschen im Einklang mit der Natur gewertet werden. Wenn „Auf der Waldwiese“ ein Mädchen Blumen pflückt, stört kein Zug die Idylle. Der Bach plätschert, und in den Bäumen rauscht der Wind. So kann sich der Betrachter in die ferne Ruhe der Natur träumen.

Um das Jahr 1890 gründeten sich fern der Städte erste Künstlerkolonien, die Wandervogelbewegung und der Freikörperkult wurden ins Leben gerufen. Zeitgleich gelang Thoma der große Durchbruch im Münchner Kunstverein. Man wollte wieder in die Natur. Körperliche Bewegung, reine Luft und weite Wiesen wurden als Gegenentwurf zur rasant fortschreitenden Industrialisierung verstanden. Das Bildungsbürgertum sah durch die menschenfernen Produktionsstätten des Großbürgertums die deutsche Kultur gefährdet; jenes Gut, das lange Zeit die Einheit des Nationalstaats ersetzt hatte.

Auch die mythologischen Überhöhungen der Landschaften durch Wesen ferner Welten wie Nixen, Putten und Wundervögel entsprachen den Rufen nach einer anderen Lebenswirklichkeit. Der Einsamkeit entgegenreitend, kehrt der Ritter der Industrialisierung seinen Rücken zu („Einsamer Ritt“, 1899). Schäumendes Wasser, mythologische Wesen, glitzernde Schuppen und manierierte Gesten erinnern an das fantastische Werk Böcklins („Drei Meerweiber“, 1876). Durch den Einfluss seines Frankfurter Förderers Otto Eiser, ein glühender Wagnerianer, kamen mythische Allegorien und Charaktere der populären Opern zum Bildpersonal hinzu. Inbrünstige Feuerstürme umranden den goldenen Helm des Krieges, dessen düsteres Gesicht wie eine Maske vor dem grellen Rot erstarrt ist („Der Krieg“, 1907).

Vermarktung

Stilistisch ist Thoma zwischen Symbolismus und Realismus anzusiedeln. Modern im Sinne einer avantgardistischen Brechung bürgerlicher Sitten und Regeln ist er allerdings nicht: Während der französische Realist Gustave Courbet eine in der Hängematte dösende Schönheit in süßliche Erotik hüllt, überführt Thoma das Motiv in den heimischen Garten („Hängematte“, 1876). Dargestellt ist seine träumende Braut Cella, züchtig gekleidet und durch die unverortbaren Stützen der Hängematte der Realität des Betrachters entrückt. Er wird ihren Traum von einer Familie nicht stören. Thoma bleibt jener Sittsamkeit verhaftet, die es braucht, um den Geschmack des Zeitalters des Bürgertums zu treffen.

Neben der stilistischen und motivischen Vielfalt der idyllischen Traumwelten braucht es noch eine weitere Komponente, um sich gegen die zahlreichen Malerkollegen durchzusetzen. Mit modernsten Mitteln schürt der Künstler das Feuer seiner Karriere, inszeniert sich als Wotan, Gottvater und schöpferischer Geist, der die Menschen auf den rechten Pfad führen wird. Eine bunte Wanduhr aus glänzender Majolika, Kriegspostkarten für den Ersten Weltkrieg mit dem siegreichen Siegfried, ein Apothekerschild mit fliegenden Putten und werkelnden Zwergen – die Vielseitigkeit des Oeuvres von Hans Thoma ist irritierend. Es umfasst nicht nur Ölmalerei, sondern auch Druckgrafik, Kunsthandwerk, Wandmalerei und Kostümentwürfe. Durch massentaugliche Malfibeln und Postkarten erschließen seine Bildideen neue Märkte. Der Wandervogelbewegung schenkt Thoma eine Grafik seines Wundervogels, mit der Hoffnung, sein Flug möge ihn zu den schönen Höhen des Lebens führen. So in die aktuellen Moden der Zeit eingebunden, steht der Kür zum „Lieblingsmaler“ der Deutschen nichts mehr im Wege.

Dicht an seiner Seite begleitet Thomas Popularisierung der Kunsthistoriker Henry Thode, der 1909 das Werkverzeichnis herausbringt. Der Professor der Karlsruher Universität stilisierte den Schwarzwälder gezielt zum Inbegriff einer aus dem deutschen Geist erfahrbaren Kunst. Zusätzlich beschwört Thoma in seiner Autobiografie „Im Winter des Lebens“ den Mythos des modernen Künstlers, der sich wider allen Akademismus seinen eigenen Weg zu großem Ruhm bahnte, dem inneren Bedürfnis folgend, die Wahrheit seiner Kunst verbreiten zu können. Das Bild des einfachen Bauernsohns, des naiven Dilettanten, der herzrührend einem Volk aus der Seele spricht, wird von den Zeitgenossen dankend angenommen. Der „Ritt auf dem Vogel“ von 1885 ist durchaus ernst gemeint. Was heute grotesk und naiv wirkt, trägt damals den Ruhm Hans Thomas.

Indem Thoma sich in der eingangs genannten Kontroverse um die deutsche Kunst auf Thodes Seite stellte, schloss er sich Anfang des 20. Jahrhunderts völkisch-nationalistischen Kreisen an und löste den eigenen Erfolg bei einem liberalen Kunstpublikum auf. Der Weg vom Kreis um Cosima Wagner, der Witwe Richard Wagners, zur Begeisterung der völkisch-rassisch radikalisierten Ideologen des Nationalsozialismus für Thomas Werk ist dann nicht mehr weit: Statt des nachempfundenen deutschen Geistes wurde nun die rassische Reinheit eines Volkes darin gesehen. Hans Thoma wurde zur zentralen Figur einer Genealogie deutscher Kunst – eine Instrumentalisierung, die die Ablehnung in der Nachkriegszeit hervorrief.

Neubewertung

Der dualistische Blick auf die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts wird in den letzten Jahren wieder aufgebrochen, und die Nebenwege der Moderne werden stärker berücksichtigt. In den Sammlungspräsentationen der Museen findet wieder akademische Malerei einen Platz, die lange Zeit vor allem als Illustrationen historischer Ereignisse aus Schulbüchern bekannt war. Die wiederentdeckte Pluralität des 19. Jahrhunderts erscheint reizvoll, sie wird neu gesichtet. Dabei erfahren besonders Jugendstil und Symbolismus eine Aufwertung – so wurde die Esoterik Karl Wilhelm Diefenbachs innerhalb kurzer Zeit mehrfach gewürdigt.

Vegetarismus, Pazifismus, Naturnähe sowie die Flucht aus der übertriebenen Technisierung des Lebens sind auch Themen unserer Zeit. Sind wir auf der Suche nach einem Gegenentwurf zu unserer Lebensrealität? Wenn uns Thomas Bilder heute anrühren, ist es wohl weniger das „Deutschtum“, dem wir nachfühlen, sondern eher das vielschichtige Oeuvre, das dem zeitgenössischen Rezeptionsverhalten entgegenkommt: Knallige Farbeffekte um groteske Gesten fantastischer Wesen, illustrative Erzählungen und verrückte Realitäten können befreit von den ideologischen Umdeutungen der Geistesgeschichte genossen werden. 

Paula Schwerdtfeger
Paula Schwerdtfeger ist Kunsthistorikerin und Mitverfasserin des Begleitkatalogs der Hans-Thoma-Ausstellung im Frankfurter Städelmuseum. Zudem ist sie Mitautorin des Blogs des Städelmuseums.