Rezension
Vom Rampenlicht in die Vergessenheit
Zweitbester Tennisspieler seiner Zeit, überzeugter Nazi-Gegner, erfolgreicher Unternehmer und bisexueller Lebemann – oder schlicht beim Namen genannt Gottfried von Cramm. Jens Nordalm, Redenschreiber für Bundeskanzlerin Angela Merkel, Autor der Zeit und der FAZ sowie zuletzt Leiter des Kulturteils des Cicero, hat ihm eine Biografie gewidmet. Ihr Titel: „Der schöne Deutsche“.
Gleich zu Beginn des Buches schildert Nordalm eine Szene mit Groucho Marx, dem berühmten Hollywood-Schauspieler. Es ist der 20. September 1937 in Los Angeles. Im Angesicht der Machtübernahme der Nazis in Deutschland wollen hundert Hollywood-Größen demonstrativ ihre Plätze bei den Pacific Southwest Championships verlassen, wenn der deutsche Gottfried von Cramm den Tennisplatz betritt. Doch es kommt anders. „Als ich diesen Mann sah, empfand ich sofort Scham, das zu tun, was wir uns vorgenommen hatten“, zitiert Nordalm Marx. Cramm hinterlässt schon beim Betreten des Platzes einen so vornehmen und bescheidenen Eindruck, der personifizierte Gegenentwurf der Nazis, dass niemand seinen Platz verlässt. Wie sehr dieser erste Eindruck nicht täuschte, wird Seite für Seite dieser Biografie immer deutlicher.
Für Jens Nordalm, so schreibt er in der Biografie, war klar, dass mit dieser Szene das Buch beginnen müsse. Es ist eine von vielen starken Szenen, die der Autor im Laufe der Biografie schildern wird und im Angesicht des gesamten Werkes hätte diese auch nicht darunter gelitten, wenn er die Szene erst später dem Leser ausgebreitet hätte. Aber sie weckt sofort Interesse, zieht den Leser in eine Welt, die weitgehend unbekannt sein dürfte, so wie in heutiger Zeit der Hauptprotagonist Gottfried von Cramm.
Die Idee zu Biografie entstand beim Betrachten eines Bildes, wie Autor Jens Nordalm bei der Buchpräsentation in Berlin erklärt. Ein Porträtfoto von Lisa von Cramm, zeitweilige Ehefrau von Gottfried, gelangt in seine Hände. Es zeigt eine Dame mit kurzen, strengen Haaren, die lässig auf einer Stuhllehne hockt. Ein Bild voller Freiheit und Selbstüberzeugung, wie man es in den 1930er Jahren nicht vermutet hätte. Einer von mehreren Irrtümern, mit denen Jens Nordalm in der Biografie aufräumt. Bei Recherchen zu dem Foto, für das sich die Fotografin Marianne Breslauer verantwortlich zeigte, stößt Nordalm auf Gottfried von Cramm und eine der außergewöhnlichsten Sportlerbiografien.
Die Stärke dieses Buches liegt darin, dass Nordalm nicht seinen Blick stur auf Gottfried von Cramm richtet. Die Biografie ist zugleich auch in wesentlichen Teilen die Lebensgeschichte von Gottfrieds Mutter Jutta und der bereits erwähnten Lisa von Cramm und zeichnet fein- und detailreich so nicht nur ein Porträt des damals berühmtesten deutschen Tennisspielers, sondern schildert gar umfangreich ein Kapitel deutscher Kultur- und Zeitgeschichte.
Florian Illies, Bestsellerautor, Freund von Jens Nordalm und Moderator der Biografiepräsentation, erklärt dazu: „Die Liebe des Autors für Lisa von Cramm und ihr Porträt ist auch auf die Schwiegermutter übergegangen.“
Gottfried von Cramm kommt über Freunde seiner Eltern mit dem Tennissport in Berührung. Der Sohn einer Adelsfamilie aus Niedersachsen, genauer gesagt aus dem Raum Hildesheim, spielt täglich mehrere Stunden auf den familieneigenen Plätzen auf Schloss Bodenburg oder Oelber. Die dortigen Tennisplätze sind bis heute erhalten geblieben. Cramm, so erzählt es Nordalm, soll so lange präzise seinen Aufschlag trainiert haben, dass an einer Stelle der Putz an der Wand abbröckelte. Mit Blick auf den Sportler wird das Bild eines ehrgeizigen, aber zugleich absolut fairen Sportsmannes gezeichnet. Im Laufe seiner Karriere ist Gottfried von Cramm gern gesehener und erfolgreicher Gast beim Hamburger Turnier und gewinnt viele weitere bedeutende Turniere, darunter 1937 die French- und US-Open. Doch ein Sieg blieb ihm zeitlebens verwehrt – der auf dem heiligen englischen Rasen. „Gottfried von Cramm ist der beste Spieler, der nie Wimbledon gewann“, erklärt Nordalm bei der Buchpräsentation mit einem Lächeln im Gesicht. Nicht der einzige Wehrmutstropfen in der dieser Sportlerkarriere. Nie erklimmt von Cramm die Weltspitze. 1935 muss er Fred Perry den Vortritt lassen, wenngleich Lisa von Cramm die Richtigkeit des Rangkings anzweifelt.
Spannend sind nicht nur die sportlichen Erfolge und die damit zusammenhängenden Randbemerkungen. Von Cramm spielt stets in langen weißen Hosen und ist die personifizierte elegante Ästhetik. Nordalm räumt zudem mit dem Vorurteil auf, dass zu dieser Zeit die Zuschauer auf der Tribüne sich vornehm benahmen und frenetischer Jubel verpönt gewesen sei. Im Gegenteil: Selbst die ach so reservierten Englänger reißt von Cramm mit seinem harten, präzisen Tennisspiel von den Sitzen. Einen besseren sportlichen Werbeträger konnte sich Deutschland eigentlich nicht wünschen, doch für die Nazis wird er zunehmend zum Problem.
Gottfried von Cramm ist ein überzeugter Nazi-Gegner und kritisiert etwa öffentlich den Ausschluss seines jüdischen Teamkameraden Daniel Prenn aus dem Davis-Cup-Team. Alle Versuche Hermann Görings, Clubkamerad von Gottfried bei Rot-Weiß Berlin, ihn für die NSDAP zu gewinnen, scheitern. So muss es fast zwangsläufig zu Konfrontationen kommen. 1937 wird er erstmals von der Gestapo verhört, der Vorwurf lautet sexuelle Beziehungen zu männlichen Personen. In der Tat unterhält Gottfried von Cramm über viele Jahre hinweg Kontakt zu mehreren Männern, was mit Freundschaft allein nicht beschrieben werden kann. Diese Beziehungen sind auch von seinen Ehefrauen, er ist nach Lisa von Cramm mit Barbara Hutton, der damals reichsten Frau der Welt, verheiratet, und so im weltweiten Rampenlicht, geduldet. Wohl auch, weil Lisa von Cramm selbst dem weiblichen Geschlecht nicht abgeneigt ist zu dieser Zeit.
Die Verhaftung durch die Gestapo ein Jahr später ist für Gottfried der Tiefpunkt seiner Karriere, treibt ihn fast in den Selbstmord, ist aber für den Biografen Jens Nordalm ein Glücksfall. Die Verhörprotokolle von 1938 zeichnen ein genaues Bild der Lebensverhältnisse des Tennisstars, der seit einigen Jahren in Berlin lebte.
Die vorliegende Biografie liefert eine detailreiche, satte Schilderung von der schillernden Persönlichkeit und der ausschweifenden Sexualität des Gottfried von Cramm, auch dank mühevoller Auswertung vieler Briefkorrespondenzen. Jens Nordalm ist es vortrefflich gelungen, dem menschenverachteten, hässlichen Nazi-Regime den „schönen Deutschen“, Gottfried von Cramm, entgegenzustellen. Dass die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg etwa kurz kommt, ist dem Umstand geschuldet, dass von Cramms Unternehmertum bei Weitem nicht dem Glanz früherer Jahre nahekommt. Allein die Antwort auf die Frage, wieso Gottfried von Cramm aus dem kollektiven Gedächtnis der Deutschen verschwunden ist, bleibt Jens Nordalm schuldig. Mit dieser Biografie kann sich das jedoch ändern. Hoffentlich. Gottfried von Cramm hätte es verdient. Die Biografie auch. Absolut lesenswert.
Jens Nordalm, "Der schöne Deutsche – Das Leben des Gottfried von Cramm", Rowohlt 2021, 285 Seiten, 24 Euro
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