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Die Bedeutung der Heiligen Drei Könige für die Entstehung des Christentums

Die Berufung der Heiden

In turbulenten Zeiten, in denen der Orient hierzulande vor allem mit Ängsten und Sorgen verbunden wird, erinnert uns die biblische Geschichte von den Heiligen Drei Königen an die langen kulturellen, religiösen und auch ökonomischen Verbindungen zum Nahen und Mittleren Osten.

Robert Spaemann01.12.2015

Die Erzählung von den drei Sterndeutern aus dem Morgenland und das Fest Epiphanie, mit dem die Christenheit dieses Ereignis begeht, feierte die Berufung der Heiden, das heißt der Unbeschnittenen, der Nichtjuden, der „Völker“, zum Glauben an Jesus von Nazareth als Messias, als „Christus“, die Sprengung der Grenzen des auserwählten Volkes durch den Messias Jesus. Der Text beschreibt exemplarisch, wie eine solche Berufung geschieht. Da sind zunächst die Weisheitstraditionen der Völker, zum Beispiel der Konfuzianismus. Manche dieser Traditionen enthalten Zukunftsvisionen, in denen die gegenwärtigen Kulte abgelöst werden. So zum Beispiel haben die Iren die christlichen Missionare freundlich als lang erwartete Gäste begrüßt, weil die Druiden deren Ankunft angekündigt hatten. Die Traditionen haben oft auch astrologische Inhalte. Bestimmte Sternkonstellationen wurden verbunden mit prophetischer Deutung. Im Umkreis Israels mag die messianische Gestalt eines aus Israel kommenden Welterlösers lebendig gewesen sein, eingeführt durch jüdische Lehrer während der babylonischen Gefangenschaft der Juden. Das Auftauchen einer solchen Tradition führte die Weisen zum Aufbruch.

Salus ex Judaeis

Wohin? Nach Jerusalem. Salus ex Judaeis, das Heil kommt von den Juden. Der hellenistische Kulturraum bewegte sich auf den Ein-Gott-Glauben zu. Dass das Heil von dem Volk kommt, das den einen Gott als Schöpfer und Richter verehrt, scheint im Orient eine verbreitete Meinung zu sein. Das war der Sinn der „Auserwählung“: nicht Privilegien, sondern ein missionarischer Auftrag. Lumen ad revelationem gentium, Licht zur Erleuchtung der Völker. Das Volk Israel vergegenwärtigte diesen Glauben in seinem Kult und wusste sich mit diesem Gott in einem Bund. Aber schon das wichtigste Element der religiösen Praxis Israels, der Sabbat und die Sieben-Tage-Woche, war im römischen Reich lange vor der Christianisierung verbreitet. Die Juden trugen dieser Tatsache Rechnung durch den Status der sogenannten Gottesfürchtigen. Gottesfürchtige waren Verehrer des einen, wahren Gottes, die an seine Offenbarung glaubten und die Juden als das messianische Volk anerkannten, sich selbst aber nicht beschneiden ließen und dem Bundesvolk mit seiner Thora mit deren 350 Vorschriften nicht beitraten. In den Psalmen wird öfter nach dem Gebet für das Haus Israel für „alle, die den Herrn fürchten“, gebetet. Auch sie gehören, wie alle Menschen, dem Bund an, den Gott „mit allem, was atmet“, nach der Sintflut geschlossen hat.


Die Weisen also gehen nach Israel, und da sie keine andere Weisung haben, zum König in Jerusalem, um von ihm eine solche Weisung zu erhalten. Wo sollen die Weisen hingehen, um den Messias-König zu finden und ihm ihre Aufwartung zu machen? Die heiligen Bücher befinden sich bei den Schriftgelehrten Israels. Bei ihnen muss angefragt werden nach dem Geburtsort des Messias. Was ist die Botschaft dieses Schrittes? Die heidnische Weisheit – auch die Astrologie – ist in den Augen der Christen nicht dadurch hinreichend gekennzeichnet, dass sie „Irrlehre“ ist. Sie ist vielmehr Etappe auf dem Weg zur Verehrung des einen, wahren Gottes. Aber diese Schritte münden in die Bereitschaft zur gläubigen Annahme der Selbstoffenbarung dieses einen Gottes. An dem Kreuz des menschgewordenen Gottes wurde, wie Paulus schreibt, die Trennwand zwischen Juden und Heiden niedergerissen. Die Berufung in seine Gemeinde bedeutet den Schritt zum religiösen Universalismus, während das Judentum immer in der Mitte schwebt zwischen Universalismus und Partikularismus. Das Judentum betrachtet die Ankunft des universalen Reiches Gottes als endzeitliches Ereignis. Bis dahin behauptet das eschatologische Gottesvolk seine dieses Ereignis vorbereitende partikulare Identität. Christus, die Apostel und die apostolische Gemeinde dagegen sehen das Gottesreich bereits angebrochen in der Botschaft und in der Person Jesu von Nazareth. In der Osternacht bittet die alte Kirche Gott, es möge „die Fülle der ganzen Welt zur Kindschaft Abrahams und zur Würde Israels eingehen“. Das frühe Judentum war von dieser Schleuderkonkurrenz naturgemäß nicht begeistert. Hier wurde eine Gotteskindschaft angeboten ohne Beschneidung und mosaisches Gesetz.


In den mittelalterlichen Darstellungen der drei zu Königen beförderten Weisen findet sich immer auch ein Neger. Im Kölner Dreikönigsgymnasium hatte die Malerin Helen Wiehen ein Fresko gemalt mit den drei Königen. Als die Nazis an die Macht kamen, verlangten sie, dass die Malerin den weißen Diener und Schleppenträger des schwarzen Königs einschwärzen müsse. Die Malerin hat daraufhin das ganze Fresko übermalt.

Suche nach dem Messias-König

An wen wenden sich die Weisen, um den Aufenthalt des Messias-Königs ausfindig zu machen? An die Bibelkundigen Israels, an die „Bibelkommission“. Die Weisheit der heidnischen Weisen führt an die Schwelle des universalen Gottesreiches, aber nicht hinein. Gottes Selbstoffenbarung kann nicht von Menschen inszeniert werden. Und in der Tat, die Weisen haben die richtige Adresse gefunden. Dass der Messias in Bethlehem geboren wird, haben die Theologen Jerusalems rasch herausgefunden. Es steht beim Propheten Micha. Die Gelehrten und der König geben bereitwillig Auskunft, aber sie selbst fühlen sich nicht bemüßigt, nach Bethlehem zu pilgern. Jesus wird von ihnen sagen: „Sie sitzen auf dem Stuhl des Moses. Alles, was sie sagen, befolgt, aber folgt nicht dem, was sie tun.“ Herodes, der Politiker, hat die Brisanz der Nachricht von der Geburt des Messias-Königs gut verstanden, aber doch auch missverstanden. Der Vesperhymnus zum Epiphaniefest redet den „grausamen Herodes“ an, er brauche sich nicht ängstigen. Non eripit mortalia, qui regna dat caelestia: Irdische Reiche entreißt der nicht, der himmlische Reiche zu vergeben hat. Die Erschütterung durch die Ankunft Christi stellt den Totalitätsanspruch der ganzen politischen Sphäre in Frage. Darum sind die Christen die am meisten verfolgte Minderheit auf der Welt, obgleich sie in der Regel loyale Bürger und reserviert sind gegenüber gewaltsamen Revolutionen.


Die Weisen glauben der biblischen Botschaft, und in Bethlehem angekommen, erscheint ihnen unterdessen der Stern wieder, der in der Zwischenzeit eine Weile verschwunden war. Aber nun sehen sie das gesuchte Kind. Sie können, um Wittgensteins Metapher zu bemühen, die Leiter beiseite tun, auf der sie hinaufgestiegen sind. Der Weg zurück nach Jerusalem, wo sie erwartet werden, würde sie ins offene Messer laufen lassen. Aber da hinein wird Jesus selbst später laufen, wenn „seine Stunde gekommen ist“. Die Flucht der Weisen löst aber den kleinen Genozid an den Kindern der Stadt Bethlehem durch die böse Macht aus. So kehren sie, von Engeln begleitet, „auf einem anderen Weg“ in ihre Heimat zurück.


Das Heil kommt von den Juden. Aber auf dem Apostelkonzil in Jerusalem entscheidet sich die junge Kirche definitiv gegen ein Selbstverständnis als jüdische Sekte, indem sie darauf verzichtet, von ihren Täuflingen die vorherige Beschneidung und die Befolgung der mosaischen Ritualgesetze zu verlangen. Die zehn Gebote, die mit dem natürlichen Sittengesetz identisch sind, genügen. Wohl aber muss die ecclesia ex gentibus, die Kirche aus den Heiden, lernen, die Vorgeschichte zu verinnerlichen, die sie mit den Juden gemeinsam hat, sie aber, dem Beispiel Jesu folgend, mit einer christlichen Hermeneutik als das Realsymbol einer endzeitlichen Zukunft zu lesen. Hinweg und Rückweg der heiligen drei Könige bieten sich für die gleiche Hermeneutik an. So gelesen werden sie auch zu einem Schlüssel für das Phänomen der Filiation von Religionen. Aber das ist eine andere Geschichte. 

Robert Spaemann
Prof. Dr. Robert Spaemann war bis zu seiner Emeritierung 1992 ordentlicher Professor für Philosophie an den Universitäten Stuttgart, Heidelberg und München. Zu seinen Schriften gehören u.a. „Das unsterbliche Gerücht. Die Frage nach Gott und die Täuschung der Moderne“ (Klett Cotta 2005) und „Der letzte Gottesbeweis“ (Pattloch 2007). www.klett-cotta.de