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Buch des Monats

» Mein Rat ist eine Zumutung «

Buch des Monats - » Mein Rat ist eine Zumutung «
C. Bernd Sucher: Der kleine Theaterversteher - Alles, was auf, vor und hinter der Bühne geschieht, Verlag C.H. Beck, 272 Seiten, 16,95 Euro, E-Book: 13,99 Euro, Österreich: 17,50 Euro © C.H.Beck

Mit Kartenkaufen, Hinsetzen und Zuschauen ist es nicht getan. Theater ist mehr. C. Bernd Sucher sagt, worauf es ankommt.

14.10.2016

Spontan ins Theater gehen? Nicht mit C. Bernd Sucher. „Niemand sollte unvorbereitet in eine Theater- oder Opernaufführung gehen“, warnt der langjährige Feuilletonist und Professor für Theater und Filmkritik, räumt aber sofort ein: „Mein Vorschlag ist eine Zumutung.“ In der Tat. Wer studiert schon vor jedem Theaterbesuch das Theaterlexikon, vergleicht die Rezensionen und schaut sich Aufzeichnungen von Aufführungen auf DVD oder YouTube an? Wahrscheinlich nicht einmal die meisten Abonnenten, obwohl sie lange im Voraus wissen, welches Stück sie sich ansehen werden.

Auf was die Theaterbesucher achten sollen, um zu begreifen, was auf der Bühne geschieht, erklärt Sucher in seinem neuen Buch  „Der kleine Theaterversteher“. Es ist kein Theaterlexikon, ein solches hat er schon 2010 geschrieben. In seinem neuen Buch will er die „Zuschauer sensibilisieren für das, was sie sehen – und manchmal nicht wahrhaben wollen“. Er möchte ihre „Wahrnehmung“ schärfen. Warum betritt ein Schauspieler die Bühne von rechts, wann von links? Wie unterschiedlich wirkt das aufs Publikum? Welche Reize lösen die Art der Beleuchtung aus, welche das Bühnenbild, die Musik oder eingespielte Videos? Die Theatermacher überlassen nichts dem Zufall. Regisseure, Dramaturgen, Bühnen-, Kostüm- und Maskenbildner stimmen sich ab, um beim Zuschauer Wirkung zu erzielen.

Unterlegt mit Beispielen, erzählt Sucher, was den Regisseur vom Dramaturgen unterscheidet, wie die Theaterberufe entstanden sind, die wir heute für selbstverständlich halten. Offensichtlich, so vermutet er, existierten schon im antiken Griechenland „Männer, die die Funktion von Spielleitern hatten“. Berufsregisseure gab es aber zuerst im 19. Jahrhundert in Frankreich. Der deutsche Dramatiker August von Kotzebue schwärmte 1804 nach seinem Paris-Besuch von den sorgfältigen Theaterproben dort. Während die Franzosen vor der Aufführung auf der Bühne übten, begnügten sich die Deutschen „mit Leseproben am großen Tisch“ – getreu dem Theaterverständnis von Goethe und Lessing: „Die Szene ist unwichtig. Der Text und seine Verständlichkeit sind alles.“

Dem markt widersetzen

Sucher geht durch die Jahrhunderte und erläutert, wie und warum sich das gewandelt hat – und wieso sich Theaterleute in Deutschland mehr herausnehmen dürfen als anderswo. Dank der hier üblichen Subventionen könnten sie sich „unter bestimmten Voraussetzungen und in Grenzen dem Markt widersetzen“. Im Klartext: Sie müssen nicht immer darauf achten, ob ihre Inszenierungen überhaupt jemand sehen möchte.

Das alles und noch mehr sollen Theater- und Opernbesucher wissen? Ja, ist Sucher überzeugt. „Theater ist kein Wohlfühlclub, Theater muss wehtun dürfen, es will die Gesellschaft nicht bloß abbilden, sondern kritisieren, gar verändern.“ Die Absicht der Theatermacher, so Sucher, kann nur wahrnehmen, wer sich vorbereitet hat. Nichts ist mit Spontanität.


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