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Essay

Durch Afrika muss ein Ruck gehen

Internationale Konferenzen und Projekte der Entwicklungszusammenarbeit sind wichtig, reichen aber nicht aus. Einzelne Staaten müssen auch selbst aktiver werden.

Klaus-Jürgen Hedrich01.09.2017

Eigentlich war es erst gestern, aber wer erinnert sich wirklich noch an NEPAD (New Partnership for Africa´s Development)? Die Idee ist vernünftig: Betonung der Eigenverantwortung der afrikanischen Staaten für ihre eigene Entwicklung mit vier klar definierten Zielen: die „Ausrottung“ (eradicate) der Armut, die Förderung nachhaltigen Wachstums, die Einbindung Afrikas in die Weltwirtschaft und die verstärkte Mitwirkung von Frauen. Als entscheidend für die Umsetzung dieser Ziele gelten gute Regierungsführung, Demokratie und die Respektierung der Menschenrechte.

Menschliche Unfähigkeit
Geholfen hat es wenig. Die Gründe sind vielfältig: fehlende Rechtsstaatlichkeit, ein mangelhaftes Bildungssystem und eine oft desolate Infrastruktur. Anfang der 60er Jahre waren Singapur, Taiwan, Sudan und Kongo (Kinshasa) arme Staaten. Heute sieht es in den beiden afrikanischen Ländern schlimmer aus als vor 60 Jahren. Das Stichwort ist immer das gleiche – man-made, von menschlicher Unfähigkeit verursacht. Bürgerkriege mit religiösen, ethnischen, wirtschaftlichen und machtpolitischen Ursachen, zwischenstaatliche Konflikte. Oft wird dem Kolonialismus die Schuld am Unglück Afrikas in die Schuhe geschoben. Das ist barer Unsinn. Die Sklaverei zum Beispiel war ein Deal zwischen skrupellosen arabischen Händlern, afrikanischen Stammesführern und westlichen Ausbeutern. Islam und Christentum haben lange gebraucht, bis die menschenverachtende Sklaverei geächtet und verboten wurde. Im afrikanischen Mauretanien und in Saudi-Arabien gibt es sie bis heute.

Aufgekündigte Übereinkünfte
In den 70er Jahren war das damalige Rhodesien unter Ian Smith das am besten verwaltete Territorium auf dem afrikanischen Kontinent. Bis heute ist es Präsident Robert Mugabe nicht gelungen, Rhodesien, also das heutige Simbabwe, völlig zu ruinieren. Und an Selbstbewusstsein scheint es diesem Autokraten nicht zu mangeln. Auf die Frage, warum er denn nach 37 Amtsjahren nicht zurücktrete, gab er die Antwort: „Wieso denn, die Queen tritt doch auch nicht zurück?“

Im Hause der Hermannsburger Mission in Niedersachsen, eine im wahrsten Sinne des Wortes segensreiche Institution, fanden jahrelang Treffen zwischen verfeindeten Gruppen aus dem Sudan statt. Heute haben die Teilnehmer dieser Zusammenkünfte wichtige Funktionen bis zum Staatspräsidenten inne. Ging es am Anfang um die Unabhängigkeit des Südens und eine Friedensperspektive für das ganze Land, standen später der Frieden in Darfur und der Wiederaufbau des Südens im Mittelpunkt. Kaum unabhängig, fielen die Nationen (von uns nach Karl May häufig als Stämme bezeichnet) übereinander her. Christen über Animisten und Moslems und umgekehrt. Jede Übereinkunft wird mit einem Meineid ad absurdum geführt, die Zahl der Flüchtlinge geht in die Millionen.

Uns (dem Norden oder Westen) bleibt nur die aktuelle Nothilfe, um die schlimmsten Hungersnöte zu verhindern. Und die UNO–Mandatstruppen tragen jedoch auch kaum zur Befriedung bei, sondern zeichnen sich oft durch Versagen und Feigheit aus.

Der Konflikt zwischen den Tuareg und dem Süden Malis ist jahrhundertealt. In den 90er Jahren konnte Deutschland erfolgreich vermitteln, aber eben nicht nachhaltig, wie sich bald herausstellen sollte. Inzwischen überlagert die ursprünglich ethnische Auseinandersetzung auch der ideologische Machtkampf, für den stellvertretend Al Qaida, Boko Haram und der sogenannte Islamische Staat stehen.

Religion ist ein Aushängeschild, im Grunde sind es aber lediglich Verbrecherbanden, die ihre niederen und perversen Triebe ausleben. Dass sie zum Teil auch auf junge Leute aus westlichen Ländern anziehend wirken, ist ein Kapitel für sich und verdient die Analyse durch Verhaltenssforscher.

Dass solche Bewegungen aber so manchen Staat in Afrika an den Rand des Kollaps bringen, zeugt von den labilen Strukturen („failed states“) dieser Länder, die ohne das Eingreifen Frankreichs von der Landkarte verschwunden wären. Schon zu Zeiten des Kalten Krieges hat Frankreich an der Südflanke der NATO geräuschlos für Ordnung gesorgt. Aber heute können wir unsere Freunde dort nicht alleine lassen. Meinem leider viel zu früh verstorbenen Freund Peter Struck ist noch im Nachhinein Recht zu geben, als er sagte, die Freiheit Deutschlands werde auch am Hindukusch verteidigt. Dies gilt aber besonders für das nördliche Afrika, unseren Nachbarn, wenige Kilometer über das Mittelmeer entfernt. Dass dies ein lebensgefährlicher Bundeswehr-Einsatz ist, hat gerade erst der Tod von zwei deutschen Soldaten bei einem Hubschrauberabsturz in Mali gezeigt. Eine Herausforderung, die nur mit einer Wehrpflichtarmee zu bewältigen ist.

Mitschuld des Westens
Aber auch der Westen hat schwere Fehler  gemacht. Der Fall Libyen zeigt, dass der Sturz einer Diktatur nur dann „sinnvoll“ ist, wenn man einen klaren Plan zur Zukunftsgestaltung des Landes hat. Insofern war die Stimmenthaltung Deutschlands, in Person damals Guido Westerwelle, im Weltsicherheitsrat folgerichtig. Im übrigen haben wir uns nicht ganz so schamlos am Verhätscheln Muammar al-Gaddafis beteiligt wie Italiener und Franzosen. Und korrekterweise muss man einräumen, dass uns Gaddafi weitestgehend die Flüchtlinge „vom Halse gehalten“ hat. Man kann nicht alles haben.

Als ein wirklich positives Beispiel in Afrika kann Ghana genannt werden. Bei einem Treffen afrikanischer Staatsoberhäupter mahnte der neue, mir bekannte Präsident Nana Addo Dankwa  Akufo-Addo (Jahrgang 1944) seine übrigen Kollegen, als Voraussetzung für Entwicklung die Korruption nachhaltig zu bekämpfen. Die zustimmende Begeisterung hielt sich in Grenzen. Korruption ist aber wie ein Krebsgeschwür. Wie viele Milliarden in dubiosen Kanälen verschwinden, ist schwer zu beziffern. Der Entwicklung des Kontinents kommen diese Gelder nur begrenzt zugute.

Aktuell ist eine Neuorientierung deutscher Afrikapolitik zu beobachten. Kaum ein politisches Jahr in Deutschland war so geprägt von afrikanischen Themen wie die erste Hälfte 2017. Die „Compact with Africa“-Initiative des Finanzministeriums im Rahmen der G20-Präsidentschaft, der „Marshallplan mit Afrika“ des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – von Spöttern inzwischen als Merkel-Plan bezeichnet –, die „Pro! Afrika“-Initiative des Bundeswirtschaftsministeriums und die Tatsache, dass das Bundeskabinett im Juni ein Eckpunktepapier „Wirtschaftliche Entwicklung Afrikas – Herausforderungen und Optionen“ verabschiedet hat, sind Ausdruck dieser Entwicklung.

Im Rahmen der G20 wurde der Vorwurf erhoben, man rede zwar viel über Afrika, aber in Hamburg sei Afrika nicht dabei gewesen. Dies ist schlicht falsch. Zum einen hatte Deutschland im Vorfeld der G20 zur G20-Afrikakonferenz am 12. und 13. Juni 2017 nach Berlin geladen. Im Vordergrund stand das Angebot an eine Reihe ausgewählter Staaten (Elfenbeinküste, Marokko, Ruanda, Senegal und Tunesien), sich interessierten  ausländischen Investoren zu präsentieren, um so mehr privates Kapitel nach Afrika „zu locken“. Und auch beim G20-Finanzministertreffen in Baden-Baden im März waren bereits einige afrikanische Compact-Interessenten vertreten. Nicht nur in Berlin, sondern auch in Hamburg  war außerdem der Präsident der Republik Guinea, Alpha Condé, als Repräsentant der Afrikanischen Union anwesend.

Hilfe zur Selbsthilfe
Eine wichtige Rolle in den bilateralen Beziehungen spielt die Zivilgesellschaft.  Die Nichtregierungsorganisation „Help – Hilfe zur Selbsthilfe“ zum Beispiel konzentriert sich auf Flüchtlingshilfe, Einkommen schaffende Maßnahmen oder auch die Verbesserung des Gesundheitswesens. Gleichzeitig ist die Stärkung örtlicher Partner von entscheidender Bedeutung, denn wenn es nicht gelingt, die Menschen vor Ort in die Entwicklung ihrer Länder einzubinden, wird der Aufbau leistungsfähiger Strukturen nicht gelingen.

Eine bemerkenswerte Organisation in diesem Zusammenhang ist die Deutsche Afrika Stiftung, die sich vor allem den politischen und wirtschaftlichen Kontakten zwischen Deutschland/Europa und  Afrika widmet. Ein Kleinod ist der Deutsche Afrika-Preis, der 2017 an den ugandischen Rechtsanwalt Nicholas Opiyo verliehen wird. Der Gründer von „Chapter Four Uganda“ wird für seinen langjährigen Einsatz für Bürgerrechte und politische Freiheiten in seinem Heimatland geehrt. Afrika mit seinen 54 Staaten bietet kein einheitliches Bild. Licht und Schatten liegen dicht beieinander. Die Unterschiede zwischen vielen Ländern sind größer als zwischen europäischen Staaten. Mauretanien und Äthiopien, Namibia und der Tschad, Ägypten und Kamerun zum Beispiel sind wie unterschiedliche Welten Darauf müssen wir in der Ausgestaltung unserer Zusammenarbeit mit einzelnen afrikanischen Ländern und Regionen Rücksicht nehmen.

Werden die vielen Initiativen  helfen? Zweifel sind angebracht. Der Anteil Afrikas am Weltbruttosozialprodukt ist rückläufig und liegt inzwischen unter zwei Prozent. Gleichzeitig steigt der Anteil der Afrikaner an der Weltbevölkerung. Ein verheerender Trend. Dennoch, das Schicksal Afrikas ist auch unser Schicksal. 

Klaus-Jürgen Hedrich
Klaus-Jürgen Hedrich war Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie entwicklungspolitischer Sprecher der  CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Seit 1984 ist er Vorstandsmitglied der Hilfsorganisation Help - Hilfe zur Selbsthilfe e.V..