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Rotary Entscheider

Fortschritt durch Schönheit

Rotary Entscheider - Fortschritt durch Schönheit
Ein kunstaffines Elternhaus prägte Lilli Holleins Weg: Der Vater war ein berühmter Architekt, die Mutter Modezeichnerin. Auch ihr Bruder ist Museumsdirektor. © Katharina Gossow

Das Museum für angewandte Kunst (MAK) in Wien widmet sich dem Schönen im Alltag, quer durch die Jahrhunderte. Die neue Generaldirektorin Lilli Hollein will es aber nicht beim Blick zurück belassen.

01.04.2022

Wie alle Kulturinstitutionen haben auch die Museen unter den zwei Pandemiejahren stark gelitten. Mitten in der Krise, vor einem halben Jahr, hat Lilli Hollein die Leitung des MAK übernommen. Ihr Verständnis von einem Museum geht über das Bewahren hinaus, sie will nicht nur von Vergangenem erzählen, sondern Brücken schlagen in die Zukunft.

Wie hat Ihr Haus die Pandemie bisher überstanden?

Natürlich spüren wir die fehlenden Einnahmen, es war ein dramatischer Verlust, aber der fehlende Tourismus trifft uns nicht so stark wie andere, weil wir stark im heimischen Publikum verankert sind. Das Positive war: Wir haben gesehen, wie viele Menschen mit Kulturinstitutionen emotional verbunden sind. Die Besucherzahlen erholen sich jetzt wieder, aber wir werden nicht so schnell auf das Niveau von vor der Pandemie zurückkommen.

Sind Sie auch so stark wie andere Museen auf Online ausgewichen?

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Lilli Hollein über Forschung im MAK: „Wir haben viele Bestände, über die wir noch viel mehr wissen wollen“ © www.leonhardhilzensauer.com

Nun, der Großteil war vor meiner Zeit, da wurde eine Vielzahl an Angeboten geschaffen, wie die Audioserie „Nachdenkereien“ et cetera. Uns geht es um Angebote, die langfristig interessant sind. Wir haben zum Beispiel einen neuen kostenlosen Audioguide für Smartphones entwickelt. Natürlich ist Online eine Möglichkeit, zumal die digitale Seite einer Institution wie unserer ein wichtiges Standbein ist. Online ist eine enorme Bereicherung, aber das Digitale ersetzt nicht das Erleben im Museum.

Ein Museum ist ein Aufbewahrungsort für historisch wertvolle Gegenstände. Braucht man eigentlich Besucher, um Geschichte zu pflegen?

Natürlich! Eine Aufbewahrung hinter verschlossenen Türen wäre ja nur ein Depot. Unsere Aufgabe ist es schon, Exponate zugänglich zu machen. Und das Bewahren ist ja mehr als nur ein Aufbewahren, mehr, als nur dafür zu sorgen, dass Dinge nicht zerfallen. Das Bewahren bedeutet ja auch, es in einer Gesellschaft als etwas Wertvolles zu verankern, dafür müssen wir es immer wieder neu erzählen.

Auf Ihrer Homepage heißt es: Das MAK ist die direkte Verbindung zwischen der Kulturgeschichte und der gegenwärtigen Lebens- und Produktwelt. Kann man die reine Gegenwart schon ins Museum stellen?

Wir stellen sogar die Zukunft ins Museum! Das MAK als das interdisziplinärste der österreichischen Bundesmuseen verbindet die Gegenwart mit den drängenden Fragen der Zukunft. Daran arbeiten ja alle Kreativbranchen, ob Architektur oder Produktdesign und so weiter. Die Gegenwartskunst ist ja auch in anderen Museen nichts Ungewöhnliches.

Sie sind jetzt seit einem halben Jahr im Amt. Welchen Stempel wollen Sie dem Haus einmal aufgedrückt haben?

Einen Stempel aufzudrücken wäre eine Anmaßung. Das MAK besteht an diesem Ort seit 150 Jahren und es ist schön, dass man einen Abschnitt prägen kann. Wichtig ist mir ein Signal der Offenheit, also zu zeigen, dass Museen allen gehören. Da hat das MAK eine gute Ausgangsposition, weil viele unserer Inhalte allgemein vertraut sind, nicht immer in der Qualität, wie wir sie haben, aber vieles kennt man aus dem eigenen Umfeld. Damit sind wir mit weniger Schwellenangst konfrontiert als andere Museen. Und es geht um die Zusammenhänge von historischen und zeitgenössischen Designaufgaben und um gesellschaftliche Bezüge. Wenn man zum Beispiel die Mode betrachtet, kann man gesellschaftliche Themen nicht ausblenden. Da sieht man in den letzten Jahrzehnten eine unglaubliche Demokratisierung, andererseits auch einen Zusammenhang mit dem Klimaproblem. Genau solche Zusammenhänge wollen wir vermitteln. Da gibt es auch noch viel zu erforschen. Wenn wir etwa eine Ausstellung über Frauen der „Wiener Werkstätte“ machen, dann ist das auch ein gesellschaftspolitisches Projekt. Es geht immer um einen neuen Blickwinkel auf die eigene Vergangenheit.

Sie haben sich vor Ihrer Funktion im MAK viel mit Architektur und Design beschäftigt. Welchen Stellenwert hat Design heute im Alltagsleben?

Einen ganz Wesentlichen, der Designbegriff hat sich in den letzten 20 Jahren unglaublich erweitert. Wir reden heute nicht nur von Produktdesign oder dem, was man in den 80er Jahren unter italienischem Design verstanden hat. Design heute ist alles, was uns im Alltag prägt. Dabei geht es nicht nur um dreidimensionale Gegenstände, es geht auch darum, wie gesellschaftliche Prozesse gestaltet werden.

Mir fällt auf, dass Ihr Büro erstaunlich schmucklos wirkt. Ist das ein bewusstes Statement?

Es überrascht mich, dass Sie das so empfinden, aber es stimmt, es fehlt hier noch mehr Kunst. Zwei Wände sind noch leer, weil ich dafür noch keine Zeit hatte. Aber ich habe hier ein Sofa von Franz West, daneben einen Tisch von Heimo Zobernig und die Stühle sind von Hermann Czech. Es war jedenfalls eine bewusste Entscheidung, aus der prunkvollen ehemaligen Direktion auszuziehen. Der frühere Direktionsraum ist jetzt ein unglaublicher Gewinn, um auch die Gegenwart auf Augenhöhe mit historischen Schauräumen zeigen zu können. Ich wollte eine prunkvolle Umgebung nicht nur für historische Objekte, sondern ein entsprechendes Gleichgewicht auch für die Gegenwart.

Die aktuelle Ausstellung über Josef Hoffmann trägt den Untertitel „Fortschritt durch Schönheit“. Hoffmann hat ja bisweilen eine Villa von der Architektur bis zur Kaffeetasse durchgestaltet. Ist so ein Begriff von umfassender Schönheit im Alltagsdesign heute noch eine Anforderung?

So etwas wie das Palais Stoclet in Brüssel, wenn Sie das ansprechen, ist heute in der Form noch rarer, als es damals schon war. Der Schönheitsbegriff bei Hoffmann ist ähnlich dem in der Arts-and-CraftsBewegung, im Glauben, dass man die Gesellschaft damit auch verändern kann. Ich glaube, Schönheit definieren wir heute auch anders.

Ist Schönheit eine Tochter der Zeit?

Nein, es gibt eine total beständige Schönheit und eine künstlerische Qualität, die nicht zu jedem Zeitpunkt gleichermaßen geliebt wird, die aber immer sichtbar ist. Der Begriff der Schönheit beinhaltet heute auch, dass etwas beständig, umsichtig gedacht und sinnvoll ist und etwas hat, das berührt.

Design hat viel mit industrieller Produktion zu tun. Da gab es den Leitsatz „form follows function“. Gilt der noch?

Das kommt noch aus einer ganz anderen Bewegung. Es ist nicht gerechtfertigt, Funktionalität und Ästhetik gegeneinander auszuspielen. Aber ja, alles, was seine Funktion erfüllt, hat schon eine gewisse Schönheit.

Arbeiten Sie bei der Darstellung des zeitgenössischen Designs auch mit der Industrie zusammen?

Nun, ich freue mich über jeden Dialog mit der Industrie. Bei Kooperationen mit Industriebetrieben ist schon noch Luft nach oben, aber wir sind kein Beratungsunternehmen für die Industrie. Unsere Aufgabe ist es, zu erzählen und zu verdeutlichen. Wenn wir Industrieprodukte mit hoher Designqualität zeigen, erzählen wir auch etwas über die Zeit.

Ihr Bruder Max ist Direktor des Metropolitan Museum of Art in New York. Tauschen Sie sich da aus über das Konzept eines Museums?

Mein Bruder ist schon seit über 20 Jahren in dieser Funktion in unterschiedlichen Häusern und jetzt im Metropolitan, in einem der größten Museen der Welt. Wir haben eine gute Verbundenheit und reden über vieles. Meist ist es aber nur ein geschwisterlicher Austausch über Familiäres, der Beruf steht da nicht so im Vordergrund.

Sie sind Mitglied im Rotary Club WienStephansplatz. Am Stephansplatz steht eines der wichtigsten Werke Ihres Vaters, das Haas-Haus. Erweckt das in Ihnen besondere Gefühle?

Natürlich freut es mich, wenn ich heute sehe, wie begeistert dieses Haus nach wie vor oder mittlerweile aufgenommen wird und dass mein Vater in der Stadt, der er so verbunden war, an diesem so bedeutenden Platz etwas realisieren konnte. Es war damals ein unglaublicher Kampf, den auch wir als Kinder voll mitbekommen haben. Das Haus ist mit seiner Spiegelung eine große Verneigung vor dem Dom, und die Kombination von Alt und Neu ist heute das meistfotografierte Sujet.

Zuletzt noch eine Frage an Ihre Fachkenntnis über Design. Tritt Rotary da richtig auf?

Ich übe mich nicht gerne in Stilkritik. Wichtig ist das Gleichgewicht zwischen Auftritt und Anliegen, und das gelingt Rotary sehr gut.

Das Gespräch führte Hubert Nowak.