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Peters Lebensart

Kulinarische Polonaisen

Peters Lebensart - Kulinarische Polonaisen
© Jessine Hein/Illustratoren

Die polnische Küche ist den meisten Menschen vollkommen unbekannt. Das gilt es unbedingt zu ändern – Anregungen kommen hier.

Peter Peter01.10.2025

Unser Blick schweift gerne in den fernen Osten. Wir essen Pho-Suppe beim Vietnam-Imbiss und sind bereit, für koreanisches Barbecue oder japanisches Sushi viel Geld hinzulegen. Dafür ist der nahe Osten, sprich unser Nachbarland Polen, ein weißer Fleck unserer Gastrolandschaft – sehen wir einmal von den kultigen Brötchen mit dem Namen "Trzesniewski" in Wien ab. Das ist schade. Denn wir verpassen etwas. Wer immer noch an Mangelkost mit saurer Wurstsuppe "Żurek" denkt, sollte einmal nach Wilanów fahren. In der Residenz König Jan Sobieskis, der 1683 Wien von den Türken befreite, wird vor den Toren Warschaus glorreiche Barockküche vermittelt. Grundlage für die begehrten Kochkurse (und Kinderführungen!) ist das Compendium Ferculorum (Verzeichnis der Gänge) von 1682, das trotz lateinischen Titels auf Polnisch verfasst ist. Die Rezepte spiegeln den Dialog altpolnischer Adelskost mit französischen, niederländischen, baltischen, ungarischen und italienischen Aromen wider und reichen von "Stör polnisch" mit Zimt und Rosinen und Bison mit Zitronen bis zu Schmorkohlrabi und Stachelbeertorte.

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Oscypek (geräucherter Schafskäse) wird ausschließlich in der Tatra-Region Polens hergestellt. © Adobe Stock Photo

Aus den Kochbüchern Westpreußens

Dass es in Warschau auch im 20. Jahrhundert elegant herging, belegt das entzückende Wodka-Museum. Hier sind Originalflaschen, silberne Shaker und Fotos von Tanzlokalen der Zwischenkriegszeit ausgestellt. Das benachbarte Gourmet-Restaurant Elixir hat sich auf Pairing von Met und Wodka mit Borschtsch oder Haxe mit Meerretticheis und selbst eingelegten Gurken spezialisiert. Ein Muss ist die 1869 gegründete Konditorei Blikle mit vorzüglichem "sernik": Cheesecake in der Originalversion, die jüdische Emigranten später in New York abwandelten. Erfreulich: Überall gibt es billige Selbstbedienungs-Milchbars ("bary mleczne"), ein Relikt aus sozialistischer Zeit, mit exzellenten Piroggi mit Heidelbeer- oder Pilzfüllung.

In Toruń an der Weichsel, der ehemaligen Ordensrittergründung, erforschen Professor Jarosław Dumanowski und Marta Sikorska von der Kopernikus-Universität Kochbücher aus der deutschen Vergangenheit Westpreußens und vermittelten mir einen Einblick in die kulinarische Szene vom veganen Studentenbistro bis zum Workshop in einer Pfefferkuchenbäckerei. "Thorner Pierniki" würzen nicht nur Saucen, sondern wurden als riesige Gebildgebäcke verschenkt und wie Bilder aufgehängt.

Original Krakauer – um Meilen besser

In den Konditoreien Krakaus, 2019 Gastronomie-Hauptstadt Europas, ist k. u. k.Einfluss spürbar. Auf dem Bauernmarkt im Stadtteil Podgorze warten ganze geräucherte Störe, Johannisbeeren in allen Farben, geräucherter "Oscypek"-Schafskäse und Original Krakauer Wurst mit Schinkenstücken, die meilenweit besser schmeckt als unsere Imitate. Für meine Studenten am überraschendsten war die Begegnung mit der aschkenasischen Küche im Stadtteil Kazimierz. Auch wenn nach den Pogromen der deutschen Besatzung hier kaum noch Juden leben, ist ein Revival hebräischer Kultur und Klezmermusik spürbar. Eine Offenbarung ist das stilvoll-schlichte Res-taurant Kapłony i Szczeżuje. Hier zaubern die Fernsehköche Aleksander Baron und Agnieszka Kraszewska jüdisches Soulfood vom Feinsten: "Forshmak"-Heringsalat nach Art von Odessa, Puffbohnen mit Minze auf "Challah"-Brot, "Gęsie pipki", gefüllter Gänsehals in Rotwein-Pfefferkuchen-Honig-Sud, das Sabbatgericht "Cholent" und Brotpuddingkugel in Safran-Soße.

In dieser wunderbaren Gaststätte konnte ich erstmals nachvollziehen, wieso Frieda Hochstim, die Doyenne der jüdischen Kochbuchliteratur, meinte, die israelische Küche könne sich an Qualität mit der galizisch-polnischen nicht messen.

Peter Peter

Peter Peter ist deutscher Journalist und Autor für die Themen Kulinarik und Reise. Er lehrt Gastrosophie an der Universität Salzburg und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Außerdem schreibt er als Restaurantkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und ist Autor einiger ausgezeichneter Kulturgeschichten der europäischen Küche. Im Rotary Magazin thematisiert er jeden Monat Trends rund um gutes Essen und feine Küche.

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