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Peters Lebensart

Für Erdbeer-Enthusiasten

Peters Lebensart - Für Erdbeer-Enthusiasten
© Jessine Hein/Illustratoren

Sich im Laden die größten und besonders roten Erdbeeren herauszupicken, ist nicht unbedingt zielführend … Leckere Tipps zum Start in die Saison

Peter Peter01.05.2025

Je größer, desto süßer? Stimmt nur bedingt. Manche Turbobeere entpuppt sich als ziemlich wässrig. Auch dunkelrote Farbe muss kein Gütezeichen sein – im Gegenteil. Ich habe in Irland und Südengland köstlich ausgereifte hellrote „strawberries“ schätzen gelernt. Überhaupt sind die Britischen Inseln ein Paradies für Liebhaber dieser „Beeren“ (die botanisch streng genommen Rosengewächse sind) – sei es als „strawberries with whipped cream“ auf dem heiligen Rasen von Wimbledon oder beim stilechten Picknick bei den Opernfestspielen von Glyndebourne. Desserts wie Eton Mess mit zerbröselter Meringue oder das Fruchtmus Strawberry Fool belegen: Schlagsahne und Erdbeeren ergeben eine äußerst wohlschmeckende Mischung.

Dies wissen auch die Sizilianer, die trotz ihres heißen Klimas auf „panna“, auf Schlagsahne stehen. Um Agrigent reifen im Schatten von Zitronen- und Apfelsinenbäumen „fragoline“ – aromatische Walderdbeeren, die mit Pistaziensplittern und einem Tupfer Orangenmarmelade verziert auf winzigen Sahnesockeln thronen – süchtig machende Fruchttörtchen. Und in Messina oder auf den Äolischen Inseln labt man sich in heißen Sommermonaten mit einem Frühstück der besonderen Art. Erdbeersorbet „granita di fragola“ mit viel Sahne in einer frisch gebackenen Brioche! – Es geht auch leichter. In Rom und am nahen Nemisee, der für Wintererdbeeren berühmt ist, mariniert man die Früchte lediglich in Zitronensaft oder Maraschino.

Mühselig, bevor man auf heimischen Forstspaziergängen auch nur ein Händchen wilder Walderdbeeren zusammenhat. Das war nicht immer so. Im Mittelalter wurden auch bei uns Walderdbeeren kultiviert. Mariengemälde zeigen zu Füßen der Jungfrau miniaturhaft fein gemalte Pflänzchen. Wegen Bodennähe und Beugung des Stengels wurden sie als Symbol der Demut interpretiert, wegen ihrer Farbe als botanischer Verweis auf das Martyrium Christi. Sie konnten aber auch als Verführer gelten, siehe François Villons populäres Gedicht vom Erdbeermund.

Sendboten des Frühlings

Und unsere heutigen Erdbeeren, die wir als eine der heimischsten Obstsorten empfinden? Die kommen aus Amerika. Um 1750 gelang es bretonischen Züchtern, chilenische und nordamerikanische Pflanzen zur Urform unserer Gartenerdbeere zu kreuzen. Im 19. Jahrhundert wurden in Frankreich und den USA weiße Sorten gezüchtet, die wegen Geschmack und aparter Farbe in GourmetKreisen wieder gesucht sind. Als eine britische Supermarktkette vor gut zehn Jahren weiße Erdbeeren in ihr Programm aufnahm, glaubten fast alle an einen Aprilscherz! Ansonsten findet im Handel kaum Differenzierung nach Sorten statt. Insider sind allerdings bereit, für die betörend aromatische „Himbeererdbeere“ Mieze Schindler Höchstpreise zu zahlen.

Als historisch beschlagen erweisen sich die Österreicher. Die populäre Bezeichnung Ananas geht auf den barocken Gattungsnamen der Gartenerdbeere „Fragaria ananassa“ zurück. Egal ob burgenländische AnanasErdbeeren aus Wiesen, Beelitzer Früchte aus der Altmark, Beeren aus dem Alten Land oder dem badischen Schwetzingen – Erdbeeren sind eines der wenigen Produkte, die der landferne Konsument noch agrarisch unmittelbar erleben kann: Selbstpflücken auf Freilandfeldern ist angesagt. Vitamin- und antioxidantienreiche Erdbeeren sind ein Triumph der Frische. Trotz Spaghettieis, Roter Grütze, Strawberry Margarita und schnell gezauberter Supermarkttortenbodentorte: Am besten munden sie pur, von der Hand in den Mund. Und zusammen mit Spargel oder Rhabarber sind sie wunderbare Sendboten des kulinarischen Frühlings.

Peter Peter

Peter Peter ist deutscher Journalist und Autor für die Themen Kulinarik und Reise. Er lehrt Gastrosophie an der Universität Salzburg und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Außerdem schreibt er als Restaurantkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und ist Autor einiger ausgezeichneter Kulturgeschichten der europäischen Küche. Im Rotary Magazin thematisiert er jeden Monat Trends rund um gutes Essen und feine Küche.

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