Nicht die Operette ist aus der Zeit gefallen, nein! Das Zeitgeschehen ist zu einer Karikatur geworden! Die Operette entführte uns einst in surreale Wunderbarkeiten, verhalf uns zu heiterer Ausschweifung, zu Erleichterung durch Selbstironie, hielt uns den Spiegel vor und das, was wir da sahen, war komisch, aber gutmütig komisch.“ So Lajos Talamonti von der Performancegruppe Interrobang vor einem Jahr auf einem Symposium in der Komischen Oper Berlin zum Thema „Kunst der Oberfläche – Operette zwischen Bravour und Banalität“. Schon das Motto dieser Tagung an jenem Musiktheater Berlins, an dem gerade das so oft verkannte, totgesagte oder hochmütig und verächtlich belächelte Genre wahre Triumphe feiert, bringt genau das zum Ausdruck, was die Kraft jener Kunst der gutmütigen Komik ausmacht.
Scheinbare Leichtigkeit des Seins
Es geht um die Kunst dieser in Wahrheit nur scheinbaren Leichtigkeit des Seins auf jener brüchigen Oberfläche und darum, den Gefahren und Verunsicherungen jener existenziellen Untiefen, die darunter lauern, mit bravourösem Widerstand zu begegnen.
Welche Lebenskraft „das Augenzwinkern der Operette – trotz alledem“, so Verena Unbehaun in ihrem Plädoyer im Eingangs angesprochenen Symposium, haben kann, weiß ein Mann wie Wolfgang Schaller, seit 2003 Intendant der Staatsoperette Dresden.
Einst gab es mit dem Residenztheater, dem Zentraltheater und dem Alberttheater drei große Bühnen im Zentrum der Stadt, wo Menschen gerne am Abend über genau jene Dinge lachten, die sie am Tage verunsicherten und beängstigten.
Große Tradition des Musiktheaters
Als 1945 die Stadt zerstört wurde, waren in allen Theatern die letzten Vorhänge längst gefallen. Aber schon bald, zunächst in Ausweich- und Interimsspielstätten, gingen sie wieder hoch. Die Menschen kamen, sie brauchten das Theater, die Musik, den Tanz, die emotionale Berührung und auch die Operette mit ihrem besonderen Blick auf die Realität und mit ihrem heiteren Ausblick, der über diese Realitäten des Alltags, wenigstens für den Augenblick, hinausführt. 1947 wurde im Stadtteil Leuben das Operettentheater eröffnet, welche Ironie, zwei Jahre nach Ende des Krieges, aus dem unzählige Männer nicht zurückkehrten, mit Franz Lehárs Operette „Die Lustige Witwe“.
Schon 20 Jahre später gab es erste Überlegungen zu einem Neubau für die Staatsoperette Dresden, wie das Theater inzwischen hieß, das sich mit seinem immer weiter gefächerten Spielplan, das Musical kam dazu, einen Namen über Dresden hinaus machte. Pläne gab es, realisiert wurden sie nicht. Die Bedingungen, unter denen in Leuben fast täglich vor ausverkauftem Haus gespielt wurde, verschlechterten sich im maroden und immer nur aufs Nötigste saniertem Interimstheater zusehends.
Schon Wolfgang Schallers Vorgänger Fritz Wendrich setzte sich mit Nachdruck für den Erhalt und vor allem für ein angemessenes Quartier des nunmehr in seiner Art einzigen Theaters in Deutschland ein. Trotz positiver Signale seitens des damaligen Dresdner Oberbürgermeisters Ingolf Roßberg, der als bekennender Freund des Genres das Thema sogar im Wahlkampf nutzte und davon sprach, die Operette „als Highlight unserer Kulturlandschaft und Wirtschaftsfaktor“ zu erhalten und sogar ins Zentrum der Stadt zu holen, positive Entscheidungen gab es nicht.
Da griff der Oberbürgermeister zu einem regelrechten Operettentrick. Mit dem Kulturbürgermeister ließ er im Oktober 2002 die Schließung der Staatsoperette ankündigen. Diese „kalkulierte Provokation“ hatte ihre Wirkung. Dresdner Musiker aller Orchester bliesen in einer Protestaktion – wieder richtige Operette – den Kommunalpolitikern den Marsch, 107.000 Unterschriften für den Erhalt, für einen Neubau, erreichten das Rathaus.
Mit Beginn der Spielzeit 2003/2004 nahm Wolfgang Schaller als Intendant mit dem gesamten Team der Staatsoperette jede Möglichkeit wahr, den Start für den Weg zu ermöglichen, der die Operette in Dresden genau dahin führen würde, wo sie hin gehört, ins Zentrum der Stadt.
Eine unsinnige Variante, dieses Theater mit seinem speziellen und inzwischen stark durch Musical und Spieloper erweiterten Genre mit dem Staatsschauspiel zu fusionieren, war schnell vom Tisch. Bald war man sich einig, es gibt einen Neubau, die Baugrube war schon ausgehoben, am Wiener Platz, im Stadtzentrum, nahe dem Hauptbahnhof.
Daraus wurde nichts, das „Wiener Loch“, wie die Dresdner spöttelten, blieb offen, und wie viel Geld darin verschwunden ist, bevor hier endlich ein Wohn- und Einkaufszentrum entstand, auch.
Manchmal führen Irrwege doch zum Ziel. Als klar war, die neue Staatsoperette wird im historischen Kraftwerk Mitte, gemeinsam mit dem tjg. theater junge generation, ihren angemessenen Platz finden, da mögen nicht wenige Menschen gedacht haben, dass es ja gar keinen besseren Standort und vor allem keine bessere Lösung geben könne: Ein Kulturkraftwerk mitten in der Stadt. Doch dann wieder Rückschläge, Verzögerungen, Ungewissheiten.
Verzicht der Belegschaft
An verbaler Zustimmung seitens der Kandidatinnen und Kandidaten im Vorfeld der Wahl des Oberbürgermeisters 2008 fehlte es nicht. Und Helma Orosz, die dann in dieses Amt gewählt wurde, ging mit einer von ihr vorangetriebenen Spendenaktion voran. Vor allem aber die gesamte Belegschaft der Staatsoperette, vertreten durch den Personalrat und seinen Vorsitzenden Martin Liebe, einigte sich mit dem Stadtrat auf eine bislang so noch nie und nirgends bekannte Offensive für den Erhalt und den Neubau ihres Theaters. Für zwölf Jahre wolle man von 2009 an in einer Regelung durch einen speziellen Haustarifvertrag auf acht Prozent des Einkommens monatlich verzichten, Erhalt und Neubau vorausgesetzt, bis 2021.
Als dann 2011, nachdem auch die nur schwer nachvollziehbare Idee, eine Betreibergesellschaft zu installieren und somit vor allem die künstlerische Eigenständigkeit der Staatsoperette in Frage zu stellen, vom Tisch war, der Haushaltsentwurf für 2009/2010 aber noch immer keinen Cent für das Vorhaben auswies, gab es endlich doch mit der Bereitstellung von 96 Millionen Euro für veranschlagte Baukosten im Juli 2011 grünes Licht.
Man entschied sich für den Entwurf des Architekten Jörg Friedrich aus Hamburg, der es vermochte, den Vorgaben des Denkmalschutzes gerecht zu werden und dennoch ein modernes Theater mit allen Ansprüchen für die unterschiedlichen Genres in so bestechenden wie überzeugenden, vor allem ästhetischen Korrespondenzen, zu den Vorgaben der historischen Industrierachitektur zu realisieren.
Walzer und Can-Can
Und was kaum zu glauben ist, man blieb im Zeitplan, im Dezember 2016 konnten beide Theater wie geplant eröffnet werden. Man blieb mit letztlich rund 100 Millionen Euro für beide Theater sogar im veranschlagten Finanzplan. Geht man davon aus, dass somit rund 50 Millionen Euro für die Staatsoperette zu Buche schlagen, dann sollte nicht vergessen werden, dass seitens des Ensembles mit 13 Millionen Euro durch den vereinbarten Gehaltsverzicht, eine stolze Eigenbeteiligung von rund 25 Prozent in die Gesamtfinanzierung einfließt. Ein Operettenwunder? Auf jeden Fall, vor allem wenn man bedenkt, dass im Leubener Interimsqaurtier ein so enormes wie künstlerisch überzeugendes Repertoire erarbeitet wurde, bis dann nach einer fulminanten Aufführung des Kultmusicals „The Rocky Horror Picture Show“ endgültig der letzte Vorhang fiel.
Im neuen Operettenkraftwerk gab es zur Eröffnung weder Wiener Walzerseeligkeit noch schwelgerische Sentimentalitäten a là Franz Lehár. Es ging gleich im höllischen, mitreißenden Can-Can ab in die Unterwelt. Jaques Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“ fügt sich wie kaum ein anderes Werk in dieses Theater mit der glutroten Architektur der Wände.
Fünf Tage nach der Eröffnung am 17. Dezember, und damit wird wieder das Anliegen des Intendanten Wolfgang Schaller hervorgehoben, feierte das so gut wie unbekannte Werk eines weltbekannten Komponisten seine erste Premiere in Dresden: „Wonderful Town“ von Leonhard Bernstein. Wolfgang Schaller lädt auch im weiteren Verlauf der ersten Spielzeit das Publikum ein, auf Entdeckungsreisen zu gehen, wenn im Juni erstmals in Dresden die Tango-Operette „María de Buenos Aires“ von Astor Piazolla zu erleben ist. Das neue Theater macht es möglich, die Zuschauer werden einbezogen in das Bühnenbild, sie werden Gäste sein und können hautnah die Atmosphäre und den Charme dieses außergewöhnlichen Tanzes miterleben.
Erlebnisse der besonderen Art versprechen 13 Gala-Konzerte. Da werden Stars der internationalen Opernszene wie René Pape oder Camilla Nylund ganz ungeniert einmal „fremd gehen“. Längst ist es gar nicht mehr fremd, wenn in der Staatsoperette auch Oper gespielt wird. In der Eröffnungssaison gibt es Mozarts „Die Hochzeit des Figaro“, in deutscher Sprache, Regie führt Axel Köhler. Mit Okarina Peter und Timo Dentler konnte erstmals dieses geniale Ausstatterduo für die Staatsoperette gewonnen werden.
Doch bei aller Freude lag es Wolfgang Schaller immer daran, nicht zuletzt mit der von ihm 2005 realisierten Tagung „Operette unterm Hakenkreuz“, auf die dunklen Seiten des Missbrauchs dieser Kunst hinzuweisen, und vor allem darauf, dass es ja vornehmlich jüdische Künstler waren, deren Werke von den Nazis verboten wurden und die daher zum Teil noch immer vergessen sind und auf ihre Wiederentdeckung warten. Im Juni präsentiert in diesem Kontext Götz Alsmann im Konzert „Bin nur ein Jonny. Das nicht geschriebene deutsche Musical“ eben solche zu Unrecht vergessenen Kostbarkeiten vor allem jüdischer Komponisten.
Rehabilitation verfemter Kunst
Auch Dagmar Manzel kommt zurück nach Dresden, wo ihre Karriere als Schauspielerin begann. Sie singt Lieder von Friedrich Holländer, „Menschenskind“, und präsentiert gemeinsam mit Max Hopp in 20 verschiedenen Rollen Barry Kowskys Erfolgsinzenierung an der Berliner Komischen Oper, „Eine Frau, die weiß, was sie will“ von Oscar Straus.
Die Choreografin Silvana Schröder holte wiederum die DDR-Kultband Keimzeit ins Ballett, Wolfgang Schaller holt diese außergewöhnliche Produktion der Tänzerinnen und Tänzer des Thüringer Staatsballetts mit der Band Keimzeit in die Staatsoperette.
Diese Auswahl weckt Neugier auf das Konzept der künftigen Ausrichtung dieses Musiktheaters im Zentrum von Dresden. Im Hinblick auf die Oper prägte Alexander Kluge den Begriff vom „Kraftwerk der Gefühle“, warum sollte er nicht auch für die Operette im Dresdner Kraftwerk Mitte gelten; mit Augenzwinkern, ganz klar, denn hier geht es ja nicht zuletzt auch um „das Durchsingen aller möglichen Katastrophen“, um noch einmal das Plädoyer für die Zukunft des Genres von Verena Unbehaun zu zitieren. Sie bringt es auf den Punkt: „Ohne meine tägliche Dosis Operette kann ich den Wahnsinn des Alltags überhaupt nicht überleben.“