Titelthema
"Die Rose verwelkt, der Drache schrumpelt"

Wer sich ein Tattoo stechen lassen möchte, sollte sich darüber im Klaren sein, was er seinem Körper zumutet, sagt die Dermatologin Yael Adler. Ein Gespräch über giftige Farben, Schmerzen und Jugendsünden
Frau Dr. Adler, Tätowierungen sind zu einem Massenphänomen unserer Zeit geworden. Wie erklären Sie sich diesen Trend, was steckt dahinter?
Tattoos sind heute ein Ausdruck von Individualität, Zugehörigkeit oder auch einfach ein modisches Accessoire – man möchte seinen Körper schmücken. Früher hatten sie eher einen subkulturellen Beigeschmack, in Japan werden sie mit der Mafia in Verbindung gebracht und sind bis heute in öffentlichen Bädern nicht erwünscht. Heute tragen sie Menschen aus allen Gesellschaftsschichten. Viele meiner Patienten erzählen, dass ein Tattoo für sie eine Erinnerung ist, ein Symbol für einen Lebensabschnitt, einen nahestehenden Menschen oder ein persönliches Statement. Oft steckt also eine sehr emotionale Geschichte dahinter. Allerdings höre ich täglich auch den Begriff "Jugendsünde" – spätestens dann, wenn ich es weglasern soll.
Beim Tätowieren wird Tinte mit Nadeln unter die Haut gestochen. Welche Auswirkungen haben die Chemikalien auf die Zellsysteme der Haut?
Die Pigmente werden in die Lederhaut eingebracht – die eigentlich schützende Hautbarriere wird also durchstochen. Das löst eine Entzündungs- und Abwehrreaktion aus, Fresszellen nehmen die Partikel auf. Ein Teil wandert über die Lymphbahnen ab. Die Farben enthalten oft Schwermetalle oder aromatische Amine, die gesundheitsschädlich sein können. Sie können Allergien, Entzündungen oder Knoten verursachen. Über die langfristigen Auswirkungen wissen wir noch nicht alles. Ich sehe regelmäßig, dass Pigmente in Lymphknoten abgelagert werden; natürlich gelangen sie auch in den ganzen Körper – mit unklaren toxikologischen Effekten. Autoimmunerkrankungen und Krebsrisiken werden diskutiert, aber bislang nicht abschließend bewiesen, weil viele andere Lebensstilfaktoren mit hineinspielen. Tatsache ist: Für Tattoo-Farben gibt es keine Sicherheitsstudien wie für Arzneimittel. Diese werden über Leber und Niere entgiftet, Tattoo-Pigmente verbleiben dagegen langfristig im Körper. Ich habe Hautkrebs in Tattoos gesehen, sehe übertätowierte Leberflecken, die bei der Hautkrebsvorsorge kaum noch beurteilbar sind, aber auch Autoimmunprozesse, Infektionen, Schübe einer Psoriasis, Nesselsucht, Eiter, übermäßige Sonnenempfindlichkeit, gestörtes Schwitzen oder Vernarbungen.
Warum sind so viele Menschen bereit, die Schmerzen und den Stress zu erleiden? Ist das Erlebnis beziehungsweise die Überzeugung umso größer, wenn der Schmerz ausgehalten wurde?
Der Schmerz gehört für viele zum Ritual dazu – er intensiviert die Erinnerung und macht das Tattoo "wertvoller". Manche empfinden ihn als Reinigung, persönliches Initiationsritual oder Beweis für ihre Stärke. Andere sehen es als notwendiges Übel, das man aushalten muss, weil man das Ergebnis unbedingt will.
Die meisten Menschen lassen sich ein Tattoo für die Ewigkeit stechen, aber als Dermatologin wissen Sie: Nichts ist für immer. Aus welchen Gründen kommen Menschen zu Ihnen, um sich Tattoos entfernen zu lassen?
Es gibt viele Gründe: der Name einer ehemaligen Liebe, Jugendsünden, unprofessionell gestochene Tattoos ("der geplante Schmetterling sieht eher wie eine Monster-Spinne aus"), schlechte Qualität oder schlicht veränderte Lebensumstände. Auch die Mode spielt eine Rolle – das "Arschgeweih" ist ein eindeutiges Zeitzeugnis der 1990er. Manchmal stören Tattoos auch beruflich oder passen nicht mehr zum Selbstbild.
Welche Arten von Tattoos entfernen Sie am häufigsten?
Sehr häufig Schriftzüge, Sterne, Totenköpfe, Tribal-Tattoos und schlecht gestochene bunte Motive. Auch misslungenes Permanent-Make-up: falsch verlaufene Augenbrauen oder zu breite oder asymmetrische Lidstriche. Diese enthalten oft Eisenpartikel – beim Lasern können sie plötzlich grün werden, sogar die Lymphgefäße können dann grünlich durchschimmern. Mit moderner Lasertechnologie versuchen wir, alle Farben, Formen und Farbdichten zu erfassen. Namen werden übrigens besonders oft entfernt – der absolute Klassiker.
Wie funktioniert die Tattoo-Entfernung und wie lange dauert es, bis davon nichts mehr zu sehen ist?
Mit speziellen Lasern unterschiedlicher Wellen- und Impulslängen werden die Farbpigmente erhitzt und zersprengt, so dass sie in winzige Partikel zertrümmert werden, die das Immunsystem nach und nach abräumt. Ein Teil wird sogar direkt über die Haut "ausgestoßen". Je nach Farbe, Größe, Tiefe, Dichte und Qualität können sechs bis zwölf Sitzungen oder mehr nötig sein – jeweils im Abstand von mehreren Wochen. Ganz weg geht ein Tattoo aber nicht immer, manchmal bleiben Schatten oder Farbreste. Manche entscheiden sich dann, es zu überstechen. Am besten lässt sich die Farbe Schwarz entfernen – sie ist auch vergleichsweise wenig toxisch. Bunte Farben sind dagegen oft problematischer. Deshalb hat die EU-Kommission im Rahmen der REACH-Verordnung seit Januar 2022 über 4000 gefährliche Chemikalien in Tätowierfarben und Permanent-Make-up verboten, darunter Schwermetalle, Konservierungsstoffe und bestimmte Azofarbstoffe. Seit Januar 2023 sind zudem die häufig verwendeten Pigmente Blau 15:3 und Grün 7 verboten, weil sie im Verdacht stehen, krebserregend oder erbgutverändernd zu sein.
Das bedeutet allerdings nicht automatisch, dass die nachfolgenden Ersatzfarben unbedenklich sind – sie sind nur 'REACH-konform', also innerhalb der gesetzlichen Vorgaben. Eine umfassende toxikologische Prüfung wie bei Medikamenten gibt es für Tattoo-Farben bislang nicht. Die langfristigen Folgen sind daher weiter unklar.
An welchen Körperstellen ist das Lasern besonders schmerzhaft und was kann man gegen die Schmerzen tun?
Besonders empfindlich sind Stellen mit wenig Unterhautfett – Knöchel, Hände, Rippen. Wir arbeiten mit Kühlung und lokal betäubenden Cremes, um den Schmerz erträglicher zu machen.
Ist die Haut danach wieder so unbelastet wie vor dem Stechen des Tattoos?
Meist sieht sie hinterher erstaunlich normal und gesund aus – aber das kann man vorher nicht garantieren. Es können Narben oder Pigmentstörungen bleiben, manchmal ein leichter Schatten.
Sind es gerade junge Menschen, die ihre Tätowierungen bereuen?
Ja, oft junge Erwachsene, die sehr früh ein Tattoo wollten und später feststellen, dass es nicht mehr passt. Aber auch Menschen mittleren Alters kommen, wenn sich Lebensstil, Partnerschaft oder Beruf ändern. Auch wenn "die Rose verwelkt oder der Drache schrumpelt". Tattoos sind eben ein Stück Biografie – und manchmal möchte man alte Kapitel loslassen.
Wie sicher sind Tattoo-Studios?
Nicht alle Studios arbeiten seriös – es ist kein geschützter Beruf. Beim Tätowieren wird eine Körperverletzung begangen. Immer wieder kommen verbotene Farben aus Nicht-EU-Ländern zum Einsatz. Werden Hygieneregeln missachtet, können Infektionskrankheiten wie HIV, Hepatitis, Tuberkulose oder Syphilis übertragen werden.

Haben Sie selbst eine besondere Erfahrung beim Entfernen gemacht?
Ja, mir ist beim Lasern schon einmal ein glühender Metallball aus einem Tattoo entgegengeflogen – der landete schmerzhaft heiß in meinem Dekolleté, bevor er zu Boden fiel. Nicht lustig! Außerdem wissen wir, dass sich beim Lasern Pigmente chemisch verändern können – sie werden teils sogar giftiger, sowohl in der Haut als auch im Rauch, der beim Lasern entsteht. Darum saugen wir diesen immer gründlich ab. Für mich ist das ein Widerspruch: Dinkelkekse essen, Angst vor chemischen Filtern in Sonnencremes haben, sich dann aber Tattoofarben einbringen lassen. Jedenfalls bitte ich jeden, der mit dem Gedanken spielt: "Think, before you ink!"
