Hoffmeisters Empfehlungen
Frankreich hören und lesen
Geist und Lebensart nachspüren: die Grande Nation in Wort und Ton.
Wer in diesen Tagen Geist und mentalem Kern der Grande Nation nachzuspüren sucht, kommt, je nach Perspektive, zu unterschiedlichen, bisweilen konträren Ergebnissen. Schwankend zwischen elitärem Anspruch, Hedonismus, Hoffart, forciertem Liberalismus und revolutionärer respektive neosozialistischer Attitüde kreisen politische Klasse und Gesellschaft um sich selbst. Gegen Defätismus stehen kulturelle Konstanz, zauberische Landschaft und – Esprit.
Der klassische Reiseführer mit seinen zahllosen detailgenauen Hinweisen, Empfehlungen, Karten und Adressen hat keineswegs ausgedient, bekommt aber zunehmend Konkurrenz vom subtil inszenierten Reise-Hörbuch. Zu einer akustischen Exkursion durch Frankreich laden die vier Autoren der vorliegenden Produktion ein. Dabei vermögen die fünf CDs je nach Bedürfnis ebenso zur Reisevorbereitung beizutragen wie als Reisebegleiter oder -verführer zu fungieren. Denn obwohl das Land mit unzähligen betörenden Städte- und Landschaftstableaus, Kulturmonumenten und erlesener, vielgesichtiger Kulinarik aufwartet, vermag die Hör-Anthologie doch alle wesentlichen Aspekte touristischen Interesses zu spiegeln: In suggestiven Tongemälden begegnen wir bretonischen Langustenfischern, brandungsumtosten Felsküsten, burgundischen Weinbauregionen und der Côte d’Azur ebenso wie der Kathedrale von Chartres, der Markthalle von Le Havre, Loire- Schlössern oder Pariser Wegmarken wie Père Lachaise, Montmartre, Moulin Rouge oder Opéra Garnier. Magisches Kopfkino!
2019 jährt sich der Todestag des Komponisten Hector Berlioz zum 150. Mal. Grund genug für viele CD- und DVD-Labels, den Protagonisten der französischen Romantik mit opulenten Editionen zu würdigen. Zu den willkommenen Produktionen im Feld lieblos kompilierter Boxen zählen die zur Hommage gefügten Berlioz-Exegesen der Berliner Philharmoniker mit exemplarischen Werken des Meisters. Dirigenten-Legenden wie Claudio Abbado, Daniel Barenboim oder Mariss Jansons präsentieren an atmosphärischen Spielorten wie der Basilika des Escorial, der Istanbuler Hagia Irene und der ungarischen Staatsoper mustergültige Klangvarianz und Durchsichtigkeit.
Besonders der Süden Frankreichs gilt vielen Reisenden als unbedingter Sehnsuchtsort. Wer allerdings das Versprechen auf Schönheit, Kultur und Erkenntnis in Frankreich-Klischees sucht, bewegt sich am Wesentlichen vorbei. In skrupulöser Manier, kenntnisreich und emphatisch, führt Manfred Hammes’ (RC Offenburg-Ortenau) grundlegendes Kompendium entsprechend weniger in touristische Hotspots als in entlegene und/oder „authentische“ Orte. Dabei interessiert den Autor über Städte- und Landschaftserfahrung hinaus immer auch der kulturelle (und kulinarische) Kontext.
Noch in den letzten Weltkriegsjahren, im Jahrzehnt zwischen 1940 und 1950, erlebt die Welt-Metropole Paris eine bemerkenswerte geistig-kulturelle Renaissance. Impulse für die eminent aufgeladenen Diskurse der Zeit gaben Künstler, Intellektuelle, Schriftsteller, Musiker, Philosophen und Schauspieler wie Sartre, Picasso, Beckett, Giacometti, Miles Davis, Vian, Gréco, Camus oder Merleau-Ponty. Entlang extensiven Quellenstudiums lässt die französische Publizistin Agnès Poirier das Panorama einer der wirkmächtigsten intellektuellen und kreativen Epochen der Metropole erstehen. Eine kurzweilige wie anregende Lektüre.
- Agnès Poirier An den Ufern der Seine. Die magischen Jahre von Paris 1940–1950, Klett-Cotta, 508 S., 25 Euro
- Manfred Hammes Durch den Süden Frankreichs, Nimbus, 704 S., 1300 Illustrationen, 29,80 Euro
- Hector Berlioz Berliner Philharmoniker, Claudio Abbado et al., EuroArts 2054658, DVD, 87 Minuten, um 20 Euro
- Sehnsucht Frankreich Eine akustische Reise von der Bretagne bis nach Korsika, Der Hörverlag, 5 CDs, 18 Euro, Hörbuch
Martin Hoffmeister publiziert regelmäßig in nationalen und internationalen Magazinen und Zeitungen. Als Redakteur im Kulturressort des MDR-Hörfunk beobachtet er die Musik- und Literaturszene seit mittlerweile drei Jahrzehnten. Im Rotary Magazin empfiehlt er Neuerscheinungen aus dem Kulturleben und Fundstücke von seinen Reisen.
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