Buch der Woche
«Die Völkerschlacht bei Leipzig»
Die Völkerschlacht bei Leipzig war mehr als Sieg oder Niederlage. Sie markiert den Beginn einer europäischen Evolution, die 100 Jahre andauern sollte und ein eigenes Zeitalter markiert. In diesem Buch der Woche blickt Gerd Fesser zurück und erzählt nach, wie es am 16. Oktober vor 200 Jahren war, als der größte Teil von Napoleons Truppen bei Leipzig zur Stelle war.
17. Oktober 1813 – Tag 2 der Völkerschlacht
Der 17. Oktober 1813 war ein Sonntag, und es regnete den ganzen Tag über. Viele verwundete Soldaten der napoleonischen Armee hatten die Nacht auf dem Straßenpflaster Leipzigs verbringen müssen – ohne Stroh und Decken, ohne Nahrung und Versorgung ihrer Wunden.
Napoleon wußte, daß auf Seiten der Verbündeten große Verstärkungen unterwegs waren. Eigentlich gab es für ihn nur eine Lösung: sofort den Rückzug anzutreten. Das hätte freilich bedeutet, die Besatzungen der belagerten Festungen ihrem Schicksal zu überlassen. Und es hätte die Fürsten des Rheinbunds ermutigt, die Seite zu wechseln. Napoleon entschloß sich deshalb, den Kampf fortzusetzen.
Er war am Vortag vom Angriff der Verbündeten überrascht worden. Das sollte ihm nicht wieder passieren, und so ließ er am Morgen seine Truppen in die Positionen vom Vortag einrücken. Wider Erwarten griffen die Verbündeten aber nicht an. Die russische Reservearmee unter Bennigsen war am Vormittag noch nicht eingetroffen. Die österreichische Armeeabteilung Colloredo (21.000 Mann) traf zwar gegen 10.00 Uhr ein, doch waren ihre Soldaten durch den anstrengenden Marsch übermüdet. Schwarzenberg verschob deshalb den Angriff auf 14.00 Uhr. Zu dieser Stunde trat dann auf dem Wachtberg ein Kriegsrat zusammen und beschloß, den Angriff auf den kommenden Tag zu verschieben.
Am Nachmittag trafen bei den Verbündeten noch die russische Reservearmee (34.000 Mann) und die österreichische Division Bubna (7.000 Mann) ein. Die Nordarmee erreichte das Dorf Breitenfeld. Die Nordarmee eingerechnet, verfügten die Verbündeten damit über 295.000 Soldaten, Napoleon hingegen nur über 160.000.
Blücher hatte erst verspätet die Mitteilung erhalten, daß der Angriff verschoben worden war. Er ließ gegen 10.00 Uhr die Korps Langeron und Osten-Sacken vorrücken und die Dörfer Gohlis und Eutritzsch einnehmen. Das stark mitgenommene Korps Yorck hielt er in Reserve.
Gegen 14.00 Uhr ließ Napoleon den gefangengenommenen General Merveldt zu sich führen. Der Österreicher war für ihn kein Unbekannter. Schon während des Italienfeldzugs 1797 und dann wieder 1805 hatte er mit ihm verhandelt. Napoleon kündigte Merveldt an, daß er ihn zu den Verbündeten entsenden wolle. Er deutete an, daß er einen Waffenstillstand anstrebte. Dabei wolle er sich mit seinen Truppen hinter die Saale zurückziehen. Die Russen und Preußen sollten sich hinter die Elbe zurückziehen, die Österreicher nach Böhmen. Schwarzenberg empfing dann Merveldt zwar, doch fielen er und die verbündeten Monarchen natürlich nicht auf die Bärenfängerei Napoleons herein.
Unterdessen war Bernadotte zwar mit seiner Armee zur Stelle, doch er sträubte sich dagegen, aktiv in die bevorstehende Schlacht einzugreifen. Doch Charles William Vane, der spätere Lord Stewart, britischer Bevollmächtigter bei der Nordarmee, hatte ein starkes Argument zur Hand: Die britische Regierung hatte Bernadotte Hilfszahlungen von einer Million Pfund – mehr als Preußen! – zugesagt. Vane machte dem Kronprinzen klar: sollte die Nordarmee nicht zum Einsatz kommen, dann werde er die Zahlungen stornieren.
In der Nacht zum 18. Oktober traf sich dann Blücher mit Bernadotte. Der machte noch immer Ausflüchte. Er behauptete, Napoleon werde versuchen, den Ring seiner Gegner in nördlicher Richtung zu durchbrechen, und dann werde die Nordarmee die Hauptlast des Kampfes tragen müssen. Sie sei der Bedrohung nur gewachsen, wenn sie durch 30.000 Soldaten der Schlesischen Armee verstärkt würde. Blücher ging auf die Forderung Bernadottes ein und unterstellte ihm für einen Tag das Korps Langeron. Er tat das, weil er unbedingt sichern wollte, daß die Nordarmee am kommenden Tag tatsächlich eingreifen würde. Geglaubt hat er die Behauptungen Bernadottes nicht, vielmehr dessen politische Beweggründe durchschaut. Er sagte nämlich: »Um sich zu gleicher Zeit in Paris und Stockholm in Gnaden zu erhalten, will der Kronprinz keinen Schweden opfern und keinem Franzosen etwas zuleide tun.«
War Napoleon auch gewillt, am 18. Oktober den Kampf fortzusetzen, so traf er doch am 17. gleichzeitig Vorbereitungen für den Rückzug. Am Abend ließ er das IV. Korps des Generals Henri Gratien Bertrand nach Westen marschieren, um die einzig mögliche Rückzugstraße zwischen Lindenau und Weißenfels zu sichern. Zwei Divisionen der Jungen Garde unter Marschall Mortier sollten Lindenau verteidigen.
Noch in der Nacht zog Napoleon seine Truppen näher an Leipzig heran. Sie standen nun östlich der Stadt in einem Halbkreis, der von Schönefeld im Norden über Paunsdorf – Holzhausen – Probstheida bis nach Connewitz im Süden reichte. In der alten Stellung bei Wachau und Liebertwolkwitz verblieben kleine Truppenteile, deren Aufgabe es war, die Wachtfeuer weiter zu unterhalten und so die Verbündeten zu täuschen.
18. Oktober 1813 – Tag 3 der Völkerschlacht
An den beiden ersten Tagen der Völkerschlacht hatte es geregnet. Am 18. Oktober regnete es nicht, und gegen 9.00 Uhr brach die Sonne durch die Wolken. Napoleon hatte bei Stötteritz im Biwak übernachtet. Bereits gegen 2.00 Uhr brach er in Richtung Probstheida auf. Von dort wandte er sich nach Reudnitz, wo er sich mit Marschall Ney beriet. Danach überprüfte er in Lindenau die Vorbereitungen für den Rückzug. Anschließend begab er sich zur Quandtschen Tabaksmühle nahe Probstheida. Hier blieb er fast den ganzen Tag über.
Am Morgen dieses Tages erwartete das napoleonische Heer den Angriff der Verbündeten in folgender Aufstellung: Der rechte Flügel stand auf der Linie Connewitz-Lößnig-Dölitz-Probstheida. Er umfaßte die Korps Augereau, Poniatowski und Victor sowie die Kavalleriekorps Doumerc, Kellermann und Milhaud. Hinter diesen Korps stand die Alte Garde, und bei ihr befand sich Napoleon. Das Kommando führte Marschall Murat. Das Zentrum befand sich auf der Linie Zuckelhausen-Holzhausen- Zweinaundorf-Mölkau. Zu ihm gehörten das XI. Korps und das Korps Lauriston, das Kavalleriekorps Sebastiani und die Gardekavalleriedivisionen Nansouty und Walther. Befehlshaber war Marschall Macdonald.
Der linke Flügel reichte von Paunsdorf bis Schönefeld. Er bestand aus den Korps Marmont, Reynier und Souham, den Kavalleriedivisionen Defrance und Fournier, der sächsischen Division Zeschau und der berüchtigten Division Durutte, deren Strafregimentern viele Kriminelle angehörten. Befehligt wurden diese Truppen von Marschall Ney.
Probstheida und Schönefeld waren die beiden wichtigsten Positionen der französischen Verteidigungslinie. Probstheida ragte in einem Winkel aus dieser Linie heraus. Fiel Probstheida in die Hände der Angreifer, dann lag Leipzig offen vor ihnen. Fiel Schönefeld, dann war der Rückzugsweg der napoleonischen Armee durch Leipzig hindurch unmittelbar bedroht.
Die Truppen der Verbündeten waren in sechs Kolonnen aufmarschiert. Die I. Kolonne wurde vom Erbprinzen von Hessen-Homburg befehligt und war 50.000 Mann stark. Zu ihr gehörten ausschließlich österreichische Truppen: die 1. und 2. Armeeabteilung, die Divisionen Bianchi und Weißenwolf und die Kavalleriedivision Nostiz. Sie sollten von Markkleeberg aus in Richtung Leipzig angreifen.
Die gleichfalls 50.000 Mann starke II. Kolonne unter General Barclay de Tolly umfaßte das preußische Korps Kleist, die russischen Korps Gortschakows und Eugen von Württembergs und das Kavalleriekorps Pahlen. Ihr Angriffsziel war Probstheida. Bei Barclays Kolonne befanden sich die russische und die preußische Garde, und hier hielten sich Zar Alexander, König Friedrich Wilhelm III. und der Oberbefehlshaber Schwarzenberg auf.
Die 65.000 Mann starke III. Kolonne wurde von General Bennigsen kommandiert. Sie bestand aus der russischen Reservearmee, der österreichischen Armeeabteilung Klenau, der österreichischen Division Bubna, der preußischen Brigade Zieten und den Kosaken unter Platow. Diese Kolonne sollte in Richtung der Dörfer Zuckelhausen und Holzhausen vorstoßen.
Die Nordarmee unter Bernadotte und das russische Korps Langeron bildeten die IV. Kolonne. Ihre 95.000 Mann sollten von Taucha aus in Richtung Paunsdorf und Schönefeld angreifen. Die V. Kolonne unter Blücher umfaßte lediglich die 25.000 Mann des russischen Korps Osten-Sacken und des preußischen Korps Yorck. Sie stand beim Dorf Gohlis. Ihr Angriffsziel war die Hallische Vorstadt von Leipzig.
Die VI. Kolonne, vom österreichischen General Gyulai befehligt, war mit 22.000 Mann die zahlenmäßig schwächste. Zu ihr gehörten die 3. österreichische Armeeabteilung sowie die Streifkorps Thielmann und Mensdorff. Sie stand beim Dorf Kleinzschocher südlich von Lindenau und sollte die Rückzugsstraße der Franzosen blockieren.
Die I. Kolonne der Verbündeten ging ab 8.00 Uhr vor. Sie stieß zunächst nur auf schwachen Widerstand und konnte die Dörfer Dölitz, Dösen und Lößnig sowie die Schäferei Meusdorf einnehmen. Doch Napoleon setzte eine Division der Jungen Garde und eine weitere Division in Marsch. Die Franzosen eroberten Dölitz und Dösen zurück. Bei diesem Kampf wurde der Befehlshaber der I. Kolonne, der Erbprinz von Hessen-Homburg, schwer verwundet.
Unterdessen war die österreichische 3. Armeeabteilung unter Gyulai vom französischen Korps Bertrand angegriffen worden. Da sich bei Dölitz eine kritische Situation entwickelte, befahl Schwarzenberg Gyulai, den Kampf abzubrechen und der I. Kolonne zu Hilfe zu kommen. Er widerrief den Befehl später – mit dem Resultat, daß die 3. Armeeabteilung an diesem Tag nicht wieder zum Einsatz kam.
Auch die II. Kolonne rückte ab 8.00 Uhr vor. Sie gelangte bis vor Probstheida. Das Dorf war von einer massiven Lehmmauer umgeben. Zu seinen Seiten waren zahlreiche Batterien aufgefahren, und hinter dem Dorf standen starke Infanterie- und Kavallerieeinheiten bereit. Rings um das Dorf war deckungslose freie Fläche. General Barclay de Tolly verschob deshalb den Angriff.
Bennigsens III. Kolonne gelang es nach heftigem Kampf, die Dörfer Zuckelhausen und Holzhausen zu erstürmen. Die österreichische Division Bubna nahm Paunsdorf ein, mußte es aber bald wieder aufgeben. Bei Paunsdorf zeigte sich, daß Napoleon sich nicht mehr auf die Truppen der Rheinbundstaaten verlassen konnte. Gegen 10.00 Uhr gingen die 550 Mann starke württembergische Kavalleriebrigade unter General Normann, die sächsische leichte Kavalleriebrigade und ein sächsisches Bataillon auf die Seite der Verbündeten über.
Bernadotte agierte auch an diesem Tag zögerlich. So gab er dem Korps Langeron, das ihm ja zeitweilig unterstellt war, den Befehl, zwischen Mockau und Plösen stehen zu bleiben, um den Anmarsch der Nordarmee zu sichern. Als Blücher den Kanonendonner von Süden her hörte, befahl er dem Korps Langeron, über das er zu diesem Zeitpunkt gar keine Kommandogewalt besaß, sofort den Fluß Parthe zu überschreiten. Langeron war nicht erreichbar, doch seine Generale führten den Befehl Blüchers unverzüglich aus. So griff das Korps bereits 9.00 Uhr in den Kampf ein. Blücher befahl auch Bülow, dessen Korps zur Nordarmee gehörte, sofort vorzurücken. Da er Bernadotte mißtraute, schickte er seinen Adjutanten Nostitz zu ihm, um ihn zu beaufsichtigen.
Gegen 10.00 Uhr ließ Blücher das russische Korps Osten-Sacken gegen das Vorwerk Pfaffendorf vorstoßen. Gegen 11.00 Uhr kam die französische Gardedivision Pacthod den Verteidigern zu Hilfe, und fortan scheiterten alle Angriffe der Russen.
Noch um 14.00 Uhr war die Erfolgsbilanz der Verbündeten mager. Nennenswerte Erfolge waren noch nicht erreicht. Man hatte zwar einige Dörfer genommen. Die entscheidenden Positionen Lößnig, Probstheida, Mölkau, Zweinaundorf, Paunsdorf und Schönefeld waren aber nach wie vor fest in den Händen der Franzosen.
Zu dieser Stunde gab Zar Alexander den Befehl zum Sturmangriff auf Probstheida. Das war voreilig. Die Artillerie der Verbündeten hatte das Dorf zwar unter Feuer genommen. Es war ihr aber nicht gelungen, Breschen in die massiven Lehmmauern rings um den Ort zu schießen. Bennigsen ließ die preußischen Brigaden Zieten und Prinz August vorgehen. Nach erbitterten Kampf eroberten sie das Dorf, mußten es dann aber wieder aufgeben. Bennigsen setzte nun die russischen Truppen Eugen von Württembergs ein, die am 16. Oktober so schwere Verluste erlitten hatten. Napoleon dirigierte eine Division der Alten Garde nach Probstheida, die den Angriff der Russen abwehren konnte. Einen Kilometer vom Dorf entfernt stand die russische und preußische Garde, doch sie wurde nicht eingesetzt. Gegen 16.00 Uhr befahl Schwarzenberg dann, den Angriff auf das brennende Dorf einzustellen. Gleichfalls gegen 16.00 Uhr griff das preußische Korps Bülow Paunsdorf an. Als die Franzosen einen Gegenangriff versuchten, trat die englische Raketenbatterie, die sich bei der Nordarmee befand, in Aktion. Ihre Raketen (sogenannte Congrev‘sche Brandraketen) wurden von zweirädrigen Karren aus eingesetzt. Die Batterie fuhr der französischen Kolonne entgegen und feuerte ihre Raketen ab. Das Geheul und die Feuerschweife der anfliegenden Raketen versetzten die Franzosen in Panik, und sie fluteten zurück. Wer von den Raketen getroffen wurde, verbrannte bei lebendigem Leibe. Bülows Truppen stürmten nun Paunsdorf. Österreicher und Russen nahmen Mölkau, Unter- und Oberzweinaundorf, Sellerhausen und Stünz ein.
Zwischen Sellerhausen und Stünz hatte zuvor die 4.000 Mann starke sächsische 2. Division die Seite gewechselt. Ihr Kommandeur, Heinrich Wilhelm von Zeschau, hatte seinen König, der sich in Leipzig aufhielt, um Verhaltensmaßregeln gebeten. Der hatte ihm befohlen, fest auf der Seite Napoleons zu bleiben. Zeschau bemühte sich, diesen Befehl durchzusetzen. Seine Offiziere entschieden sich aber anders und führten ihre Soldaten zu den Verbündeten. Marschall Macdonald empörte sich später in seinen Memoiren: »Nie hat die Geschichte einen ähnlichen Verrat verzeichnet«. Daß die Sachsen bei ihrem Seitenwechsel auf die nachrückenden Franzosen geschossen hätten, ist eine zählebige Legende.
Probstheida konnte von den napoleonischen Truppen verteidigt werden, Schönefeld hingegen fiel. Zweimal eroberten es die Russen Langerons, zweimal mußten sie es wieder räumen. Russische und schwedische Artillerie bereitete einen dritten Angriff vor, der dann Erfolg hatte.
Das napoleonische Heer hatte einen zähen Abwehrkampf geliefert. Es war aber am Abend klar: einem neuerlichen Angriff der Verbündeten am Tag darauf würde es nicht standhalten können. Von den beiden Bastionen seiner Verteidigungslinie war eine, Schönefeld, gefallen, die andere, Probstheida, eng eingeschnürt.
Der Erfolg der Verbündeten wiegt umso schwerer, wenn man bedenkt, daß ihre Führung – insbesondere Schwarzenberg selbst – mehrere Fehlentscheidungen getroffen hatte, und 100.000 ihrer Soldaten (die Garden und ein großer Teil der Nordarmee) gar nicht am Kampf teilgenommen hatten.
Gegen 20.00 Uhr begab Napoleon sich nach Leipzig. Im »Hotel de Prusse« organisierte er zusammen mit Generalstabschef Berthier den Rückzug seiner Armee.
19. Oktober 1813 – Tag 4 der Völkerschlacht
Bilanz
Erst am Morgen den 19. Oktober merkten die Verbündeten, daß die napoleonische Armee Probstheida, Connewitz und Stötteritz geräumt hatte und ihr Rückzug nach Westen im Gange war. Die französischen Truppen mußten auf ihrem Weg nach Westen zwei Nadelöhre passieren: das Ranstädter Tor und die Brücke über die Elster....
Quelle: Gerd Fesser: 1813. Die Völkerschalcht bei Leipzig. Verlag Bussert & Stadeler, Jena/Quedlinburg 2013. 176 Seiten, 19,90 Euro. Der Auszug stammt von den Seiten 75 bis 83.
© 2013 Verlag Bussert & Stadeler, alle Rechte vorbehalten
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Der 17. Oktober 1813 war ein Sonntag, und es regnete den ganzen Tag über. Viele verwundete Soldaten der napoleonischen Armee hatten die Nacht auf dem Straßenpflaster Leipzigs verbringen müssen – ohne Stroh und Decken, ohne Nahrung und Versorgung ihrer Wunden.
Napoleon wußte, daß auf Seiten der Verbündeten große Verstärkungen unterwegs waren. Eigentlich gab es für ihn nur eine Lösung: sofort den Rückzug anzutreten. Das hätte freilich bedeutet, die Besatzungen der belagerten Festungen ihrem Schicksal zu überlassen. Und es hätte die Fürsten des Rheinbunds ermutigt, die Seite zu wechseln. Napoleon entschloß sich deshalb, den Kampf fortzusetzen.
Er war am Vortag vom Angriff der Verbündeten überrascht worden. Das sollte ihm nicht wieder passieren, und so ließ er am Morgen seine Truppen in die Positionen vom Vortag einrücken. Wider Erwarten griffen die Verbündeten aber nicht an. Die russische Reservearmee unter Bennigsen war am Vormittag noch nicht eingetroffen. Die österreichische Armeeabteilung Colloredo (21.000 Mann) traf zwar gegen 10.00 Uhr ein, doch waren ihre Soldaten durch den anstrengenden Marsch übermüdet. Schwarzenberg verschob deshalb den Angriff auf 14.00 Uhr. Zu dieser Stunde trat dann auf dem Wachtberg ein Kriegsrat zusammen und beschloß, den Angriff auf den kommenden Tag zu verschieben.
Am Nachmittag trafen bei den Verbündeten noch die russische Reservearmee (34.000 Mann) und die österreichische Division Bubna (7.000 Mann) ein. Die Nordarmee erreichte das Dorf Breitenfeld. Die Nordarmee eingerechnet, verfügten die Verbündeten damit über 295.000 Soldaten, Napoleon hingegen nur über 160.000.
Blücher hatte erst verspätet die Mitteilung erhalten, daß der Angriff verschoben worden war. Er ließ gegen 10.00 Uhr die Korps Langeron und Osten-Sacken vorrücken und die Dörfer Gohlis und Eutritzsch einnehmen. Das stark mitgenommene Korps Yorck hielt er in Reserve.
Gegen 14.00 Uhr ließ Napoleon den gefangengenommenen General Merveldt zu sich führen. Der Österreicher war für ihn kein Unbekannter. Schon während des Italienfeldzugs 1797 und dann wieder 1805 hatte er mit ihm verhandelt. Napoleon kündigte Merveldt an, daß er ihn zu den Verbündeten entsenden wolle. Er deutete an, daß er einen Waffenstillstand anstrebte. Dabei wolle er sich mit seinen Truppen hinter die Saale zurückziehen. Die Russen und Preußen sollten sich hinter die Elbe zurückziehen, die Österreicher nach Böhmen. Schwarzenberg empfing dann Merveldt zwar, doch fielen er und die verbündeten Monarchen natürlich nicht auf die Bärenfängerei Napoleons herein.
Unterdessen war Bernadotte zwar mit seiner Armee zur Stelle, doch er sträubte sich dagegen, aktiv in die bevorstehende Schlacht einzugreifen. Doch Charles William Vane, der spätere Lord Stewart, britischer Bevollmächtigter bei der Nordarmee, hatte ein starkes Argument zur Hand: Die britische Regierung hatte Bernadotte Hilfszahlungen von einer Million Pfund – mehr als Preußen! – zugesagt. Vane machte dem Kronprinzen klar: sollte die Nordarmee nicht zum Einsatz kommen, dann werde er die Zahlungen stornieren.
In der Nacht zum 18. Oktober traf sich dann Blücher mit Bernadotte. Der machte noch immer Ausflüchte. Er behauptete, Napoleon werde versuchen, den Ring seiner Gegner in nördlicher Richtung zu durchbrechen, und dann werde die Nordarmee die Hauptlast des Kampfes tragen müssen. Sie sei der Bedrohung nur gewachsen, wenn sie durch 30.000 Soldaten der Schlesischen Armee verstärkt würde. Blücher ging auf die Forderung Bernadottes ein und unterstellte ihm für einen Tag das Korps Langeron. Er tat das, weil er unbedingt sichern wollte, daß die Nordarmee am kommenden Tag tatsächlich eingreifen würde. Geglaubt hat er die Behauptungen Bernadottes nicht, vielmehr dessen politische Beweggründe durchschaut. Er sagte nämlich: »Um sich zu gleicher Zeit in Paris und Stockholm in Gnaden zu erhalten, will der Kronprinz keinen Schweden opfern und keinem Franzosen etwas zuleide tun.«
War Napoleon auch gewillt, am 18. Oktober den Kampf fortzusetzen, so traf er doch am 17. gleichzeitig Vorbereitungen für den Rückzug. Am Abend ließ er das IV. Korps des Generals Henri Gratien Bertrand nach Westen marschieren, um die einzig mögliche Rückzugstraße zwischen Lindenau und Weißenfels zu sichern. Zwei Divisionen der Jungen Garde unter Marschall Mortier sollten Lindenau verteidigen.
Noch in der Nacht zog Napoleon seine Truppen näher an Leipzig heran. Sie standen nun östlich der Stadt in einem Halbkreis, der von Schönefeld im Norden über Paunsdorf – Holzhausen – Probstheida bis nach Connewitz im Süden reichte. In der alten Stellung bei Wachau und Liebertwolkwitz verblieben kleine Truppenteile, deren Aufgabe es war, die Wachtfeuer weiter zu unterhalten und so die Verbündeten zu täuschen.
18. Oktober 1813 – Tag 3 der Völkerschlacht
An den beiden ersten Tagen der Völkerschlacht hatte es geregnet. Am 18. Oktober regnete es nicht, und gegen 9.00 Uhr brach die Sonne durch die Wolken. Napoleon hatte bei Stötteritz im Biwak übernachtet. Bereits gegen 2.00 Uhr brach er in Richtung Probstheida auf. Von dort wandte er sich nach Reudnitz, wo er sich mit Marschall Ney beriet. Danach überprüfte er in Lindenau die Vorbereitungen für den Rückzug. Anschließend begab er sich zur Quandtschen Tabaksmühle nahe Probstheida. Hier blieb er fast den ganzen Tag über.
Am Morgen dieses Tages erwartete das napoleonische Heer den Angriff der Verbündeten in folgender Aufstellung: Der rechte Flügel stand auf der Linie Connewitz-Lößnig-Dölitz-Probstheida. Er umfaßte die Korps Augereau, Poniatowski und Victor sowie die Kavalleriekorps Doumerc, Kellermann und Milhaud. Hinter diesen Korps stand die Alte Garde, und bei ihr befand sich Napoleon. Das Kommando führte Marschall Murat. Das Zentrum befand sich auf der Linie Zuckelhausen-Holzhausen- Zweinaundorf-Mölkau. Zu ihm gehörten das XI. Korps und das Korps Lauriston, das Kavalleriekorps Sebastiani und die Gardekavalleriedivisionen Nansouty und Walther. Befehlshaber war Marschall Macdonald.
Der linke Flügel reichte von Paunsdorf bis Schönefeld. Er bestand aus den Korps Marmont, Reynier und Souham, den Kavalleriedivisionen Defrance und Fournier, der sächsischen Division Zeschau und der berüchtigten Division Durutte, deren Strafregimentern viele Kriminelle angehörten. Befehligt wurden diese Truppen von Marschall Ney.
Probstheida und Schönefeld waren die beiden wichtigsten Positionen der französischen Verteidigungslinie. Probstheida ragte in einem Winkel aus dieser Linie heraus. Fiel Probstheida in die Hände der Angreifer, dann lag Leipzig offen vor ihnen. Fiel Schönefeld, dann war der Rückzugsweg der napoleonischen Armee durch Leipzig hindurch unmittelbar bedroht.
Die Truppen der Verbündeten waren in sechs Kolonnen aufmarschiert. Die I. Kolonne wurde vom Erbprinzen von Hessen-Homburg befehligt und war 50.000 Mann stark. Zu ihr gehörten ausschließlich österreichische Truppen: die 1. und 2. Armeeabteilung, die Divisionen Bianchi und Weißenwolf und die Kavalleriedivision Nostiz. Sie sollten von Markkleeberg aus in Richtung Leipzig angreifen.
Die gleichfalls 50.000 Mann starke II. Kolonne unter General Barclay de Tolly umfaßte das preußische Korps Kleist, die russischen Korps Gortschakows und Eugen von Württembergs und das Kavalleriekorps Pahlen. Ihr Angriffsziel war Probstheida. Bei Barclays Kolonne befanden sich die russische und die preußische Garde, und hier hielten sich Zar Alexander, König Friedrich Wilhelm III. und der Oberbefehlshaber Schwarzenberg auf.
Die 65.000 Mann starke III. Kolonne wurde von General Bennigsen kommandiert. Sie bestand aus der russischen Reservearmee, der österreichischen Armeeabteilung Klenau, der österreichischen Division Bubna, der preußischen Brigade Zieten und den Kosaken unter Platow. Diese Kolonne sollte in Richtung der Dörfer Zuckelhausen und Holzhausen vorstoßen.
Die Nordarmee unter Bernadotte und das russische Korps Langeron bildeten die IV. Kolonne. Ihre 95.000 Mann sollten von Taucha aus in Richtung Paunsdorf und Schönefeld angreifen. Die V. Kolonne unter Blücher umfaßte lediglich die 25.000 Mann des russischen Korps Osten-Sacken und des preußischen Korps Yorck. Sie stand beim Dorf Gohlis. Ihr Angriffsziel war die Hallische Vorstadt von Leipzig.
Die VI. Kolonne, vom österreichischen General Gyulai befehligt, war mit 22.000 Mann die zahlenmäßig schwächste. Zu ihr gehörten die 3. österreichische Armeeabteilung sowie die Streifkorps Thielmann und Mensdorff. Sie stand beim Dorf Kleinzschocher südlich von Lindenau und sollte die Rückzugsstraße der Franzosen blockieren.
Die I. Kolonne der Verbündeten ging ab 8.00 Uhr vor. Sie stieß zunächst nur auf schwachen Widerstand und konnte die Dörfer Dölitz, Dösen und Lößnig sowie die Schäferei Meusdorf einnehmen. Doch Napoleon setzte eine Division der Jungen Garde und eine weitere Division in Marsch. Die Franzosen eroberten Dölitz und Dösen zurück. Bei diesem Kampf wurde der Befehlshaber der I. Kolonne, der Erbprinz von Hessen-Homburg, schwer verwundet.
Unterdessen war die österreichische 3. Armeeabteilung unter Gyulai vom französischen Korps Bertrand angegriffen worden. Da sich bei Dölitz eine kritische Situation entwickelte, befahl Schwarzenberg Gyulai, den Kampf abzubrechen und der I. Kolonne zu Hilfe zu kommen. Er widerrief den Befehl später – mit dem Resultat, daß die 3. Armeeabteilung an diesem Tag nicht wieder zum Einsatz kam.
Auch die II. Kolonne rückte ab 8.00 Uhr vor. Sie gelangte bis vor Probstheida. Das Dorf war von einer massiven Lehmmauer umgeben. Zu seinen Seiten waren zahlreiche Batterien aufgefahren, und hinter dem Dorf standen starke Infanterie- und Kavallerieeinheiten bereit. Rings um das Dorf war deckungslose freie Fläche. General Barclay de Tolly verschob deshalb den Angriff.
Bennigsens III. Kolonne gelang es nach heftigem Kampf, die Dörfer Zuckelhausen und Holzhausen zu erstürmen. Die österreichische Division Bubna nahm Paunsdorf ein, mußte es aber bald wieder aufgeben. Bei Paunsdorf zeigte sich, daß Napoleon sich nicht mehr auf die Truppen der Rheinbundstaaten verlassen konnte. Gegen 10.00 Uhr gingen die 550 Mann starke württembergische Kavalleriebrigade unter General Normann, die sächsische leichte Kavalleriebrigade und ein sächsisches Bataillon auf die Seite der Verbündeten über.
Bernadotte agierte auch an diesem Tag zögerlich. So gab er dem Korps Langeron, das ihm ja zeitweilig unterstellt war, den Befehl, zwischen Mockau und Plösen stehen zu bleiben, um den Anmarsch der Nordarmee zu sichern. Als Blücher den Kanonendonner von Süden her hörte, befahl er dem Korps Langeron, über das er zu diesem Zeitpunkt gar keine Kommandogewalt besaß, sofort den Fluß Parthe zu überschreiten. Langeron war nicht erreichbar, doch seine Generale führten den Befehl Blüchers unverzüglich aus. So griff das Korps bereits 9.00 Uhr in den Kampf ein. Blücher befahl auch Bülow, dessen Korps zur Nordarmee gehörte, sofort vorzurücken. Da er Bernadotte mißtraute, schickte er seinen Adjutanten Nostitz zu ihm, um ihn zu beaufsichtigen.
Gegen 10.00 Uhr ließ Blücher das russische Korps Osten-Sacken gegen das Vorwerk Pfaffendorf vorstoßen. Gegen 11.00 Uhr kam die französische Gardedivision Pacthod den Verteidigern zu Hilfe, und fortan scheiterten alle Angriffe der Russen.
Noch um 14.00 Uhr war die Erfolgsbilanz der Verbündeten mager. Nennenswerte Erfolge waren noch nicht erreicht. Man hatte zwar einige Dörfer genommen. Die entscheidenden Positionen Lößnig, Probstheida, Mölkau, Zweinaundorf, Paunsdorf und Schönefeld waren aber nach wie vor fest in den Händen der Franzosen.
Zu dieser Stunde gab Zar Alexander den Befehl zum Sturmangriff auf Probstheida. Das war voreilig. Die Artillerie der Verbündeten hatte das Dorf zwar unter Feuer genommen. Es war ihr aber nicht gelungen, Breschen in die massiven Lehmmauern rings um den Ort zu schießen. Bennigsen ließ die preußischen Brigaden Zieten und Prinz August vorgehen. Nach erbitterten Kampf eroberten sie das Dorf, mußten es dann aber wieder aufgeben. Bennigsen setzte nun die russischen Truppen Eugen von Württembergs ein, die am 16. Oktober so schwere Verluste erlitten hatten. Napoleon dirigierte eine Division der Alten Garde nach Probstheida, die den Angriff der Russen abwehren konnte. Einen Kilometer vom Dorf entfernt stand die russische und preußische Garde, doch sie wurde nicht eingesetzt. Gegen 16.00 Uhr befahl Schwarzenberg dann, den Angriff auf das brennende Dorf einzustellen. Gleichfalls gegen 16.00 Uhr griff das preußische Korps Bülow Paunsdorf an. Als die Franzosen einen Gegenangriff versuchten, trat die englische Raketenbatterie, die sich bei der Nordarmee befand, in Aktion. Ihre Raketen (sogenannte Congrev‘sche Brandraketen) wurden von zweirädrigen Karren aus eingesetzt. Die Batterie fuhr der französischen Kolonne entgegen und feuerte ihre Raketen ab. Das Geheul und die Feuerschweife der anfliegenden Raketen versetzten die Franzosen in Panik, und sie fluteten zurück. Wer von den Raketen getroffen wurde, verbrannte bei lebendigem Leibe. Bülows Truppen stürmten nun Paunsdorf. Österreicher und Russen nahmen Mölkau, Unter- und Oberzweinaundorf, Sellerhausen und Stünz ein.
Zwischen Sellerhausen und Stünz hatte zuvor die 4.000 Mann starke sächsische 2. Division die Seite gewechselt. Ihr Kommandeur, Heinrich Wilhelm von Zeschau, hatte seinen König, der sich in Leipzig aufhielt, um Verhaltensmaßregeln gebeten. Der hatte ihm befohlen, fest auf der Seite Napoleons zu bleiben. Zeschau bemühte sich, diesen Befehl durchzusetzen. Seine Offiziere entschieden sich aber anders und führten ihre Soldaten zu den Verbündeten. Marschall Macdonald empörte sich später in seinen Memoiren: »Nie hat die Geschichte einen ähnlichen Verrat verzeichnet«. Daß die Sachsen bei ihrem Seitenwechsel auf die nachrückenden Franzosen geschossen hätten, ist eine zählebige Legende.
Probstheida konnte von den napoleonischen Truppen verteidigt werden, Schönefeld hingegen fiel. Zweimal eroberten es die Russen Langerons, zweimal mußten sie es wieder räumen. Russische und schwedische Artillerie bereitete einen dritten Angriff vor, der dann Erfolg hatte.
Das napoleonische Heer hatte einen zähen Abwehrkampf geliefert. Es war aber am Abend klar: einem neuerlichen Angriff der Verbündeten am Tag darauf würde es nicht standhalten können. Von den beiden Bastionen seiner Verteidigungslinie war eine, Schönefeld, gefallen, die andere, Probstheida, eng eingeschnürt.
Der Erfolg der Verbündeten wiegt umso schwerer, wenn man bedenkt, daß ihre Führung – insbesondere Schwarzenberg selbst – mehrere Fehlentscheidungen getroffen hatte, und 100.000 ihrer Soldaten (die Garden und ein großer Teil der Nordarmee) gar nicht am Kampf teilgenommen hatten.
Gegen 20.00 Uhr begab Napoleon sich nach Leipzig. Im »Hotel de Prusse« organisierte er zusammen mit Generalstabschef Berthier den Rückzug seiner Armee.
19. Oktober 1813 – Tag 4 der Völkerschlacht
Bilanz
Erst am Morgen den 19. Oktober merkten die Verbündeten, daß die napoleonische Armee Probstheida, Connewitz und Stötteritz geräumt hatte und ihr Rückzug nach Westen im Gange war. Die französischen Truppen mußten auf ihrem Weg nach Westen zwei Nadelöhre passieren: das Ranstädter Tor und die Brücke über die Elster....
Quelle: Gerd Fesser: 1813. Die Völkerschalcht bei Leipzig. Verlag Bussert & Stadeler, Jena/Quedlinburg 2013. 176 Seiten, 19,90 Euro. Der Auszug stammt von den Seiten 75 bis 83.
© 2013 Verlag Bussert & Stadeler, alle Rechte vorbehalten
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