Peters Lebensart
Der Hype um High Protein
Der Markt mit teuren Proteinprodukten boomt, aber gebraucht werden sie nicht
Ich habe schon einmal einen mit Protein gepimpten Fitnessriegel gekauft. Es war in einem Alpendorf vor einer Bergtour, und das Produkt klang irgendwie nach Energiezufuhr. Hat nicht schlecht geschmeckt vor dem finalen Gipfelsturm. Ansonsten dachte ich immer, Protein sei ein geheimnisvolles weißes Pulver, das Bodybuilder aus teuren Plastikdosen als Nahrungsergänzungsmittel löffeln. Vielleicht lebe ich ja in einer Blase im Tal der Ahnungslosen und habe noch nie Trendprodukte wie Proteinpudding, Protein-Porridge, High-Protein-Eiscreme oder Protein-Cookies erworben. Chemie war schon in der Schule nicht mein Lieblingsfach. Erst jetzt ist mir wirklich klar geworden, dass Protein und Eiweiß haargenau dasselbe ist.
Eiweiß also. Essen da nicht viele sowieso zu viel davon? Und wenn du tatsächlich Mangel verspürst, könntest du es dir auch in leckerer Form zuführen statt als anonymisiertes Surrogat. Ich begrüße, dass viele sich für vegetarische Lebensführung entschieden haben und auf fleischliches Eiweiß verzichten, das vom Körper leichter zu verwerten wäre als pflanzliches. Aber wie wär’s mit ungeflavourten Molkedrinks oder Molkekäsen wie norwegischem Gudbrandsdalen oder magerem Vorarlberger Zieger? Preisgünstiges Molkepulver soll ja ein beliebter Proteinzusatz sein. Kann man auch direkter zu sich nehmen.
Und dann gäbe es noch Proteinbomben wie Hülsenfrüchte. Deutschland und Österreich haben da nur spärliche Traditionen entwickelt. Die guten alten Linsensuppen sind auf dem Rückzug. Erbswurst ist ein Relikt aus Kaisers Zeiten und Dicke Puffbohnen lassen sich vielleicht noch im Münsterland auftreiben. Aber wir haben eine Fülle von Alternativen durch Sojaprodukte und orientalische Mezze, allen voran Hummus und Falafel. Wir können uns an der Cucina Italiana inspirieren, die seit der Antike Gerichte aus Platterbsen, Saubohnen oder schwarzen Kichererbsen zaubert. Meine Versuche mit Erbsmehlpasta haben mich allerdings geschmacklich nicht überzeugt, da verspeise ich das Schotengemüse lieber frisch.
Tröstliche Nachricht: Auch in Kakaobohnen ist Protein drin! Lässt sich damit die schlaraffische Ursehnsucht verwirklichen, als träge Couch-Potato durch Vertilgen von Pralinen abzunehmen? Wohl kaum, gerade in Schokolade ist zu viel Süßendes, zu viel Fettes drin, als dass der schnelle Sättigungseffekt durch Protein zu effektivem Abmagern führt. Überhaupt ist die von der Werbung suggerierte Fokussierung auf einen Produktbaustein, den wir nur zu uns nehmen müssen, ohne weiter auf die gesamtheitliche Ausgewogenheit der Ernährung zu achten, naiv. Wenn wir gesund essen wollen, und das wollen wir fast alle, genügt ein monokausaler Zusatzstoff nicht.
Freilich: Unsere Essentscheidungen sind emotional gesteuert, und Werbeversprechen von Bodyshaping und Appetitzügelung durch verteuernde Proteinzusätze können im Placebo-Sinn durchaus glücklich machen, ja auch Wirkung zeigen. Da muss jede und jeder selbst entscheiden, ob man auf einen Cocktail aus Wissenschaft, Kommerz und Vermessung körperlicher Parameter setzt oder lieber auf kulinarischen Instinkt und mündige Genussbereitschaft. Der Protein-Hype hat schon sein Gutes: Er kann uns allen bewusster machen, was wir essen und dass der beliebte Ersatz von Fleisch durch mehr kohlenhydrathaltige Speisen wie Ciabatta und Nudeln gesundheitsschädlich sein kann. Wir brauchen Proteine. Aber die Entscheidung, wie wir sie zu uns nehmen, sollten wir selbst fällen und sie nicht unreflektiert an die Lebensmittelindustrie delegieren.
Peter Peter ist deutscher Journalist und Autor für die Themen Kulinarik und Reise. Er lehrt Gastrosophie an der Universität Salzburg und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Außerdem schreibt er als Restaurantkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und ist Autor einiger ausgezeichneter Kulturgeschichten der europäischen Küche. Im Rotary Magazin thematisiert er jeden Monat Trends rund um gutes Essen und feine Küche.
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