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Forum - Dresden: Bühne frei

Die Dresdner Operetten-Rettung

Die Eröffnung der Staatsoperette Dresden ist ein starkes Bekenntnis zum Theater – und ein Stück Rehabilitierung für eine lange verpönte Kunstform

Boris Gruhl01.01.2017

Nicht die Operette ist aus der Zeit gefallen, nein! Das Zeit­ge­schehen ist zu einer Karikatur geworden! Die Operette entführte uns einst in surreale Wunderbarkei­ten, verhalf uns zu heiterer Aus­schweifung, zu Erleichterung durch Selbstironie, hielt uns den Spiegel vor und das, was wir da sahen, war komisch, aber gutmütig komisch.“ So Lajos Talamonti von der Perfor­mancegruppe Interrobang vor einem Jahr auf einem Symposium in der Komischen Oper Berlin zum Thema „Kunst der Oberfläche – Operette zwischen Bravour und Banalität“. Schon das Motto dieser Tagung an jenem Musiktheater Berlins, an dem gerade das so oft verkannte, totgesagte oder hochmütig und verächtlich be­lächelte Genre wahre Triumphe feiert, bringt genau das zum Ausdruck, was die Kraft jener Kunst der gutmütigen Komik ausmacht.

Scheinbare Leichtigkeit des Seins

Es geht um die Kunst dieser in Wahrheit nur scheinbaren Leichtigkeit des Seins auf jener brüchigen Oberfläche und darum, den Gefahren und Verunsicherungen jener existenziellen Untiefen, die darunter lauern, mit bravourösem Widerstand zu begegnen.

Welche Lebenskraft „das Augenzwinkern der Operette – trotz alledem“, so Verena Unbehaun in ihrem Plädoyer im Eingangs angesprochenen Symposium, haben kann, weiß ein Mann wie ­Wolfgang Schaller, seit 2003 Intendant der Staats­operette Dresden.

Einst gab es mit dem Residenztheater, dem Zentraltheater und dem Albertthe­ater drei große Bühnen im Zentrum der Stadt, wo Menschen gerne am Abend über genau jene Dinge lachten, die sie am Tage verunsicherten und beängstigten.

Große Tradition des Musiktheaters

Als 1945 die Stadt zerstört wurde, waren in allen Theatern die letzten Vorhänge längst gefallen. Aber schon bald, zunächst in Ausweich- und Interimsspielstätten, gingen sie wieder hoch. Die Menschen kamen, sie brauchten das Theater, die Musik, den Tanz, die emotionale Berührung und auch die Operette mit ihrem besonderen Blick auf die Realität und mit ihrem heiteren Ausblick, der über diese Realitäten des Alltags, wenigstens für den Augenblick, hinausführt. 1947 wurde im Stadtteil Leuben das Operettentheater eröffnet, wel­che Ironie, zwei Jahre nach Ende des Krieges, aus dem unzählige Männer nicht zurückkehrten, mit Franz Lehárs Operette „Die Lustige Witwe“.

Schon 20 Jahre später gab es erste Überlegungen zu einem Neubau für die Staats­operette Dresden, wie das Theater inzwischen hieß, das sich mit seinem immer weiter gefächerten Spielplan, das Musical kam dazu, einen Namen über Dresden hinaus machte. Pläne gab es, realisiert wurden sie nicht. Die Bedingungen, unter denen in Leuben fast täglich vor ausverkauftem Haus gespielt wurde, verschlechterten sich im maroden und immer nur aufs Nötigste saniertem Interimstheater zusehends.

Schon Wolfgang Schallers Vorgänger Fritz Wendrich setzte sich mit Nachdruck für den Erhalt und vor allem für ein angemessenes Quartier des nunmehr in seiner Art einzigen Theaters in Deutschland ein. Trotz positiver Signale seitens des damaligen Dresdner Oberbürgermeisters Ingolf Roßberg, der als bekennender Freund des Genres das Thema sogar im Wahlkampf nutzte und davon sprach, die Operette „als Highlight unserer Kulturlandschaft und Wirtschaftsfaktor“ zu erhalten und sogar ins Zentrum der Stadt zu holen, positive Entscheidungen gab es nicht.

Da griff der Oberbürgermeister zu ­einem regelrechten Operettentrick. Mit dem Kul­turbürgermeister ließ er im Oktober 2002 die Schließung der Staatsoperette ankün­di­gen. Diese „kalkulierte Provokation“ ­hat­­te ihre Wirkung. Dresdner Musiker aller Or­ches­ter bliesen in einer Protest­aktion – wieder richtige Operette – den Kommunalpolitikern den Marsch, 107.000 Unterschriften für den Erhalt, für einen Neubau, erreichten das Rathaus.

Mit Beginn der Spielzeit 2003/2004 nahm Wolfgang Schaller als Intendant mit dem gesamten Team der Staatsoperette jede Möglichkeit wahr, den Start für den Weg zu ermöglichen, der die Operette in Dresden genau dahin führen würde, wo sie hin gehört, ins Zentrum der Stadt.

Eine unsinnige Variante, dieses ­Theater mit seinem speziellen und inzwischen stark durch Musical und Spieloper erweiterten Genre mit dem Staatsschauspiel zu fusionieren, war schnell vom Tisch. Bald war man sich einig, es gibt einen Neubau, die Baugrube war schon ausgehoben, am Wiener Platz, im Stadtzentrum, nahe dem Hauptbahnhof.

Daraus wurde nichts, das „Wiener Loch“, wie die Dresdner spöttelten, blieb offen, und wie viel Geld darin verschwunden ist, bevor hier endlich ein Wohn- und Einkaufs­zentrum entstand, auch.

Manchmal führen Irrwege doch zum Ziel. Als klar war, die neue Staatsoperette wird im historischen Kraftwerk Mitte, gemeinsam mit dem tjg. theater junge gene­ration, ihren angemessenen Platz finden, da mögen nicht wenige Menschen gedacht haben, dass es ja gar keinen besseren Standort und vor allem keine bessere Lösung geben könne: Ein Kulturkraftwerk mitten in der Stadt. Doch dann wieder Rückschläge, Verzögerungen, Ungewissheiten.

Boris Gruhl
Boris Gruhl arbeitet als Kulturjournalist in den Bereichen Ballett, Tanz und Musiktheater für Rundfunk, Tagespresse und diverse Fachmagzine. 2013 erschien „Von Adam bis Zobel. Ein Wagnersänger-Alphabet“ (Verlag der Kunstagentur Dresden). musik-in-dresden.de