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Debatte

Deutsche Sprache auf dem Rückzug – auch in der Corona-Krise

Debatte - Deutsche Sprache auf dem Rückzug – auch in der Corona-Krise
© Rotay Magazin

Corona verändert sogar unsere Sprache. Vor allem Anglizismen verbreiten sich ungehemmt.

27.05.2020

Im Augenblick kann man sehr gut beobachten, wie Anglizismen in Deutschland behandelt werden. Es läuft meistens nach diesem Schema ab: Aus dem Angelsächsischen (meist aus den USA) kommt etwas Neues - Sportart, wissenschaftliche Methode, Kleidermode, Haarstil, Krankheit, Kunstrichtung und mehr. Und diejenigen, die bei uns den Sprachgebrauch dominieren, übernehmen mit diesem Neuen sofort und unbedenklich die englische Bezeichnung. Als das Wandern mit Stöcken Mode wurde: Nordic Walking. Als die neue männliche Haarmode aufkam: Undercut. Als der Deutsche Buchpreis ins Leben gerufen wurde, verwendete man sofort die Wörter „Longlist“ und „Shortlist“, vielleicht auch deswegen, damit ein wenig Glanz vom renommierten englischen Booker Prize auf den Deutschen Buchpreis abstrahlen möge. Ganz selten wird ein Anglizismus noch nach Jahren wieder durch ein deutsches Wort verdrängt, zum Beispiel „Imbiss“ statt „Snack“.

Das Gros der Deutschen übernimmt die englische Bezeichnung umstandslos und gedankenlos. Viele tun es ganz offensichtlich auch, weil sie sich sprachlich nicht blamieren möchten. Sie wollen zeigen, dass sie wissen, wie die Sache optimal bezeichnet wird. In den Medien hört und liest man zunächst noch häufig das Wort „sogenannt“: Das Abstandhalten, das sogenannte „Social Distancing“, aber bald wird man „sogenannt“ weglassen und nur noch von „Social Distancing“ sprechen. Und es dauert vermutlich gar nicht lange, bis das Wort im Duden erscheint.

Die meisten Menschen verwenden seit eh und je Anglizismen, weil es die anderen auch tun. Die wenigen kritischen Stimmen etwa vom Verein Deutsche Sprache (VDS) nimmt die Mehrheit gar nicht zur Kenntnis. Wenn das Wort erst einmal einige Jahre lang benutzt worden ist, kann man es nicht mehr loswerden – wenn man es denn überhaupt loswerden möchte. Die meisten Menschen, vor allem auch die deutschen Sprachwissenschaftler und die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) sind mit unseren Anglisten offensichtlich ganz glücklich. Wir werden wohl immer „Laptop“ sagen statt „Klapprechner“.

Konsequenz: Je länger es dauert, desto hartnäckiger halten sich die Anglizismen. Man hat eigentlich nur eine Chance, ein deutsches Wort oder einen deutschen Ausdruck vorzuziehen, so lange der Gebrauch noch schwankt: E-Roller statt E-Scooter, soziales Netzwerk statt social network, soziale Medien statt social media, Nutzer statt User.

In Frankreich sieht man, dass die Dinge auch ganz anders verlaufen können. Dort sagt man zum Beispiel „télétravail“ und nicht „Homeoffice“. Natürlich sagt dort auch niemand „social distancing“, „E-Scooter“ oder „Home Schooling“.

Die jetzige Situation mit dem Coronavirus bietet ein besonders aufschlussreiches Beobachtungsfeld. Das ist auch einem Autor der NZZ aufgefallen.

Urs Bühler schrieb dort am 6. April: „Von Social Distancing bis Lockdown: Wann hat die deutsche Sprache die Fähigkeit eingebüßt, neue Phänomene selbst zu benennen? Wir halten jetzt diszipliniert Abstand – nur scheinen wir kaum mehr deutsche Begriffe dafür zu finden. Aber wer weiß schon so genau, was die frisch importierten bedeuten?

Nicht nur von Krankheitserregern sind wir zurzeit umzingelt, auch von Anglizismen: Homeoffice, Contact-Tracing, Lockdown, Home-Schooling. Sie grassieren ganz distanzlos, nämlich Hand in Hand mit den Coronaviren. Vor wenigen Wochen noch hätten wir das neudeutsche Wortpaar 'Social Distancing' für ein begriffliches Ungetüm gehalten, das sich ein paar soziopathische Nerds ausgedacht haben müssten. Inzwischen ist es in aller Munde, ob mit oder ohne Schutzmaske. Dabei ist es erst exakt einen Monat her, seit Bundesrat Alain Berset es am 4. März hierzulande erstmals öffentlich eingebracht hat.“

Ich kann der Liste noch folgende Beispiele hinzufügen: Tracing-App, Peak, Exit, Hotspot, Shutdown.

Und wo arbeitet das Pflegepersonal? Am Limit!

Wiard Raveling
(RC Westerstede)
war viele Jahre Fremdsprachenlehrer an einem Gymnasium. Heute ist er Autor und Publizist.