Peters Lebensart
Fritten mit Gabeln? Ketzerei!
Über frittierte Stäbe, gekochten Stampf und andere Kartoffelköstlichkeiten
Stilfrage: Wie isst man Pommes frites korrekt? Charles Baudelaire ließ da keinen Zweifel, als man ihm 1865 im belgischen Waterloo eine Fayence-Schüssel mit Fritten reichte. Der Poet verspeiste sie mit der Hand und sprach die geflügelten Worte: „Übrigens, das ist eine typische Pariser Geste, wie Pommes frites auch eine Pariser Erfindung sind. Es ist eine Häresie, sie mit der Gabel aufzuspießen!“
Hat er recht? Für Liebhaber des Fingerfood und besteckresistente Kinder sicherlich. Aber mit der Pariser Erfindung hapert es. Sicher, in den Notzeiten der Revolution wurden Pommes frites populär, aber das waren eher Bratkartoffelscheiben in Resten ranzigen Fetts geröstet. Der Erste, der wirklich frittierte, war ein bayerischer Wandermusikant namens Friedrich Krieger. Als Monsieur Fritz betrieb er 1838 auf der Lütticher Kirmes einen umdrängten Stand, in dem die Kartoffeln in kochendem Butterschmalz prasselten. So wurde er zum Ahnherr all der Frittenbuden auf Belgiens Marktplätzen, die bald auf billigeres afrikanisches Erdnussöl umstiegen.
Typisch Paris ist eher die Kombination „steak frites“, die den Kartoffelstäbchen den amerikanischen Namen „french fries“ eintrug. Heute sind Pommes zum Lieblingssnack der Menschheit avanciert, begleiten Berliner Currywurst genauso wie syrisches Kebap oder Kentucky Fried Chicken. Vorgegart, tiefgefrostet, plastikverschweißt, sind sie zum Inbegriff des Fast Food geworden. Kontrastprogramm: Französische Chefköche diskutieren, ob die handgeschnitzte Edelversion am besten in Entenschmalz oder gar Pferdetalg frittiert wird. Oder ob man gleich auf die ballaststoff- und vitaminreichere Süßkartoffel umschwenkt.
Es hat lange gedauert, bis das Nachtschattengewächs aus den Anden populär wurde. Man fürchtete sich vor Vergiftung und schätzte die Blüten mehr als die Knolle. Unser deutsches Wort Kartoffel, eine Verballhornung des italienischen „tartufo“ (Trüffel) kündet vom Misstrauen gegenüber der Erdfrucht. Erst im ausgehenden 18. Jahrhundert werden sie Volksnahrung, propagiert durch Wissenschaftler und Monarchen wie Friedrich II., auf dessen Grab in Sanssouci demonstrativ ein paar Kartoffeln liegen.
Der Inka-Import mutiert europaweit zu identitätsstiftenden „signature dishes“: schlorziger schwäbischer Kartoffelsalat, Schlesische Reibekuchen, Schweizer Rösti, Salzburger Erdäpfelkas, Thüringer Kartoffelklöße, Veroneser „gnocchi di patate“, spanische Tortilla. Ja, Erdäpfel stehen sogar Pate für die bayerisch-österreichische Schweinsbratentradition. Mit den Schalen ließen sich Ferkel billig mästen, während die Iren aus Armut die Schalen immer schon mitaßen – aus ernährungsphysiologischer Sicht höchst gesund.
Metamorphosen einer Verwandlungskünstlerin: vom süd-amerikanischen Exotikum zum interkontinentalen Arme-Leute-Essen, von der Sättigungsbeilage, vom Stampf und Brei zur vegetarischen Delikatesse. Mit dem Wiederanbau alter Sorten wie Bamberger Hörnla, Blauer Schwede, violetter Vitelotte oder tanggedüngter Bonnotte von der Atlantikinsel Noirmoutier werden Pataten in der Spitzenküche aufgewertet, während die schlichte Pellkartoffel mit Kräuterquark aus der Gastronomie verschwindet. Couch-Potatoes können dafür jetzt getrüffelte blaue Kartoffelchips knabbern. Oder ganz einfach nachschmecken, was schon 1621 der österreichische Abt Caspar Plautz auf Lateinisch notierte: „Salata ex bacaris sive papis ... Nimm gesäuberte, gekochte Erdäpfel, schneide sie in Rädlein, füge Öl, Essig, Pfeffer, Salz hinzu oder Zucker: Und koste es.“