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Hoffmeisters Fundstücke

Die Aura von Weihnachten

Hoffmeisters Fundstücke - Die Aura von Weihnachten
© Jessine Hein/Illustratoren

Musikalischer Zauber und klangvolle Worte zur Adventszeit. Oder als Geschenkidee?

Martin Hoffmeister01.12.2023

Nichts verkörpert, spiegelt und trägt Adventszeit und Weihnachtsfest angemessener und nachdrücklicher als die Musik. Fern von Kitsch und kommerziellen Weihnachtsmarkt-Sounds vermitteln insbesondere die einschlägigen Vokal- und Instrumentalwerke aus Renaissance und Barock die Botschaft der Geburt Christi. Dem Zauber der Klänge folgt das Wort.

Britisches Traditionsbewusstsein äußert sich nicht allein in Teatime, Gurkensandwiches, Proms oder exzentrischer Volte. Großgeschrieben werden auch die jährlichen Weihnachtsrituale. Deren Höhepunkt bildet fraglos das „Festival of Nine Lessons and Carols“ aus dem ehrwürdigen King’s College in Cambridge. Vom BBC World Service live übertragen, erreicht das Ereignis nicht nur Millionen Zuschauer auf den britischen Inseln, sondern auch über die Kontinente hinweg. Als eindrückliche Melange aus Gottesdienst, Lesung und Konzert entspricht die Feier der Erwartung des Publikums nach Einkehr, Innehalten und einschlägigem Liederkanon. Vor mehr als 20 Jahren importierten zugewandte Dresdner das Ritual in die Loschwitzer Kirche im Stadtteil Laubegast, wo es seither als fester Bestandteil der Weihnachtsfestivitäten gilt. Als Spiritus Rector der insgesamt drei Gottesdienstkonzerte fungiert seit Jahren Dirigent Peter Kopp, an seiner Seite das renommierte Vocal Concert Dresden und Organist Hansjörg Albrecht.

2023, hoffmeister, Capella de la Torre: Capriccio pastorale,
© Deutsche Harmonia Mundi

Italienischem Weihnachtsrepertoire aus der Zeit um 1500 ist das jüngste Album der Capella de la Torre gewidmet. Seit Jahren bereits weiß das Ensemble um Leiterin und Oboistin Katharina Bäuml mit hochdekorierten Einspielungen von Renaissancemusik einzunehmen. Capriccio pastorale fokussiert jedoch nicht nur auf Kompositionen von bedeutenden italienischen Meistern wie Cazzati, Landini oder Frescobaldi, sondern nimmt auch Werke von Komponisten in den Blick, die in Italien gewirkt haben, wie Isaac oder Ciconia. Ob volkstümlich-schlicht, festlich, ausgelassen, tänzerisch oder liturgisch: Musik geistlicher und weltlicher Provenienz verschmilzt zu einem Tableau von solitärer Suggestivkraft.

Der Dichter und Kabarettist Joachim Ringelnatz stand zeitlebens für skurrile Texte, auch als Autor zahlloser Gedichte. Eine besondere Affinität zeigte er zum Thema Weihnachten, denn rund um das Fest mit seinen Erwartungen und Ritualen lässt sich trefflich das Zwischen-den-Zeilen aufladen – in alle Richtungen. So wird Behagliches in perfektem Reim nur zu oft gewendet ins Surreale, Bizarre, Merkwürdige, Überspannte, Tief- und Doppelsinnige. Hinter Frohsinn scheinen Melancholie, Trauer, Ernst und Einsamkeit auf. Vermeintliche Leichtigkeit und sprachliche Pointen transportieren humoristisch verpackte Attacke. Doch Ringelnatz nötigt seine Leser nicht, zweite und dritte Textebenen mitlesen zu müssen. Schauspieler Matthias Matschke begegnet dem Ringelnatz-Kosmos mit spielerischbeweglicher Reserve. Seine Vortragskunst folgt eher dem Puls der Worte als den Fallstricken punktgenauen Reims.

2023, hoffmeister,  menotti
© Naxos

Es müssen nicht immer Humperdincks Hänsel und Gretel oder Tschaikowskis Nussknacker-Ballett sein, wenn es darum geht, Kindern und Jugendlichen in der (Vor-)Weihnachtszeit die klassische Bühne näherzubringen. In den USA beispielsweise gilt seit 1951 Gian Carlo Menottis Familienoper „Amahl und die nächtlichen Besucher“ als Nonplusultra festlicher Einstimmung. Das Werk um den erkrankten Protagonisten Amahl und dessen besorgte Mutter vereint mit dramaturgischer Finesse sämtliche Zutaten für ein erfolgreiches Jugend-Bühnenstück: Herz, Schmerz, Magie, Übersinnliches und Allzumenschliches, zumal auch Engel und die (Heiligen) Drei Könige die Szenerie bevölkern, begleitet von eingängigen Musiktableaus. Im vergangenen Jahr brachte Stefan Herheim die Oper erfolgreich auf die Bühne des Theaters an der Wien. Jetzt liegt die Inszenierung auch als Film vor, eingefangen von Götz Filenius.


  1. Nine Lessons & Carols: Vocal Concert Dresden, Loschwitzer Kirche (Dresden), 26./27.12.23, vocalconcert.de, Konzerte
  2. Capella de la Torre: Capriccio pastorale, Katharina Bäuml, Deutsche Harmonia Mundi, CD
  3. Weihnachten mit Ringelnatz: Gedichte für die Feiertage, Matthias Matschke, Der Audio Verlag, Hörbuch
  4. Gian Carlo Menotti: Amahl und die nächtlichen Besucher, Wiener Symphoniker, Film, Naxos 2.110763, DVD 
Martin Hoffmeister

Martin Hoffmeister publiziert regelmäßig in nationalen und internationalen Magazinen und Zeitungen. Als Redakteur im Kulturressort des MDR-Hörfunk beobachtet er die Musik- und Literaturszene seit mittlerweile drei Jahrzehnten. Im Rotary Magazin empfiehlt er Neuerscheinungen aus dem Kulturleben und Fundstücke von seinen Reisen.

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