Titelthema
Der süße Charme der sauren Zitronen
In der Renaissance waren Zitrusgärten und Orangerien Prestigeobjekte der Fürsten. Bis heute stehen die duftenden Früchte des Südens für ein besonderes Lebensgefühl.
Zitrusbäume liegen derzeit schwer im Trend. Ja, man kann sagen: Zitrusbäume sind sogar ein großer Hype. Woran liegt das? Zitronenbäume waren früher ein Prestigeobjekt des Adels und reicher Patrizier. Südfrüchte überhaupt waren eine Rarität und hatten einen Rang wie exotische Gewürze, die zu enormen Preisen verkauft wurden, wenn man sie im Orient eingekauft und auf waghalsigen Schiffsreisen bis nach Europa gebracht hatte. Muskat und Zimt und Safran, Pfeffer aller Arten, Vanille, Kardamon, Kreuzkümmel und wie alle die Würzen der weiten Welt heißen – sie bereicherten die Tafel, auch wenn sie völlig unsachgemäß eingesetzt wurden. Alles musste üppig gewürzt sein. Böse Zungen behaupten, das Fleisch und viele andere Lebensmittel hätten eben im Zeitalter vor dem Kühlschrank so unangenehme Düfte entwickelt, dass man sie nur mit scharfen und starken Gewürzen überhaupt genießbar machen konnte. Vermutlich aber war es vor allem eine Angelegenheit des Prestiges: Mit der großzügigen Verwendung der teuren Gewürze konnte man seinen Reichtum zur Darstellung bringen.
Demgegenüber waren die Zitrusfrüchte seit jeher Lieferanten von Frische, von sauren und süßen Aromen, von angenehmen Bitternoten und natürlich auch von duftenden Ölen in der Schale der Früchte und dem Duft der Blüten. Und man erkannte auch bald die Wirkung von Vitamin C gegen Skorbut – was für die Seefahrt und die Entdeckung der Welt und den Handel mit fernen Ländern durchaus mitentscheidend war.
Zitrusfrüchte waren und sind vor allem aber eine Zierde des Gartens. Sie erforderten früher große Orangerien, meist repräsentative Bauten, die große Fensterflächen hatten und im Winter viel Brennholz für die Heizung erforderten. Schon in der Renaissance entstanden auf den Anwesen große Sammlungen von Zitrusbäumen.
Zierde des Südens
In südlichen Ländern sind Zitrusfrüchte recht robust und einfach anzubauen. Sie bilden Haine, wie wir es in nördlicheren Sphären von Obstkulturen kennen. Sie eignen sich sogar in den Städten als Alleebäume entlang von Straßen. Dennoch sind sie auch südlich der Alpen längst nicht alle überall ganzjährig im Freien zu kultivieren. Im Süden Frankreichs können sie beispielsweise in den mildesten Regionen der Côte d‘Azur, etwa in der Zitronenstadt Menton, angebaut werden. In Italien bietet die ligurische Küste einigen Arten ausreichend Wärme, etwa den Chinotto-Pflanzungen bei Savona. An den norditalienischen Alpenrandseen brauchen die Orangengärten jedoch einen Winterschutz und in den Hügeln der Toskana, wo manchmal auch die Oliven auf den Wurzelstock zurückfrieren, müssen die Zitrusbäumchen in Töpfe und in der kalten Jahreszeit in den Wintergarten, in die Limonaia oder die Orangerie.
Von Neapel nach Süden – etwa an der Amalfi-Küste – sind sie auf der sicheren Seite, aber auch hier versucht man, die Bäume in ummauerten Gärten zu schützen. In Sizilien, vor allem in der Conca d`Oro bei Palermo, gedeihen sie seit Jahrhunderten. In Kalabrien finden sich große Bestände von Bergamotte-Bäumen und etwas weiter nördlich wachsen die Etrog-Zitronen. In Spanien ist die Region um Valencia ein bestens geeignetes Anbaugebiet insbesondere für Orangen.
Schon in der Renaissance wollten Fürsten, Aristokraten und reiche Bürger nördlich der Alpen ebenfalls die goldenen Früchte des Südens kultivieren. Botanisches und kulinarisches Interesse, aber auch das damit verbundene Prestige veranlassten manchen vornehmen Bauherrn dazu, eine Orangerie zu schaffen, als Winterquartier für Zitrusfrüchte. Die in Töpfen gehaltenen Bäumchen mit ihren leuchtend roten oder goldenen Früchten machten den Garten erst interessant. In Frankreich dürfte die von Charles VIII.erbaute Orangerie von Schloss Amboise eine der ersten ihrer Art gewesen sein. Bekannter ist die riesige Orangerie von Versailles, die Jules Hardouin-Mansart 1686 mit einer 150 Meter langen Mittelgallerie erbaute. Eine Kathedrale für südländische Pflanzen!
Fürstliche Gärten
Natürlich mussten all die Fürsten, die ihr eigenes Versailles wollten, auch ein Winterquartier für ihre Zitruspflanzen bauen. Das Schloss Schönbrunn bei Wien verfügt über eine Zitruspflanzensammlung, ebenso Herrenhausen bei Hannover. Auch die Hohenzollern legten beim Berliner Schloss einen Garten mit Zitrusfrüchten an, der später einem Exerzierplatz weichen musste. Aber im Stadtschloss von Potsdam, im Schloss Sanssouci und in Charlottenburg bei Berlin entwickelte sich eine große Kultur der Zitrusfrüchte. Schon um 1672 unter dem Großen Kurfürsten sollen es 305 Pflanzen gewesen sein, unter Friedrich I. in Charlottenburg bereits 360. Unter Friedrich II. wurden auf den Terrassen von Sanssouci jeden Sommer zahlreiche Orangenbäume aufgestellt. Die dazugehörigen großzügigen Orangerien wurden im Sommer für Konzertaufführungen und Empfänge benutzt.
Auch die Schlossanlagen in England und die großen Villen in den europäischen Städten hatten kleinere oder größere Wintergärten angebaut. In Nürnberg waren die Hesperidengärten für ihre Zitruspflanzen berühmt; heute sind nur noch die dazu gehörenden barocken Statuen erhalten, aber die Zitruspflanzen wurden 1708 von J. Chr. Volkamer beschrieben. Die Gärten haben ihren Namen von den goldenen Äpfeln der Hesperiden, und ein barocker Fürst fühlte sich ähnlich stark wie Herkules, wenn er sich mit einer stattlichen Sammlung von Zitrusbäumen umgab: August der Starke von Sachsen soll 6000 Zitrusbäume gesammelt haben.
Schaut man sich die Liste der Orangerien in Mitteleuropa an, wird schnell klar, dass nicht nur die bedeutenden Monarchen im 18. Jahrhundert eine Orangerie errichteten, sondern dass alle Duodez-Fürsten und unzählige Schlossbesitzer der Mode der Zeit ihren Tribut entrichteten und sich eine Sammlung von Zitrusbäumen zulegten. Großzügige Anlagen finden sich unter anderem in Bayreuth, in Darmstadt, in Schwetzingen, im Schloss Augustusburg in Brühl und in Wernigerode. Eindrücklich ist die große Limonaia, die 1848 im Park des Schlosses von Racconigi, einem der Landsitze der savoyardischen Dynastie im Piemont, gebaut wurde: ein enormes Glashaus nach englischem Vorbild.
Farbenfrohe Sammlungen
Die meisten Besitzer von Orangerien wurden dann auch von der Sammelleidenschaft gepackt und suchten viele Sorten zusammen. Erste systematische Sammlungen gab es in Sizilien und Südspanien. Eine frühe, sehr renommierte Sammlung war die der Medici, die durch die Bilder des Bartolomeo Bimbi ab 1699 überliefert ist. Im Florenz der Medici gab es auch eine Sammlung mit Zitrusfrüchten, die naturalistisch eingefärbt aus Wachs hergestellt wurden. Die Bilder Bimbis befinden sich heute in der Villa in Poggio a Caiano, die Sammlung im Landgut Castello. Sie hat während des Zweiten Weltkrieges sehr gelitten, ist aber wieder hergestellt worden. Etwa 1000 Töpfe säumen die Wege, darunter einige Exemplare, die gut 300 Jahre alt sind. Über eine beachtliche Sammlung –und das entsprechend geräumige Winterquartier – verfügen auch die Boboligärten beim Palazzo Pitti in Florenz.
Heutzutage finden wir eine weitere beachtliche Sammlung auf der Insel Mainau. Bereits 1855 hat der Großherzog von Baden, dem die Insel damals gehörte, 24 Orangenbäumchen erworben. In den letzten Jahrzehnten wurde die Sammlung unter der Gräfin Sonja von Bernadotte zusammen mit der Gärtnerei von Giuseppe Messina aus Sizilien systematisch ausgebaut. In den Gärten von Schönbrunn werden seit 1647 Zitruspflanzen kultiviert. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden 295 Bäume dazugekauft, heute ist die Sammlung auf 500 Pflanzen in zehn Arten und Sorten angewachsen.
Michael Ceron hat in seiner Gärtnerei am Faakersee in Kärnten 210 verschiedene Zitruspflanzen zu einer Art Zitrus-Museum vereint. Klassische Sammlungen finden sich auch in Menton beim Palais Carnole im Jardin Edouard Mazzola, im Garten von Val Rahmeh, in den Hanbury-Gärten zwischen Ventimiglia und Menton, oder in den Botanischen Gärten von Sevilla, Palermo und Neapel. Da die Produktion von Zitrusfrüchten heute von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung ist, haben amerikanische Wissenschaftler im Botanischen Garten von Kuala Lumpur viele Wildformen von Zitruspflanzen aus Asien gesammelt, die nun einen Genpool für die Zukunft bilden sollen.
Wer früher im eigenen Heim Zitronen halten wollte, musste sich auf den weiten Weg nach Süden begeben; dorthin, wo es Zitrusbäume gab. Wenn meine Frau und ich gen Frankreich oder Italien fuhren, saßen die Kinder auf dem Heimweg immer in einem Urwald von Grün auf der Rückbank des Wagens. Es war wohl der Duft der Zitrusblüten, der sie das einigermaßen ohne Trauma überleben lassen hat. Heute muss man nicht mehr so weit fahren, es wird alles auf den Pflanzenmärkten im eigenen Land angeboten. Jede Gärtnerei, jedes Gartencenter, das etwas auf sich hält, bietet heute eine Fülle von Sorten verschiedener Zitusfrüchte an.
war viele Jahre Redakteur der Neuen Zürcher Zeitung, früher mit Schwerpunkt Politik. Heute schreibt er vornehmlich über botanische und kulinarische Themen. 2017 erschien „Das kleine Buch der Zitruspflanzen“ (Elisabeth Sandmann Verlag).