Die Karriere des Armin Hary
Pures Gold und doch wenig Anerkennung
Der Olympiasieg über 100-Meter von Armin Hary gerät immer mehr in Vergessenheit. Schuld daran hat weniger Armin Hary. Vielmehr offenbart sich hier ein nationales Problem.
Gold im 100-Meter-Lauf bei den Olympischen Spielen, der erste Mensch der die Distanz in exakt 10 Sekunden auf der Aschebahn läuft und der letzte Europäer, der den 100-Meter-Weltrekord gehalten hat – braucht es mehr um ein Held der Nation zu sein? Ja. Das zeigt die Geschichte des deutschen Armin Hary. Sie steht stellvertretend für einige herausragende Sportlerkarrieren und das Problem Deutschlands, einstige Helden angemessen zu ehren.
Dass er einmal ein erfolgreicher Läufer sein wird, war zunächst nicht abzusehen. Armin Hary, geboren in Quierschied 1937, einer Gemeinde im Saarland, spielte zunächst Fußball, ehe er mit 16 Jahren zur Leichtathletik wechselte. Er begann als Zehnkämpfer, merkte jedoch schnell, dass die Sprintdisziplinen alleine mehr Erfolg versprechen. Trainer Bert Sumser holte ihn an den Rhein zu Bayer 04 Leverkusen. Dieser Wechsel war der Startschuss einer außergewöhnlichen Karriere. Noch im selben Jahr, 1957, wird er Deutscher Vizemeister im 100-Meter-Lauf mit einer Laufzeit von 10,5 Sekunden. Nur ein Jahr später wird er auf dieser Strecke Europameister in Stockholm und holt mir der Staffel ebenfalls Gold. Hary ist in der Weltspitze angekommen.
Am 6. September 1958, inzwischen im Laufshirt des FSV Frankfurt, lässt er die Welt aufhorchen. Er läuft in Friedrichshafen die 100 Meter in handgestoppten 10,0 Sekunden. Doch dann die Ernüchterung. Da die Bahn elf statt der maximal zulässigen zehn Zentimeter Gefälle aufwies, wurde sein Rekord offiziell nicht anerkannt.
Doch wer Armin Hary kennt, weiß, dass dieser sich als Leichtathlet nie entmutigen ließ. Er wusste, seine Zeit wird kommen. Im Bewusstsein seiner Verfassung will Armin Hary gleich die nächste Gelegenheit nutzen, den Rekord nun auch offiziell aufzustellen. Doch der Deutsche Leichtathletikverband hat andere Pläne. Um ihn zu schonen, soll er vor den Olympischen Spielen 1960 nicht mehr an Wettkämpfen teilnehmen. Hary jedoch zeigt dafür kein Verständnis und will beim Leichtathletik-Event in Zürich starten. „Keiner weiß doch besser, was gut für mich ist“, erklärt er viele Jahre später dazu. Das Letzigrund-Stadion, schon damals eine der Top-Adressen für Leichtathletik-Meetings, sollte sein Rekord-Ort werden.
Hary meldete sich selbst an zum Event und bekam kurzfristig die Startzusage. So kurzfristig, dass alle Flüge nach Zürich ausgebucht waren. Er musste eine Transportmaschine nehmen und erreichte die Schweiz erst wenige Stunden vor Wettkampfbeginn. Eine gute Vorbereitungsphase sieht wahrlich anders aus. Doch Armin Hary, stets fokussiert, kannte sein selbstgewähltes Missionsziel. Und tatsächlich: Am Ende stand die 10,0 – Armin Hary war nun auch offiziell der erste Mann, der die 100 Meter in genau 10 Sekunden lief.
Wer nun jedoch glaubte, dass diese Fabelzeit, er bekam dafür später vom japanischen Kaiser sogar eine Medaille aus purem Gold überreicht, das Verhältnis zu den Verbandsfunktionären bessern sollte, sah sich getäuscht. „Rom waren meine Spiele – ich wollte mich rächen, für alles, was sie mir angetan hatten“, sagte Armin Hary Jahrzehnte später über die Olympischen Spiele, mit denen er endgültig zu einer Leichtathletik-Legende wurde. Eine Legende, die im eigenen Land jedoch wenig zählt. Bis heute.
Zwei Goldmedaillen bringt er mit, die für den 100-Meter-Einzelwettbewerb und die zweite für die Staffel. Nur ein Jahr später beendet er bereits seine Karriere. Nach einem Streit um eine Spesenabrechnung mit dem Verband wirft Hary hin und steigt ins Immobiliengeschäft ein. Heute ist es um ihn weitgehend still geworden. „Es ist traurig, dass das, was ich für Deutschland geleistet habe, in Amerika offenbar mehr Wertschätzung erfährt als in meiner Heimat“, bedauerte Hary 2018 in einem Gespräch mit der Welt am Sonntag. Dieser Satz beinhaltet nicht nur eine große Portion Enttäuschung, sondern hatte einen konkreten Anlass. Hary hatte zu diesem Zeitpunkt seine Trophäen und Medaillen in die USA verkauft. Nach eigener Auskunft gab es aus Deutschland kein Interesse, wenngleich jedes Sportmuseum sich eigentlich geehrt fühlen sollte.
„Je näher der 15. Dezember kommt, an dem alles abgeholt wird, umso schlechter kann ich schlafen“, sagte Hary. „Das Ganze regt mich maßlos auf. Manchmal ist mir sogar zum Weinen zumute, wenn ich daran denke.“ Diese Worte im Interview klingen fast wie ein Hilferuf. Ein Hilferuf nach Anerkennung. Doch sie bleiben ungehört.
Wenn bei den Olympischen Spielen heute über die 100 Meter geredet wird, kommt Hary kaum zu Wort. Als Experte ist er selten im Fernsehen zu sehen. Dabei verfolgt er seine Disziplin bis heute und kann profund analysieren. Man muss ihn nur fragen. Gegenüber der Münchener Abendzeitung beklagte er das Fehlen eines echten Aushängeschildes nach dem Karriereende von Usain Bolt. Auch mit Kritik an deutschen Sprintern sparte er nicht. Er beklagt mangelnde Wettkampfhärte.
In der Tat hat es kein Deutscher nach Armin Hary beschafft, auch nur noch annähernd in die Nähe der olympischen Goldmedaille im 100-Meter-Lauf zu kommen. Umso mehr Wertschätzung hat Armin Harys Karriere verdient. Ob der heute 84-Jährige sie noch erfahren wird? Als Experte im öffentlich-rechtlichen Fernsehen vielleicht? Als Sportbotschafter an Schulen? Als Markenbotschafter? Möglichkeiten gäbe es viele. Zweifel sind aber berechtigt.
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