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Buch des Monats

Kämpfen – jetzt erst recht

Buch des Monats - Kämpfen – jetzt erst recht

Nicht nur Terroristen bedrohen die Freiheit. Michael Rutz (RC Hamburg-Altona) zeigt auf, wo und durch wen sie noch gefährdet ist.

01.08.2016

Das Buch ist aktueller, als sein Herausgeber beim Schreiben vermutlich geahnt hat. Nicht nur Terroristen bedrohen die Freiheit, sogar die demokratisch gewählte Regierung der Türkei geht nach dem gescheiterten Putsch daran, die Demokratie und damit die Freiheit im Land einzuschränken. Da kommt das neue Werk von Michael Rutz gerade recht: „Der Freiheit eine Gasse“. „Freiheit“, schreibt er, „geht leicht abhanden, man muss um sie kämpfen.“ Und das tut der frühere Chef­redakteur des Rheinischen Merkurs. Sechs Autoren hat er in dem Band versammelt, sechs Autoren unterschiedlicher Herkunft, die aus ihrer Perspektive schildern, „was es heute zu verteidigen gilt“, wie der Untertitel des Buches heißt.

Es sind nicht nur autokratisch gesinnte Machthaber, die die Freiheit beschneiden. Jede Regierungsform, auch die demokratische, neige zu „Über-Regulierung“, behauptet Udo Di Fabio, von 1999 bis 2011 Richter am Bundesverfassungsgericht. „Wenn alle Probleme und Risiken auf das Kollektiv übertragen sind, entsteht beinah unmerklich ein Klima der Bevormundung.“ Wer eine freie Gesellschaft wolle, müsse Vertrauen in die „selbstexpansiven Tugenden der Bürger“ haben und mit den Unter­schieden leben können, die aus den eigenwilligen Entwürfen entstünden.

Zu einer freien Gesellschaft gehört für Di Fabio auch, dass keine „kulturell oder sozial verriegelten Räume“ entstehen – weder für sozial Benachteiligte noch für Einwanderer. Annette Schavan schluss­folgert denn auch in ihrem Beitrag: „Der Islam gehört zu Deutschland.“ Die deutsche Botschafterin beim Vatikan und ehemalige Bundesbildungsministerin stellt aber klar, „dass von allen erwartet wird, das Grundgesetz zu achten“. Dass zur Demokratie auch die Freiheit der Kunst gehört, versteht sich. Aber was, wenn Kunstwerke dermaßen provozieren, dass sie Bilderstürme auslösen? Für Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, ist die Sache klar: Kunst dürfe provozieren, sie ist „mehr als reine Unterhaltung durchs ver­meintlich Schöne“.

Die Grundsatzfrage stellt Philosophie-Professor Markus Gabriel: Hat der Mensch überhaupt einen freien Willen? Wem diese Debatte zu abstrakt ist, erfährt von Rüdiger von Voss und Lothar de Maizière, was es heißt, in einer Diktatur für die Freiheit zu kämpfen. Der Jurist von Voss erinnert an den Widerstand im nationalsozialistischen Deutschland, sein Vater Hans-Alexander von Voss gehört zu den Widerstandskämpfern des 20. Juli.

De Maizière, erster demokratisch gewählter Ministerpräsident der DDR, bringt in einem simplen Beispiel eindrucksvoll auf den Punkt, wie er die Wende erlebte und was Freiheit ist: „Die Einschränkung, dass mir jemand vorschreibt, was ich lesen darf, das fand ich eine ungeheuerliche Situation. Wenn ich heute in einen Buchladen gehe und etwas bestelle, dann sagen sie: Oh, das tut uns leid, aber morgen ist das Buch da, und sollen wir es Ihnen rumbringen? Das“, sagt de Maizière, „ ist für mich eine Wahnsinnserfahrung.“


 

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