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Die Karriere des Rudolf Caracciola

Im Schatten seiner Nachfolger

Die Karriere des Rudolf Caracciola - Im Schatten seiner Nachfolger
Rudolf Caracciola beim Großen Preis von Monaco 1937 im Mercedes-Benz W 125, die zweite Generation des Silberpfeils. © Le miroir des sports

204 abgeschlossene Rennen, 144 Siege, drei Grand-Prix-Europameistertitel, ein Name: Rudolf Caracciola.

Florian Quanz07.10.2021

Kaum ein Rennfahrer dominierte seine Zeit so sehr wie "Carratsch", wie Rudolf Caracciola liebevoll genannt wurde. Der Mythos um die Mercedes-Silberpfeile wäre ohne ihn undenkbar. Und dennoch sind er und seine Karriere weitgehend in Vergessenheit geraten. Vielleicht, weil sein Privatleben frei von Skandalen blieb, vielleicht, wie einst der "Spiegel" mutmasste, er nicht, wie viele andere Rennfahrer seiner Zeit, sein Leben bei einem Rennen verlor.

Rudolf Caracciola wird als Sohn des Hoteliers und Weingroßhändlers Otto Maximilian Caracciola und dessen Frau Mathilde in Remagen im heutigen Rheinland-Pfalz geboren. Seine Eltern, stolze Besitzer eines Mercedes 16/45, ermöglichen ihm erste Fahrversuche. Sein Talent wird schnell erkannt, weswegen er bereits mit 15 Jahren eine Sondererlaubnis erhält, die Fahrprüfung abzulegen. In seiner 1958 erschienenen Biografie „Meine Welt“ erklärt er rückblickend: „Ich glaube, dass jeder Mensch alles erreichen kann, was er will. Ich wollte Rennfahrer werden, von meinem vierzehnten Lebensjahr an.“ Der erste Schritt ist mit der bestandenen Prüfung getan und somit auch schon früh der Weg zum Rennfahrer vorgezeichnet. Mit 21 Jahren gewinnt er 1922 sein erstes Rennen, jedoch nicht in einem Rennauto, sondern auf dem Motorrad. Er gewinnt "Rund um Köln", heute der Titel eines Fahrradrennens, damals ein Motorsportwettbewerb.

Als Angestellter des Aachener Automobilbauers Fafnir, Caracciola arbeitet dort als Verkäufer, darf er im selben Jahr beim später legendär gewordenen Avus-Rennen in Berlin an den Start gehen. Die Avus, heute das nördliche Teilstück der Autobahn 115, war bei ihrer Eröffnung 1921 die erste ausschließliche Autostraße der Welt. Caracciola belegt den vierten Platz und zeigt damit, dass er mit den Besten des Motorradsports mithalten kann. 

Als Glücksfall sollte sich der Umstieg auf ein Rennauto herausstellen. Bei einem Rennen in einem Kleinwagen der Berliner Marke Ego im Berliner Grunewaldstation siegt "Carratsch" sensationell. Ihm wird klar, dass dies seine Zukunft sein muss. Um in einem professionellen Umfeld arbeiten und fahren zu können, bewirbt er sich bei der Daimler-Motoren-Gesellschaft, kurz DMG, und wird als großen Nachwuchstalent in die Rennfahrergruppe aufgenommen. 1923 fährt er als Werksfahrer mit einem Mercedes-6/25/40-PS-Kompressor-Sportwagen in Baden-Baden sein erstes Rennen und gewinnt. Was folgt, sind elf weitere Siege in diesem Jahr.

Im Jahr 1926 hat Rudolf Caracciola gleich doppelt Grund zur Freude. Er heiratet nicht nur seine Freundin Charlotte Liesen, er gewinnt auch den Großen Preis von Deutschland auf der Berliner Avus. Und wie! Bei sintflutartigem Regen fährt er überlegen an der Spitze das Rennen und erhält anschließend von der begeisterten Presse den Beinamen Regenmeister. Nun hat er auch seine letzten Kritiker überzeugt, und ist endgültig in der Weltspitze angekommen. Der Karrierehöhepunkt sollte aber noch auf ihn warten.

Doch was hat "Carratsch" oder der "Regenmeister" den anderen Fahrern voraus? Rückblickend beschreibt der Rennleiter des Mercedes-Benz-Grand-Prix-Teams Alfred Neubauer es so: "Für mich war Rudolf Caracciola der grösste Rennfahrer der zwanziger und dreißiger Jahre und vielleicht auch aller Zeiten. Er vereinte in sich eine aussergewöhnliche Konzentration, in Verbindung mit körperlicher Stärke und Intelligenz."

Rudolf Caracciola
Rudolf Caracciola

Genau diese Attribute prägen die nachfolgende Ära der Silberpfeile. Zwischen 1934 und 1939 gewinnt er dreimal die Grand-Prix-Europameisterschaft, heute vergleichbar mit dem Gewinn der Formel-1.Bemerkenswerte Randnotiz: Im Februar 1934 kommt seine Frau bei einem Lawinenunglück in der neuen Wahlheimt, der Schweiz, ums Leben. Dieser Verlust macht Caracciola nur noch stärker. Er liefert sich in dieser Zeit legendäre Duelle mit Manfred von Brauchitsch und Hans Stuck, von denen Kenner heute noch ehrfürchtig schwärmen. Es ist nicht nur der unfassbare Rausch der Geschwindigkeit, der zu dieser Zeit imponiert, noch mehr ist es der Mut, der Fahrer. Rennsport bedeutete auch immer ein Spiel mit dem Tod zu spielen. Belege gibt es zu viele.

In Erinnerung geblieben sind vor allem Rückblickend die Formel-1-Todesunfälle von Wolfgang Graf Berghe von Trips 1961 in Monza und Ayrton Senna 1994 in Imola. Wenn WeltN24-Chefredakteur Ulf Pochardt in seinem Buch "Mündig" Ayrton Senna als den Inbegriff von Freiheit herausstellt, weil dieser sich nicht nur an seiner eigenen körperlichen Leistungsgrenze im Rennwagen bewegte, sondern zugleich immer auch selbstgewählt an der Grenze zwischen Leben und Tod, so trifft dies auch auf Rudolf Caracciola zu.

Mit seinen drei Grand-Prix-Europameisterschafts-Siegen steht sein Name wie kein zweiter für die Erfolge der Silberpfeile. Dabei ist es ein Zufall, dass der Begriff Silberpfeil überhaupt geboren wird und die Mercedes-Rennwagen in silbern glänzendem Aluminium unterwegs sind. Beim Internationalen Eifelrennen am 3. Juni 1934 sind die Rennwagen von Mercedes zu schwer. Das zulässige Maximalgewicht von 750 kg wird um ein halbes Kilo übertroffen. Nun ist guter Rat teuer. Die Teilnahme des Rennstalls und somit auch Caracciolas ist gefährdert. Da kommt Alfred Neubauer eine Idee. Er lässt die weiße Farbe abkratzen, die Farbe Deutschlands im damaligen Rennsport. Zum Vorschein kommt die silberne Farbe des blanken Aluminiums. Tatsächlich sind die Rennautos nun leicht genug und der Name Silberpfeil ist geboren. Der Name wird frortan auch vom Rennteam verwendet und aus Aberglaube nach ersten Erfolgen nie wieder geändert.

Doch warum ist Rudolf Caracciola, der in seiner Karriere ganze 144 Siege feiert, und zudem 1931 als erster Nicht-Italiener die legendäre Mille Miglia gewinnt, heute weitgehend in Vergessenheit geraten? Fehlt wirklich das wie vom Spiegel-Magazin geschrieben tragische Ende, der Unfalltod auf der Rennstrecke? Caracciola stirbt 1959 an Leberversagen in Kassel. Diese Antwort wäre zu simpel. Zumal es tatsächlich Versuche gibt, die Erinnerung an die Karriere von "Carratsch" wach zu halten. In seinem Geburtsort Remagen steht ein Denkmal, am Nürburgring hat man 2017 eine Gedenksäule enthüllt und die berühmte Kurve auf der Nordschleife zuvor nach ihm benannt. Das Caraccioila-Karussell, so der Name, erinnert an ein waghalsiges Manöver von Rudolf Caracciola. Als erster fuhr er absichtlich in dieser engen Linkskehre unter Zuhilfenahme des Straßengrabens auf der Innenseite, wodurch er eine deutlich höhere Geschwindigkeit erreichte. Kein Risiko war ihm zu groß, um zu triumphieren.

Die Tragik in dieser außergewöhnlichen Karriere liegt darin begründet, dass Deutschland zum einen nachfolgend drei Jahrzehnte lang keine Fahrer mehr in der Weltspitze hatte und danach ab den 1990er Jahren weitere große Fahrer die Rennbühne betraten, neben Sebastian Vettel muss hier allen voran Michael Schumacher genannt werden, der sieben Mal die Formel-1 gewann und als weltweite Rennlegende angesehen wird. Schumacher wird noch immer von der Presse gefeiert und an ihn erinnert, obwohl er seine Karriere 2012 endgültig beendete. Das liegt vor allem darin begründet, dass er seit einem schweren Skiunfall 2013 nicht mehr in der Öffentlichkeit auftritt. So sehr ein Michael Schumacher, den Netflix gerade mit einer Dokumentation ehrt, zu Recht im Ansehen über anderen Fahrern steht, so sehr hätte die Karriere von "Carratsch" heute mehr Aufmerksamkeit verdient. Das Leben von Rudolf Carraciola liefert den Stoff für einen Spielfilm. Er ist meist vorneweg gefahren und steht nun doch im Schatten seiner Nachfolger. Zeit, ihn wieder ins rechte Licht zu rücken.


Weitere Sporthelden Deutschlands sind heute weitgehend in Vergessenheit geraten. Dazu zählen unter anderem der Tennisspieler Gottfried von Cramm und der Sprinterstar der Leichtathletik, Armin Hary. Ihre Geschichten können Sie hier nachlesen: 

Gottfried von Cramm: Vom Rampenlicht in die Vergessenheit

Armin Hary: Pures Gold und doch wenig Anerkennung